Rezension über:

Kyra T. Inachin: Durchbruch zur demokratischen Moderne. Die Landtage von Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Pommern während der Weimarer Republik, Bremen: Edition Temmen 2004, 215 S., ISBN 978-3-86108-046-6, EUR 29,90
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Rezension von:
Susanne Raillard
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Raillard: Rezension von: Kyra T. Inachin: Durchbruch zur demokratischen Moderne. Die Landtage von Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Pommern während der Weimarer Republik, Bremen: Edition Temmen 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/02/11826.html


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Kyra T. Inachin: Durchbruch zur demokratischen Moderne

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Im Jahr 2004 feierte das Land Mecklenburg-Vorpommern das 10-jährige Jubiläum seiner demokratischen Verfassung. Dies war ein guter Anlass, um an die Anfänge des Parlamentarismus auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes vom Ende des Kaiserreichs bis zum Beginn des 'Dritten Reichs' zu erinnern. Im Zusammenhang damit entstand bei der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Landes Mecklenburg-Vorpommerns e.V. auch Inachins Buch, dessen Veröffentlichung durch die Nord/LB und das Kultusministerium des Landes finanziert wurde.

Die Zäsur des Jahres 1918 markiert ohne Frage den "Durchbruch zur demokratischen Moderne", mit dem Inachin ihre Studie überschrieben hat. Durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts erhielten weite Teile der Bevölkerung erstmals die Möglichkeit zur politischen Partizipation auch auf Landesebene. Die Chancen der parlamentarischen Demokratie als neuer Staatsform, aber auch ihre zunehmende Gefährdung in der von Anfang an krisengeschüttelten Weimarer Republik werden in diesem Band am regionalen Beispiel herausgearbeitet. Im Zentrum der Untersuchung stehen daher die beiden mecklenburgischen Landtage bzw. der pommersche Provinziallandtag. Wie viel Gestaltungsspielraum blieb den landespolitischen Akteuren angesichts finanzieller Notlagen und der wachsenden Bedrohung durch antidemokratische Kräfte? Inwieweit fand die Arbeit der Landtage, die nun zu "wichtigen regionalen Identitätsträgern" (9) werden sollten, tatsächlich die Legitimation und Akzeptanz der Bevölkerung? Schließlich stellt sich die Frage, warum die NSDAP in allen drei Territorien bereits vor 1933 überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse erringen konnte.

Die historische Entwicklung Mecklenburg-Vorpommerns bringt es mit sich, dass die Untersuchung mit den Freistaaten Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und der preußischen Provinz Pommern gleich drei voneinander unabhängige Territorien in den Blick nehmen muss. In seiner heutigen Form bestand das Land Mecklenburg-Vorpommern nur von 1945 bis 1952, als die bereits 1932 vereinigten mecklenburgischen Staaten mit den pommerschen Gebieten westlich der Oder für kurze Zeit zu einem Land zusammengefasst waren. Gebietsübergreifende historische Darstellungen wie der vorliegende Band sind daher selten. Denn wenngleich sich die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der agrarisch geprägten Regionen durchaus ähneln, erschweren doch die unterschiedlichen historischen und politischen Wurzeln der beiden selbstständigen mecklenburgischen Freistaaten und der preußischen Provinz ein solches Unterfangen. Die Forschung konzentriert sich zumeist auf jeweils eines der Gebiete, allein die mecklenburgischen Staaten werden bisweilen in gemeinsamen Untersuchungen behandelt.

Auch der vorliegende Band gliedert sich aus diesem Grund in drei eigenständige Teildarstellungen. Die einzelnen Kapitel widmen sich jeweils der Schilderung der Revolutionsgeschehnisse, der Konstituierung der Landtage, den Landtagswahlen und der parlamentarischen Arbeit sowie schließlich dem Aufstieg der Nationalsozialisten bis zur Aufhebung der Landtage. Im Falle Pommerns muss dabei zusätzlich immer noch das Verhältnis der Provinz zum preußischen Staat berücksichtigt werden. Denn die Kompetenzen des Provinziallandtages als Organ der regionalen Selbstverwaltung waren im Vergleich zu den mecklenburgischen Landtagen beschränkt.

Zur parlamentarischen Entwicklung in Pommern bietet Inachin auf der Grundlage ihrer eigenen Forschungen eine sehr gelungene Darstellung. Sie schildert die Dominanz des deutschnationalen Milieus und der traditionell konservativen Mehrheit im Provinziallandtag, der es gelang, die regionale Besonderheit der Grenzlage der Provinz ebenso im Kampf gegen die Republik zu instrumentalisieren wie das Preußentum. Der Erfolg der NSDAP, die auf dem vorhandenen nationalistischen, militaristischen und antisemitischen Potenzial aufbauen konnte, war hier "lediglich eine Steigerung gradueller Natur und kein abrupter Bruch mit dem alten Parteienmilieu" (201).

Etwas anders verhält es sich mit der Qualität der Abschnitte zu den beiden mecklenburgischen Staaten. Bernd Kasten, profunder Kenner der mecklenburgischen Geschichte, hat bemängelt, dass Inachin hier über eine bloße Paraphrasierung bereits vorhandener Beiträge nicht hinauskomme. [1] Angesichts des Überblickcharakters der Publikation wäre dies zu verschmerzen, kündigte die Verfasserin nicht in der Einleitung an, eine "Forschungslücke" (11) schließen zu wollen. Deutlich wird aber, dass auch in Mecklenburg die strukturellen Voraussetzungen für ein dauerhaftes Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie nicht gegeben waren. Häufige Parlamentsauflösungen und wechselnde Regierungskoalitionen zeugen von der Instabilität der neuen Staatsform, die keinen dauerhaften Rückhalt in der Bevölkerung erlangen konnte. So vermochten die Nationalsozialisten hier bereits 1932 die Macht zu übernehmen.

Die Chance, die drei Einzelteile in einem Schlusskapitel in einer übergreifenden Analyse zu verknüpfen, wurde bedauerlicherweise vertan. Die größte Leistung des Fazits liegt darin, einige in der Einleitung als Frage formulierte Sätze in Aussagen zu verwandeln; ansonsten besteht es in weiten Teilen aus wörtlich übereinstimmenden Passagen der Einleitung.

Im Vorwort wünscht die Landtagspräsidentin dem Band "eine an Geschichte und Gestaltung der Zukunft interessierte breite Leserschaft" (8). Dem entspricht die Aufmachung des großformatigen Bandes, der sich mit zahlreichen anschaulichen Faksimiles, Quellentexten, informativen Schaukästen und einem zurückgenommenen Anmerkungsapparat auch äußerlich eher an ein breites Publikum richtet. Für den forschenden Historiker ist es allerdings ärgerlich, dass auf eine genaue Angabe der Archiv-Signaturen verzichtet wurde.

Eine Forschungslücke schließt der Band zwar nicht, doch bietet er erstmals für die Zeit der Weimarer Republik einen gut lesbaren und klar strukturierten Überblick über die politische Entwicklung der drei historischen Gebiete, aus denen sich das heutige Land Mecklenburg-Vorpommern zusammensetzt. Darüber hinaus eignet sich der ansprechend gestaltete und informative Band als Grundlage für die politische Bildungsarbeit.


Anmerkung:

[1] Vgl. die Rezension von Bernd Kasten in: Zeitgeschichte regional, 9 (2005) 1, 118 f.

Susanne Raillard