Ragna Boden: Die Grenzen der Weltmacht. Sowjetische Indonesienpolitik von Stalin bis Brežnev (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa; Bd. 72), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 444 S., ISBN 978-3-515-08893-0, EUR 68,00
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Stellungnahme von Ragna Boden mit einer Replik von Andreas Hilger
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Tanja Penter / Esther Meier (Hgg.): Sovietnam. Die UdSSR in Afghanistan 1979-1989, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017
Dominik Reither / Karl Rausch / Elke Abstiens / Christine Fößmeier: Auf den Spuren verlorener Identitäten. Sowjetische Kriegsgefangene im Stalag VII A Moosburg , Norderstedt: Books on Demand 2018
Unlängst hat Odd Arne Westad in einer beeindruckenden Studie die herausragende Bedeutung der so genannten Dritten Welt für den Kalten Krieg sowie die Relevanz der Wechselbeziehung von Nord-Süd- und Ost-West-Konflikt für das Verständnis der heutigen globalen Probleme herausgestellt. Mit Recht hat er dabei auf den erweiterten Archivzugang gerade in der früheren Sowjetunion als eine neue Chance für die Forschung verwiesen. [1] Westad richtete den Fokus seiner Darstellung indes auf die 1970er und 1980er Jahre und damit auf die direkten Interventionen der Supermächte. Die formative Phase der Verschränkung von Dekolonisation und Kaltem Krieg blieb somit weitgehend ausgeklammert, obwohl natürlich gerade in dieser wesentliche Weichenstellungen erfolgten. Mit Blick auf die Sowjetunion hat die übrige Forschung die neuen Herausforderungen und Chancen bislang nur ansatzweise wahrgenommen und sich dabei v. a. auf frühe Krisenpunkte des Kalten Kriegs - Korea, Vietnam, den Nahen Osten und Kuba - konzentriert.
Mit der Analyse der sowjetisch-indonesischen Beziehungen in ihrer Marburger Dissertation (2005) löst sich Ragna Boden von diesem punktuellen Verständnis. Der Untertitel ihrer Studie ist allerdings etwas irreführend: Noch keine 20 der insgesamt 370 Seiten widmen sich der Brežnev-Ära, und innerhalb dieser geht es letztlich nur um die Zeit bis 1967/68. Diese Akzentsetzung macht allerdings durchaus Sinn, da die bilateralen Beziehungen nach Chruščevs und Sukarnos Absetzung zwangsläufig eine Phase der Neubesinnung und -bestimmung durchmachen mussten. Die zeitliche Begrenzung ist aber auch forschungstechnisch unumgänglich: Die russischen Quellen, die prinzipiell ungleichmäßig sprudeln, versiegen für die 1960er- Jahre nahezu gänzlich, und indonesische Archive blieben leider verschlossen. Der tatsächlich unebene und nicht immer gleichberechtigte Aktenzugang in Moskau lässt sich hinter dem üppigen Quellenverzeichnis der Arbeit kaum noch, im Anmerkungsapparat indes deutlicher erahnen und hätte in der ganzen Darstellung offensiver, problembewusster diskutiert werden können (25 f.). [2] Im Übrigen sind die von Boden aufgeführten Materialien der Ingenieur-Hauptabteilung des Staatlichen Komitees der UdSSR für Außenwirtschaftsbeziehungen im Wirtschaftsarchiv seit langem wieder geschlossen, während Akten der Außenpolitischen CK-Kommission oder des Molotov-Bestands im ehemaligen Parteiarchiv neu - bzw. wieder - geöffnet wurden.
Ragna Boden hat sich in ihrer Arbeit ambitionierte Ziele gesetzt. Im Anschluss an die New Cold War History und an post-koloniale Theoriedebatten spürt sie den vielfältigen Interaktionen von UdSSR und Indonesien nach und löst damit die einseitige Fokussierung auf die Supermacht auf. Dabei beschränkt sie die Beziehungsgeschichte wohlweislich nicht auf die klassische Diplomatie oder Wirtschaftsbeziehungen, sondern dehnt sie etwa auf kulturelle Wahrnehmungen aus und verortet überzeugend die sowjetisch-indonesischen Beziehungen in der sowjetischen Außenpolitik gegenüber der Dritten Welt. Die Unterteilung der Beziehungen in je eine Stalin-, Chruščev- und Brežnev-Periode entspricht klassischen Zäsuren der Beziehungsgeschichte. Die Studie zeigt, dass sich dahinter mitunter langwierige Übergangsphasen und wichtige Kontinuitäten verbergen. Gemäß dem umfassenden Ansatz arbeitet Boden eine Vielzahl relevanter Beziehungsfelder ab: ideologische Weltbilder, die diplomatischen Beziehungen, die Kontakte der KPdSU zum indonesischen Pendant PKI, Wirtschaftsbeziehungen einschließlich der sowjetischen Militärhilfe, Aspekte der sowjetischen Indonesienforschung, Wissenschafts- und Kulturbeziehungen, die Bedeutung des Islam für das bilaterale Verhältnis sowie die Ebene persönlicher Kontakte unter Politikern.
Der angestrebte "integrierende Ansatz zur Perzeption und politischen Praxis" ist nur mit einem "Methodenpluralismus" zu bewältigen (17), den Boden recht souverän beherrscht. Fragwürdig ist allerdings das enorme Gewicht, das der persönlichen Diplomatie beigemessen wird, während in der Analyse der Staatsbesuche Aspekte kultureller "auswärtiger Repräsentationen" zu kurz kommen (115-149). [3] Das Beispiel der strikt kontrollierten Muslime in der UdSSR macht schließlich deutlich, dass sich Konzepte internationaler gesellschaftlicher Beziehungen mitunter nur schwer auf den sowjetischen Fall übertragen lassen. Auch Kultur- und Wissenschaftskontakte wurden seitens der UdSSR - und Indonesiens - instrumentalisiert und gewannen kaum Eigenständigkeit.
