Horst Carl / Sönke Lorenz (Hgg.): Gelungene Anpassung ? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; Bd. 53), Ostfildern: Thorbecke 2005, 221 S., ISBN 978-3-7995-5253-0, EUR 34,90
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Im vorliegenden Band sind neun Beiträge versammelt, die im Mai 2001 auf Schloss Weitenburg im Rahmen des zweiten Symposiums über "Adel, Ritter, Reichsritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat" gehalten wurden. Die verbindende Fragestellung war diejenige nach den "Anpassungsleistungen", verstanden als Strategien mit denen der Adel seine materiellen aber auch immateriellen Ressourcen mobilisierte, um seine Position in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu behaupten (8). Herausgefordert wurde der Adel - so die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung - auf sehr unterschiedlichen Feldern. Es ist dem Adel im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit gelungen, diese Herausforderungen zu meistern und seine herausgehobene Position in der Ständegesellschaft zu sichern. Deshalb sprechen Horst Carl und Sönke Lorenz auch bewusst von "Anpassungsleistung" statt von "Krise", denn die gesellschaftlichen Umbrüche waren vielfältiger Art und die adeligen Antworten differenzierter und weniger defensiv als es die Krisenszenarios erscheinen lassen. Die Herausgeber differenzieren jedoch zu Recht das "adelige Obenbleiben", denn auch die soziale Formation des Adels war kein geschlossener Block. Einzelne und ganze Familienverbände unterlagen den oft gleichzeitigen Aufstiegs- und Niedergangsbewegungen. Es gab Adelsfamilien, die als Gewinner aus den Anpassungsprozessen hervorgegangen sind, jedoch auch Familien, die als Verlierer der Wandlungsprozesse zu bezeichnen sind.
Die Beiträger zu diesem Band befassen sich - mit Ausnahme von Folker Reichert ("Ehre durch Demut. Wallfahrten des Adels im späten Mittelalter"), der Wallfahrten des Adels im späten Mittelalter nach Rom, Jerusalem, Santiago de Compostela und zum Fegefeuer des hl. Patrick in Irland untersucht - vor allem mit den Siegern und deren Strategien, die ihnen das "Obenbleiben" in der Ständegesellschaft ermöglicht haben. Dabei werden hauptsächlich an Beispielen aus dem deutschen Südwesten drei größere Themenkomplexe behandelt. Zum ersten die Verdichtung der Staatlichkeit seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, dann die zentrale Frage nach der Bedeutung der Erinnerungskultur für die Sicherung von adeliger Identität und Begründung von Vorrang in Konkurrenz mit anderen Ständen und schließlich die Frage nach den Bedingungen der spezifisch adeligen Sozialisation.
In der Summe unterstreichen die Beiträge die in der neueren Adelsforschung zu Recht erhobene Forderung, auf Klischeebilder von der adeligen Lebensführung zu verzichten. Die Autoren verzichten auf pauschale Bewertungen und haben einen Blick für die differenzierten Lagen der unterschiedlichen Adelsgruppen. Kurt Andermann ("Adel und finanzielle Mobilität im späten Mittelalter") bekräftigt in seinem Beitrag das schon über 60 Jahre alte Diktum von Karl Otto Müller, wonach nicht von einer Verarmung des Adels am Ende des Mittelalters gesprochen werden dürfe, sondern allenfalls von einem Schwinden der wirtschaftlichen Kraft bei einigen Adelsfamilien. Der Adel war häufig Kreditgeber und Bürge der Landesherren und auf diese Weise auch eingebunden in den sich ausbildenden "Fürstenstaat".
In den "Fürstenstaaten" im deutschen Südwesten erhielt sich der Adel bemerkenswerte Freiräume, die er nutzte, um seine Interessen gegen die Fürsten zu verteidigen (Georgenschild-Gesellschaften, Landtage). Horst Carl ("Der lange Weg zur Reichsritterschaft - Adelige Einungspolitik am Neckar und im Schwarzwald vom 14. bis zum 16. Jahrhundert") zeichnet am Beispiel der adeligen Einungspolitik einerseits und der kaiserlichen Landfriedenspolitik (Schwäbischer Bund) andererseits die wesentlichen Etappen des Transformationsprozesses nach, durch den der Niederadel zur modernen Reichsritterschaft wurde, die seit dem Jahr 1542 dauerhaft im Reichsverband institutionalisiert war. Eine andere Strategie des niederen Adels, um dem zunehmenden Herrschaftsdruck der Landesherren entgegen zu wirken, war der Eintritt in den Dienst eines Fürsten. Manfred Wassner ("Min lieb vetter und der Fürstendienst: das verwandtschaftliche Netzwerk der Familie Speth am württembergischen Hof im 15. Jahrhundert") zeigt anhand der Familie Speth, die über mehrere Generationen das Hofmeisteramt an württembergischen Höfen innehatten, wie eine erfolgreiche Strategie des "Obenbleibens" durch die Ausbildung von verwandtschaftlichen Netzwerken betrieben werden konnte. Auf diese Weise konnten nicht nur die eigenen Interessen verteidigt werden, es gelang den Speths sogar zwischen 1420 und 1470 eine Verdreifachung ihres Besitzes (213).
