Catherine Arminjon / Béatrix Saule: Tables royales et festins de cour en Europe 1661-1789. Actes du colloque international. Palais des Congrès, Versailles 25-26 février 1994 (= Rencontres de l'École du Louvre; XIII), Paris: École du Louvre 2004, 423 S., ISBN 978-2-11-003604-9, EUR 55,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Paola Bassani Pacht / Thierry Crépin-Leblond / Nicolas Sainte Fare Garnot / Francesco Solinas: Marie de Médicis, un gouvernement par les arts. Ausstellungskatalog Château de Blois 2004, Paris: Somogy éditions d'art 2004
Gerlinde Klatte / Helga Prüssmann-Zemper / Katharina Schmidt-Loske (Hgg.): Exotismus und Globalisierung. Brasilien auf Wandteppichen: die Teinture des Indes, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2016
Kathleen Wilson-Chevalier (éd.): Patronnes et mécènes en France à la Renaissance, Saint-Étienne: Publications de l'Université de Saint-Étienne 2007
Die Ausstellung "Versailles et les tables royales en Europe", die 1993/94 im Schloss von Versailles stattfand, warf viele Fragen auf: Wie waren die täglichen Mahlzeiten des Königs gestaltet, wie seine außerordentlichen Festmähler, die bei Krönungen, Hochzeiten, Taufen, bei diplomatischen, politischen sowie familiären Anlässen inszeniert wurden? Tafelsilber, Goldgeschirre und Bestecke, Barrieren, Kredenzen und Buffets, Tische, Sitze und Sitzordnungen sowie repräsentative, fast kultische Tischgeräte kündeten nicht erst zu Lebzeiten Ludwigs XIV. von der Hierarchie am Hof und an der Tafel des Königs, von der Distanz des Herrschers zur Hofgesellschaft und von der Sakralisierung des königlichen Mahls. Wie etablierte sich das Tafelzeremoniell in Frankreich und Europa und wie wurde es im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts verändert? Um Antworten auf diese Fragen, die im Katalog nur angedeutet werden konnten, bemühte sich ein Kolloquium nach der Ausstellung, dessen Ergebnisse jetzt in einem umfangreichen Band vorliegen.
War die Konstellation des Kataloges noch eher die von Zentrum und Peripherie, das heißt eines rayonnement der Versailler Hofkultur auf die übrigen europäischen Zentren, so hat sich das Gewicht im Kolloquiumsband deutlich zur Frage verschoben: Wie und in welcher Weise unterschieden sich die europäischen Tafelzeremonien vom Versailler Vorbild? Gab es nationale Eigenarten oder hat das französische Beispiel ganz Europa ergriffen?
Die neunzehn Beiträge vermitteln eine tour d'Europe von Frankreich über Portugal, Spanien, Savoyen, Österreich, Toskana nach England, erlauben Einblicke in die Tafelsitten Dänemarks, Bayerns und Preußens, untersuchen die Produktion Augsburger Silberschmiede und schließen mit großen Festinszenierungen im Russland des 17. und 18. Jahrhunderts.
Im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts speiste der König stets öffentlich und allein. Monique Chatenet beschreibt, wie Henri III. bei seinem Regierungsantritt 1574 eine Balustrade um seine Speisetafel errichten ließ, um sich von der anwesenden Hofgesellschaft zu entfernen. Damit habe er das seit dem Mittelalter unumstößliche Gesetz der conglutination zwischen Adel und Herrscher gebrochen. Um seinen Abstand zum Hof sichtbar zu regeln, hat der König weiterhin die ersten schriftlichen réglements geschaffen, die auch noch für Louis XIV. verbindlich blieben. Bis in das 17. Jahrhundert gab es keinen spezifischen Ort oder Namen für das Speisezimmer. Quellen sprechen vom lieu ou mange le roi. Noch in Versailles wurde die Tafel im antichambre aufgebaut. Erst Louis XV. installierte ein Speisezimmer in seinem Appartement.
Fragen, wo sich an der königlichen Tafel der Ehrenplatz befand, wenn der König Vertraute oder ausgezeichnete Gäste an seinen Tisch bat, wer einen Fauteuil, wer ein Tabouret zum Sitzen erhielt, waren im Hinblick auf die Rangfolge wichtig. Wie viele Gänge der Speisefolge aus den Küchen an die Tafel gebracht wurden, wo sich das für die Speisen, das Anrichten, Kosten und Bewachen der Tafel zuständige Personal, geführt vom maître d'hotel befand, wo die Hofangestellten und Kammerherren, Pagen und Leibgarde, wo sich die Musiker aufzustellen hatten, gehörte zu den Problemen des Zeremoniells, das täglich eine dichte Menge von Menschen zu koordinieren hatte, darunter auch die Zuschauer, die dem Ritual beiwohnten. Die zunehmende Komplizierung des Zeremoniells führte zu ständigem Experimentieren und auf die Dauer zu Undurchsichtigkeit für alle Beteiligten. Berichten zufolge waren sich auch engste Hofchargen oft nicht sicher, um welche Kategorie von Fest es sich handelte.
Beatrix Saule schildert die wesentlichen Elemente des grand couvert, des zeremoniellen und rituellen öffentlichen Mahles unter Louis XIV. in Versailles. Drei Dinge machten den Tisch des roi très chrétien zu einem fast sakralen Ort. Zunächst ein Tafelaufsatz aus Gold (la nef), der in Form eines Schiffes ohne Masten die Servietten für die Mahlzeit des Königs bereithielt. Dann das Tablett mit aufgesetzten Kästchen (le cadenas), in dem Pfeffer, Salz und das Tafelbesteck aufbewahrt wurden. Zuletzt der samtbezogene Stab (le baton) des maître d'hotel, der den Tisch des Königs schützte und die Bediensteten dirigierte. Diese königlichen Symbole, deren Herkunft noch nicht ausreichend geklärt ist, sind nicht nur als Gebrauchsgegenstände, sondern vor allem als herrscherliche Symbole angesehen worden.
