Michael Sommer: Der römische Orient. Zwischen Mittelmeer und Tigris, Stuttgart: Theiss 2006, 160 S., 92 Farbabb., 11 Übersichtskarten, ISBN 978-3-8062-1999-9, EUR 29,90
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Eine Geschichte des römischen Orients in deutscher Sprache ist seit langem ein Desiderat der Forschung. Der Autor des vorliegenden Bandes, Michael Sommer, kann wohl mit gutem Recht als einer der Kenner des römischen Orients im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden. Schließlich widmete er diesem Thema nicht nur seine Habilitationsschrift über die drei großen orientalischen Karawanenzentren Palmyra, Hatra und Edessa, sondern auch eine Vielzahl von Aufsätzen. Hier rezipiert er vor allem auch die Arbeiten seit langem in der Region aktiver französischer Forscher.
Schon im Vorwort legt Sommer die Ziele des vorliegenden Werkes dar: Es soll "eine illustrierte Geschichte des Nahen Ostens unter römischer Herrschaft" sein (8). Doch ganz so einfach macht er es sich nicht. Denn "Was ist wirklich 'römisch' am römischen Orient?"(7). Eben dieser Frage nach Kontakt und Konflikt der verschiedenen hier aufeinander treffenden Kulturen geht er immer wieder nach und kann ein Erklärungsmodell für die spezifische Lebenswirklichkeit des römischen Orients anbieten.
Der Band gliedert sich dabei in fünf Teile. Der erste - "Auf dem Weg in ein anderes Imperium" - führt in die Vorgehensweise des Autors ein. Ausgehend von den Erfahrungen des syrischen Priesters und römischen Kaisers Elagabal in Rom und auch Roms mit Elagabal versucht Sommer, die Verschiedenheit dieser beiden Kulturräume zu umschreiben und gleichzeitig die unterschiedlichen Formen des Kontakts zwischen ihnen aufzuzeigen. Dabei werden vor allem Sprache und architektonische Formenlehre als Beispiele herausgegriffen, um die verschiedenen Arten des orientalischen Umgangs mit griechischer und römischer Kultur anzusprechen. Dies führt Sommer zur Diskussion um Hellenisierung im Orient, wobei er den Vorstellungen Mommsens, Cumonts und Rostovtzeffs von der Dekadenz griechischer Kultur im Orient die Thesen Millars über eine gegenseitige Befruchtung beider Kulturräume entgegenstellt. Dabei definiert Sommer den Orient als "Grenzzone" und "Frontier" zwischen der Welt des Mittelmeerraumes und der des Tigris. Für ihn sind die Bewohner des Orients daher "Grenzgänger, die in mehr als einer Welt heimisch sind, [...] sich nach Bedarf und oft genug geradezu spielerisch im Inventar der verschiedenen kulturellen Formationen bedienen" (17).
Auch wenn Sommers Interpretation des kulturellen Austausches im römischen Orient sicher zuzustimmen ist, scheint doch der Begriff "Frontier" schlecht gewählt. Dies liegt zum einen an dem Wortsinn des Begriffes selbst, zum anderen aber auch an der mit ihm verbundenen Topik, die inzwischen schon untrennbar mit dem Wortsinn verbunden scheint. Abgesehen von der allgemeinen Bedeutung "Grenze", für die man natürlich nicht auf ein englisches Wort zurückgreifen muss, meint "Frontier" die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, Bekanntem und Unbekanntem, wobei die Gegend jenseits dieser Grenze tendenziell als feindlich oder doch minderwertig empfunden wird. Dies spiegelt die Sicht der weißen Einwanderer nach Nordamerika auf das jenseits des bereits von ihnen besiedelten Bodens gelegene, von "Wilden" bevölkerte Land, weshalb diese "Frontier" bis zum nächsten Ozean vorzutreiben war. Und auch die US-amerikanische "New Frontier" meinte im Grund die Bezwingung einer minderwertigen durch eine höhere Kulturform. Gerade diese beiden historischen Verwendungen des Begriffs "Frontier" sind aber in ihrer Verbindung aus Ideologie und Geographie in der Diskussion um das Wesen des römischen Orients