Rezension über:

Matthias Bleyl: Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts in Venedig. Die hohe Kunst der Dekoration im Zeitalter Tiepolos, München: Martin Meidenbauer 2005, 302 S., ISBN 978-3-89975-048-5, EUR 68,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Heiner Krellig
National Inventory Research Project, University of Glasgow
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Heiner Krellig: Rezension von: Matthias Bleyl: Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts in Venedig. Die hohe Kunst der Dekoration im Zeitalter Tiepolos, München: Martin Meidenbauer 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/9879.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Matthias Bleyl: Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts in Venedig

Textgröße: A A A

Matthias Bleyl hat mit seinem Band "Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts in Venedig" ein Buch vorgelegt, das den Anspruch erhebt, ein "Standardwerk" zu sein, "das sich an Spezialisten, aber auch einen größeren Kreis Interessierter wendet", und eine "umfassende Gesamtschau der Dekoration im Zeitalter Tiepolos" geben will (Umschlagtext). Schon im Titel, aber auch in Anspruch und in der Gliederung des Materials knüpft der Autor an das unersetzliche Standardwerk von Juergen Schulz zu den venezianischen Deckengemälden des Cinquecento an. [1] Nach einer Einführung gliedert Bleyl, wie Schulz, sein Material nicht chronologisch, ikonografisch, oder nach Künstlern, sondern nach Anbringungsorten in religiösen Komplexen, Scuole und privaten Gebäuden. Der bei Schulz breiten Raum einnehmende Bereich der "public buildings" entfällt mangels im Untersuchungszeitraum ausgeführter Werke, beziehungsweise: die 1766/67 ausgeführte, bedeutende Dekoration der Capella Ducale von Giacopo Guarana wird als eine Ausnahmeerscheinung ausführlich in dem Kapitel "Private Gebäude" abgehandelt (122-24). Es ist überflüssig zu betonen, dass mit dem Buch nicht nur der gesamte Zeitraum vom Neuaufleben der Deckenmalerei am Anfang des 18. Jahrhunderts bis zu dessen Ende und dem Untergang der Republik, sowie sogar darüber hinaus abgedeckt wird und dass eine Vielzahl von, zum Teil nur wenig bekannter Dekorationen und Künstler aus dem Jahrhundert Tiepolos zur Sprache kommen.

In der Einleitung seines Buches gibt Matthias Bleyl zunächst eine Einführung in die städtebaulichen und baukonstruktiven Voraussetzungen der Deckenmalerei in Venedig, wobei vor allem die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestehende Dominanz der Flachdecke eine Grundvoraussetzung der Untersuchung bildet. Mit dem Begriff der "Spätblüte" der Kunstform der Deckenmalerei in Venedig bezeichnet der Autor den Neubeginn einer Tradition, die mit dem Ende des 16., beziehungsweise dem Beginn des 17. Jahrhunderts weitgehend abgerissen war. Diese historische Entwicklung wird als ein spezifisch venezianisches Phänomen auch gegenüber der Entwicklung der Rokokodekoration in Frankreich und Süddeutschland erkannt. Erklärt wird diese Sonderstellung Venedigs an anderer Stelle (106 ff.) durch die der Venedigliteratur bestens bekannte Konkurrenz der mit der Öffnung des "Goldenen Buches" ab 1646 bis 1660 neu aggregierten zu den so genannten "alten" Adelsfamilien. Ausführlich besprochen wird zudem das allzu häufig vernachlässigte Problem der Künstlerzusammenarbeiten auf diesem Gebiet und damit verbunden das Verhältnis von Quadratur und (figürlichem) Deckenbild, sowie Fragen der Erhaltung der Werke und die Verluste in diesem Bereich.

Den "Die Anbringungsorte" übertitelten Hauptteil des Buches unterteilt der Autor weiter nach einzelnen Räumen, von Langhaus und Chor, Nebenchöre, Kapelle in den religiösen Komplexen über Versammlungsräume und Treppenhäuser in den Scuole bis hin zu Portego/Salone und Schlafgemach, Bibliothek und Ridotto usw. in den privaten Palazzi. Damit ist auch das Ende der Anlehnung an das Buch von Juergen Schulz markiert. Denn statt dem Beispiel von Schulz zu folgen und einen Katalog der Dekorationen vorzulegen, inkorporiert Bleyl in den nach dem Raumschema scheinbar streng logisch strukturierten Fließtext auch Fragen der Stilentwicklung, der Ikonografie mit dem bis heute bestehenden Problem der Fehldeutung vieler allegorisch-historischer Gemälde des 18. Jahrhunderts, der Anlässe der Ausführung von Dekorationen und der Auftragsgeschichte bis hin zu Baugeschichten einzelner Raumkomplexe, Künstlerbiografien und sogar die Problematik der Erhaltungszustände einzelner Werke. Der Erschließung dieses umfangreichen Textes dienen ein Künstler- und ein Objektregister.