Zur sanctification des königlichen Mahles gehörte in Spanien und Frankreich die zeremonielle Handwaschung mit Kanne und Becken, wie sie Zeev Courarier schildert. Sie weist darauf hin, dass das Hofzeremoniell den Amtskörper des Königs durch bedeutungsvolle Handlungen zu sakralisieren suchte. Auch die Speisen, die der Wachs-Effigies nach dem Tod des Königs gereicht wurden, unterstreichen die zeremonielle und politische Bedeutung seiner Mahlzeiten.
Einen außergewöhnlichen Aspekt der Repräsentanz königlicher Autorität durch das Tafelzeremoniell schildert Robert Oresko vom Turiner Hof der Herzöge von Savoyen. Während ihrer Regentschaft für den minderjährigen Victor Amadeus II. seit 1675 nutzte Maria Giovanna Battista das nach französischem Vorbild gestaltete Zeremoniell, um mit ihrem Sohn gemeinsam an der Tafel zu erscheinen. Ganz offenbar suchte sie durch diese theatralische Inszenierung der Regentschaft beim grand couvert den Willen zur Kontinuität der Dynastie zu demonstrieren. Und nicht vor dem Parlament, wie gewöhnlich der junge französische König, sondern vor dem Publikum der fürstlichen Tafel bat der junge Fürst seine Mutter, die Regentschaft auch über seine Volljährigkeit hinaus zu führen. Die Mahlzeit wurde auf diese Weise zu einem Staatsakt.
Dass auch der Wiener Hof die Prachtentfaltung in Versailles stets im Blick hatte, weisen Beatrix Bastl und Gernot Heiss nach. Die Rivalität zwischen den Bourbonen und den Habsburgern wurde nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch an der aufwändig inszenierten Tafel ausgetragen. Für die erste der drei Hochzeitsfeierlichkeiten Kaiser Leopolds I. im Jahre 1666 war noch das Vorbild der Heirat von Louis XIV. bestimmend, die folgenden zwei Zeremonien von 1673 und 1677 gestaltete der Kaiser, seinem eigenem Charakter entsprechend, "bescheidener". Er wirkte selbst an der Abfassung einer Oper mit und ließ eine gedruckte Beschreibung der Feierlichkeiten und seiner politischen Symbolik verbreiten. Die Feste waren also nicht nur Schauplatz der Selbstdarstellung, sondern boten auch Gelegenheit zur Proklamation eigener Ansprüche. Der kaiserliche Hof hat sich, so die Verfasser, weniger durch Prachtentfaltung als durch kluge Verbreitung seiner gezielten Festemblematik ins Gedächtnis geprägt.
Hans Ottomeyer und Winfried Behr können überzeugend an festen Einbauten im Antiquarium der Münchner Residenz und im Berliner Schloss nachweisen, wie in der Entfernung vom Versailler Hof auch neue Formen der Tafelrepräsentation entstanden. Zeichen des Reichtums und der Autorität waren dort die aus Silber- und Goldgeschirr aufgetürmten Buffets. Der neu gekrönte König Friedrich I. hielt seit 1703 die jährlichen Festessen für seinen Schwarzer-Adler-Orden im Rittersaal des Berliner Stadtschlosses. Prächtiges Schaustück des Raumes war ein spiegelndes Silberbuffet, dessen Wert dem Bedürfnis des Königs entsprach, seine neue königliche Würde angemessen zu verbreiten.
Auch die Augsburger Silberschmiede, so Lorenz Seelig, trugen zur Verbreitung königlicher Pracht und herrscherlicher Emblematik in deutschen Residenzen bei. Für die zeremoniellen Festessen in Dresden und Berlin schufen sie aufwändige Gefäße, Tafelaufsätze und Bestecke, welche die Produktion der Pariser Silberschmiede als bekannt voraussetzten, in denen sie aber die unterschiedlichen Traditionen und Vorstellungen der Herrscher an deutschen Residenzen berücksichtigten. Was sie dennoch mit den französischen Silberschmieden verband, war die Tendenz, die Dekoration der Silbergefäße einem übergeordneten, auf den Herrscher bezogenen Thema zu unterwerfen. Wie alle repräsentativen Gegenstände für Louis XIV. mit Motiven aus der histoire du roi geschmückt waren, statteten die Augsburger, so Seelig, die Silberwaren der deutschen Fürsten mit militärischen und politischen Emblemen, Motiven und Szenen Preußens, Sachsens und Polens aus, die die Kenntnis französischer höfischer, dekorativer Propaganda voraussetzten.
Der Aufsatzband bietet weder einen chronologischen oder systematischen Überblick, noch eine klare Schilderung der Entwicklung des Tafelzeremoniells vom Beginn der Regierungszeit von Louis XIV. bis zum Ausbruch der Revolution. Die Autorinnen und Autoren bieten vielmehr zum Teil sehr detaillierte Einblicke in die rituellen Formen des herrscherlichen Mahles. Trotz der allgemeinen Aufmerksamkeit, die Ludwig XIV. zuteil wird, zeigen die vorgestellten Forschungen auch, dass an den verschiedenen Höfen eigene Traditionen fortbestanden. Der Band belegt somit, dass der intensive Blick in diesen Bereich des höfischen Lebens nicht nur historische und kulturgeschichtliche Fragen beantwortet, sondern auch Form und Gebrauch kunstgewerblicher Objekte von herausragender Qualität in ihrer Funktion verständlich macht.
Barbara Gaehtgens