wenig hilfreich - vor allem, wenn man wie Sommer damit eigentlich eine kulturelle Kontaktzone umschreiben möchte. Denn auch wenn der Gedanke einer "Frontier" als einer Grenzzone zwischen Zivilisation und (minderwertiger) Wildnis vermutlich die Sichtweise Roms auf dieses Gebiet trifft, so steht dies doch im Widerspruch zur geographischen und sozialen Realität dieser Region. Zum einen war der Orient trotz der syrischen Wüste eine uralte Kontaktzone zwischen den Mittelmeerkulturen und denen des Zweistromlandes. Auf beiden Seiten ging der Blick immer über das geographische Hindernis der syrischen Wüste hinaus. Den Austausch zwischen den beiden Räumen kann Sommer an vielen Stellen seines Werkes ja augenfällig machen. Zum anderen kann er ebenfalls zeigen, dass die Bewohner dieser Gegend sich auch persönlich nicht zwischen den Welten hin und her gerissen, sondern souverän in einem eigenen kulturellen Raum bewegten. Auch dies spricht gegen eine Wahrnehmung des römischen Orients als "Frontier". Gerade ein Werk, das Austausch und Kontakt von Fremdem und Bekanntem betonen möchte, sollte auf solch eine Begrifflichkeit also verzichten.
Im zweiten Teil - "Ein Garten Eden?" - werden die geographischen und sozialen Bedingungen in der Region vorgestellt, die damit als Folie für die weitere historische Entwicklung dienen. Hier geht Sommer auf die Bedeutung des Nomadentums und dessen spezifische Charakteristika ein. Dabei kann er von seinem breiten Wissen über Hatra profitieren und dies besonders in den Mittelpunkt seiner Betrachtung rücken. Der dritte und ausführlichste Part des vorliegenden Werkes beschäftigt sich unter dem programmatischen Titel "Alexanders Erben" mit der politischen Geschichte der Region, die in chronologischer Folge erzählt wird. Auch hier liegt ein Schwerpunkt auf Sommers für die Habilitationsschrift gewähltem Spezialgebiet. Es folgt im vierten Teil "Urbane Revolutionen" ein Blick auf die Entwicklung der Städte. Dabei macht Sommer mit der Bronzezeit, der seleukidischen und der römischen Herrschaft vier Phasen der urbanen Evolution aus, die er kurz in ihren Charakteristika beschreibt. Hier wird auch auf die besondere Rolle Palmyras eingegangen.
Im letzten Teil mit dem klingenden Titel "Kampf der Kulturen?" widmet sich der Autor den Themen Fernhandel, Militär, Recht und Religion. Hier werden Aspekte der "gateway-city" (134) beim Handel, der "corporate identity" (137) im römischen Heer, der orientalischen Gesetzestraditionen und ihres Zusammentreffens mit Rom und schließlich der Entstehung von Götterwelten (vor allem der Glaubenswelt von Doura-Europos) angesprochen. Gerade die Betrachtung der bildlichen und architektonischen Formensprache religiöser Bauten in Doura-Europos lässt Sommer für den römischen Orient in der Spätantike festhalten: "Die Reichsbewohner wandten sich vom Ziel möglichst weit reichender Integration in das Imperium ab und neuen Horizonten kollektiver Identität zu: Religiöse, sprachliche und ethnische Kriterien schufen Möglichkeiten im Übermaß, neue Grenzen zu ziehen, die das Imperium Zug um Zug immer mehr zerklüfteten" (148).
Der schön gemachte Band wartet dabei mit zahlreichen nützlichen Ausstattungsmerkmalen auf: Die farbigen Karten sind sicher die brauchbarsten Karten zur Geschichte des römischen Orients, die derzeit zu finden sind. Die zahlreichen Buntfotos und Pläne zu Architektur und Landschaft erhöhen das Lesevergnügen des auch im Layout sehr ansprechenden Bandes. Glossar, Literaturverzeichnis und Register sorgen darüber hinaus für eine gute Benutzbarkeit. Vor allem diese technischen Extras machen den vorliegenden Band gleichermaßen für ein weiteres interessiertes Publikum wie auch für Institutsbibliotheken attraktiv und nützlich.
Julia Hoffmann-Salz