Die UdSSR wie Indonesien setzten in ihren Beziehungen im übrigen vorwiegend klassische Schwerpunkte. Diplomatischen und wirtschaftspolitischen Beziehungen wurden in Jakarta wie in Moskau die höchste Priorität eingeräumt, und deren Beschreibung und Analyse machen mit gutem Recht das Zentrum der Studie aus.
Die Doppelschiene von Partei- und Staatsbeziehungen behielt nach 1945 weiterhin ihre Bedeutung. Auf staatlicher Ebene ließ die UdSSR dem jungen, verzweifelt um Anerkennung seiner Unabhängigkeit ringenden Indonesien zunächst nur propagandistische Unterstützung zuteil werden. Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen tat man sich dagegen schwer. Erst 1948 empfahl Molotov die Anerkennung Indonesiens, da die UdSSR nur so Einfluss gewinnen könne. Jetzt zögerte Indonesien die Verhandlungen bewusst hinaus, sodass es erst 1954 zum Botschafteraustausch kam: Zu diesem Zeitpunkt war die junge Republik stabil genug, um sich innenpolitische Auseinandersetzungen um den Kurs gegenüber Moskau leisten zu können.
Die sowjetische Seite zeigte sich in den bilateralen Beziehungen oft überraschend passiv und reagierte häufiger auf äußere Anstöße, als dass sie selbst das Heft des Handelns in die Hand nahm. Somit gestaltete der indonesische Partner die unter Chruščev wesentlich intensivierten Beziehungen in einem weitaus höheren Maß, als es das Kräfteverhältnis vermuten ließe. Dies führte dazu, dass Moskauer Ziele in der Praxis ad absurdum geführt werden konnten. Deutlichster Ausdruck dessen war der immens hohe Anteil sowjetischer Gelder, den Sukarno entgegen Moskauer Grundsatzüberlegungen in Prestige- und Militärprojekte leitete. Ungeachtet dessen spielten für Moskauer Militärhilfen ökonomische Erwägungen immer eine Rolle. Die zunehmende Radikalisierung indonesischer Politik lief eindeutig sowjetischen politischen Intentionen entgegen: Sukarnos "Zerschlagt-Malaysia"-Kampagne ab 1963 gefährdete aus Moskauer Sicht nicht nur die eigene globale Entspannungspolitik, sondern auch die Rückzahlung sowjetischer Kredite. Die sowjetisch-indonesische Entfremdung wurde weniger durch die Absetzung Chruščevs als durch den Sturz Sukarnos gestoppt. Die Verfolgungswelle gegen die indonesische Kommunistische Partei ab 1965 hielt Moskau nicht vom pragmatischen Ausgleich mit dem neuen starken Mann in Jakarta, Suharto, ab. Derartige Manöver machen einmal mehr deutlich, wie weit sich strategisch-taktische Überlegungen des Kreml von ideologisch formulierten Fernzielen emanzipieren konnten, ohne dass diese aufgegeben wurden.
Das schwache Engagement für die verfolgte Bruderpartei war offenbar auch von der indonesischen Anfälligkeit für chinesische Positionen beeinflusst. Unter Stalin lassen sich erst für die späten 1940er- und 1950er-Jahre regelmäßige Kontakte zwischen den Parteien nachweisen. Moskau spielte dabei 1948 (wie später 1965) bei kommunistischen Aufstandsplänen und -aktionen keine aktive Rolle. Die gründlich misslungene "Maidun"-Revolution 1948 führte vielmehr vor dem Hintergrund der Zerschlagung der PKI und des damit quasi erzwungenen Kaderwechsels längerfristig zu einer relativen ideologischen Autonomie der PKI und ihrer Führung von Moskau. Ab den 1950er-Jahren ließ die sowjetische Abkehr von Stalin, der Verlauf der Kuba-Krise, die sowjetisch-chinesischen Spannungen und der Nationalismus der PKI selbst das sowjetisch-indonesische Parteiverhältnis nicht unberührt. Die PKI näherte sich im kommunistischen Bruderzwist Peking, außenpolitisch Sukarnos Konfrontationskurs gegen Malaysia und gegen die UN an.
Letztlich erwies sich das indonesische Eigengewicht auf staatlicher Ebene wie hinsichtlich der Bruderpartei als starkes Hindernis für die Realisierung konkreter Moskauer Vorstellungen. Diese krankten, und das ist der wesentliche Befund für die sowjetische globale Positionierung, jenseits ideologischer Glaubenssätze an einer merkwürdigen Schwammigkeit und Inkonsistenz. Das vermeintliche Zentrum des Weltkommunismus verfügte entgegen westlicher - echter oder vorgeschobener - Befürchtungen eben nicht über eine umfassende, konzeptionell durchdachte, langfristig angelegte und vielsträngige "Third World Strategy". [4]
Anmerkungen:
[1] Odd Arne Westad: The global Cold War. Third World interventions and the making of our times, Cambridge 2005. Dazu auch Geir Lundestad: East, West, North, South. Major developments in international politics since 1945, 4. Aufl. Oxford 1999.
[2] Vgl. L. M. Efimova: Stalin i Indonezija. Politika SSSR v otnoūenii v 1945-1953 gg.: neizvestnye stranicy, Moskau 2004.
[3] Vgl. Johannes Paulmann (Hg.): Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945, Köln 2005; s. hierzu die Rezension von Reinhild Kreis, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/01/9025.html .
[4] So noch der programmatische Titel von Alvin Z. Rubinstein, Princeton 1988.
Andreas Hilger