Erst auf den letzten dreißig Seiten seines Buches versucht der Autor, das vorgelegte Material unter dem Begriff der Typologie wieder zusammen zu bringen. Dieses Vorgehen führt dazu, dass Begriffe des Öfteren in dem katalogisierenden Hauptteil benutzt, aber erst später erläutert und diskutiert werden, ohne dass sie sich von selbst aus der Materialsammlung herleiten ließen. Den mit raumerweiternder Quadraturmalerei verbundenen Illusionismus unterscheidet Bleyl nun von dem verbreiteten Polyachsial-Typus und dem Monoachsial-Typus. Beide haben auf Grund der spezifischen Raumformen venezianischer Paläste ihre Verbreitung, im Aufgreifen des Letzteren sieht der Autor einen direkten Rückgriff auf die Kunst Veroneses. Am Ende des Buches schließlich steht die Frage "Rokoko oder Klassizismus?" Während er sich in der Konstruktion des Illusionismus-Begriffs wesentlich an der hervorragenden Arbeit von Bernd Wolfgang Lindemann [2] orientiert (229), zieht Bleyl für diese Diskussion vor allem die Werke von Hermann Bauer und Bernhard Ruprecht [3], sowie die Definition des Klassizismus von Kurt Bauch [4] heran (256). Er scheut sich aber auch nicht auf römische Vorbilder und französische Vergleichswerke zurückzugreifen. Diese Diskussion um kategoriale Begriffe ist bei einem solchen Werk nützlich und wichtig und es ist nur löblich, das venezianische Phänomen in einen größeren, gesamteuropäischen Kontext eingebunden zu sehen. Deshalb soll hier auch gar nicht der Ort sein, die Frage zu diskutieren, ob die Rückbesinnung der venezianischen Malerei des frühen 18. Jahrhunderts auf das große Vorbild Veroneses sinnvoll als ein Klassizismus bezeichnet werden kann.

Aus kunsthistorischer Sicht ist ein Werk, das sich umfassend diesem Bereich annähert, der allein wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit vieler Werke nur äußerst schwer zu bearbeiten ist, nur zu begrüßen, und man wird ohne Weiteres zugestehen können, dass Bleyl seinem selbstgestellten Anspruch zu genügen vermag. Die Notwendigkeit und die Nützlichkeit eines Überblickwerkes über diesen wichtigen Bereich der venezianischen Kunstgeschichte sind in keiner Weise zu bestreiten, welche Mängel im Einzelnen es auch haben möge. Etwas Besseres kann man von einem Buch dieser Art gar nicht sagen. Es wird seine Funktion als Standardwerk erfüllen. Ein Wort zu den Abbildungen zu sagen, ist allerdings nötig: es ist der Versuch gemacht worden, alle Werke fotografisch zu dokumentieren, das allerdings in nur sehr kleinem Abbildungsformat und, der Unzugänglichkeit der Werke geschuldet, zum Teil in nicht der besten Abbildungsqualität. Mancher Leser mag bedauern, kein großformatig bebildertes Buch in die Hand zu bekommen, doch ist dies ein Mangel, der zugunsten der angestrebten Vollständigkeit und der Einheitlichkeit der Darstellung des untersuchten Materials zu verschmerzen sein wird. Weniger verständlich erscheint, warum die Abbildungen nur mit Künstlername und Ort beschriftet sind, nicht aber mit einem das Werk umschreibenden Titel, obwohl doch der Autor ikonografischen Fragen großes Interesse entgegenbringt. Die bekannten, und auch von Bleyl zugestandenen Schwierigkeiten bei der Identifizierung der Themen von Werken der venezianischen Malerei des 18. Jahrhunderts mögen den Ausschlag dafür gegeben haben, doch ist die Praxis so ungewöhnlich, dass man zumindest einer Erklärung der Motive erwarten darf. Dazu kommt, dass die Angst vor dem Katalog letztlich die Handhabung des Werkes für den Kunsthistoriker erschwert. Das Rückblättern von den Abbildungen, nur um zu wissen, was denn in einer Deckenmalerei dargestellt ist, kann bei der Form des Textes doch sehr mühsam werden. In ähnlicher Weise wird sich wohl auch der angesprochene, an dem Thema allgemein Interessierte gelegentlich durch die in die anders geartete Argumentationslinie eingeflochtenen Abschweifungen zu Entstehungsbedingungen und Künstlerbiografien und dergleichen eher vom Thema abgelenkt finden.


Anmerkungen:

[1] J. Schulz: Venetian painted ceilings of the renaissance, Berkeley / Los Angeles, 1968.

[2] B. W. Lindemann: Bilder vom Himmel. Studien zur Deckenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts, Worms 1994.

[3] H. Bauer: Der Himmel im Rokoko. Das Fresko im deutschen Kirchenraum des 18. Jahrhunderts, Regensburg 1965; H. Bauer / B. Rupprecht: Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, München 1976-89; sowie: H. Bauer / H. Sedlmayr: Rokoko. Struktur und Wesen einer Epoche, Köln 1992.

[4] In seiner Antrittsvorlesung gehalten 1932, erstmals publiziert 1939/40, abgedruckt in K. Bauch: Studien zur Kunstgeschichte, Berlin 1967.

Heiner Krellig