Der alte Erbadel musste jedoch nicht nur um seinen politischen Einfluss und seine verfassungsrechtliche Position kämpfen, sondern wurde seit ca. 1500 zunehmend auch durch Neuadelige wie ehemalige Patrizier oder nobilitierte Fürstendiener herausgefordert. Klaus Graf ("Adel als Leitbild - Zur Geschichte eines Grundwertes in Spätmittelalter und früher Neuzeit") argumentiert deshalb dafür, Adel als gesellschaftlichen Grundwert der vormodernen Gesellschaften zu begreifen, weil die damit verbundene "Exklusivität Grenzen besaß und der Wert 'Adel' für die unterschiedlichsten Interpretationen offen war" (81). Graf plädiert für eine Erweiterung des Blickfeldes der Adelsforschung, die sich bisher zu sehr auf den Erbadel als wahren Adel konzentriert habe. Wie sich eine niederadelige Familie an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert der Herausforderung stellte und sich ein Adelsgeschlecht ein "Herkommen zu verschaffen (wusste), mit dem dieses seinen sozialen Rang repräsentieren und seinen adelige Ehre demonstrieren konnte" (78), zeigt Steffen Krieb ("Vergangenheitskonstruktion zwischen Überlieferungsmangel und mündlicher Tradition: Die Familienchroniken der Landschaden von Steinach"). Krieb arbeitet anhand seines Beispiels einen Wandel der adeligen Erinnerungskultur heraus. Blicker IX. Landschaden von Steinach schrieb am Ende des 15. Jahrhunderts eine Erzählung des Herkommens seiner Familie, in der das Leben seiner Vorfahren als handlungsleitendes Exempel mit legitimitäts- und identitätsstiftender Wirkung vorgestellt wurde. Als Anfang des 17. Jahrhunderts Hans Ulrich Landschad die Aufzeichnungen seines Vorfahren bearbeitete, tat er das aus "antiquarisch-genealogischem Interesse an der Vergangenheit" (100).
Eine wesentliche Rolle für den Zusammenhalt des Adels spielte die Weitergabe von Werten und Normen an die nachwachsende Generation, ihre Erziehung bzw. Sozialisation. Diesem Aspekt geht Mark Mersiowsky ("Adelige Sozialisation im spätmittelalterlichen Süddeutschland) nach und kommt zu dem Fazit, dass die adelige Sozialisation ein wesentlicher Faktor gesellschaftlicher Kohärenz war, zumal die soziale Praxis den Adel definierte (138).
Diesen Gedanken unterstreicht Rainer A. Müller ("Norm und Praxis adeliger Bildung 1350 bis 1550"), der zum einen hervorhebt, dass der Adel seit dem 15. Jahrhundert die Erziehung und Ausbildung an den Höfen intensivierte; sie war demnach "zuvörderst Einübung in die Alltagspraxis" (149). Zum anderen wurde die höfische Erziehung zunehmend von akademischen Studien ergänzt. Allerdings strebten die adeligen Studenten in der Regel keine Grade an, sondern sie strebten nach Ehre. Eine wichtige Ausnahme war der Niederadelige Domklerus, der proportional gesehen am häufigsten promovierte. Herausgefordert wurde der Adel durch bürgerliche Gelehrte, die in Spitzenpositionen der Verwaltungen ebenso eindrangen wie in die Stiftskapitel. Deshalb "blieb dem Adel keine andere Wahl, als sich der Konkurrenz zu stellen und es dem Bürgertum in seinem Bildungsbestreben gleichzutun" (155).
Anpassungsleistungen musste der Adel auch vollbringen, als er sich im 16. Jahrhundert vor die Konfessionsentscheidung gestellt sah. Gerrit Walther ("Glaube, Freiheit und Kalkül. Zur Frage von ''Anpassung' und 'Mobilität' bei adeligen Konfessionsentscheidungen im 16. Jahrhundert") bescheinigt dem Ritteradel einen pragmatischen und unfanatischen Umgang bei der Entscheidung für oder gegen eine Konfession. Politisches Kalkül und religiöse Überzeugungen zusammen waren für die jeweilige Konfessionsentscheidung des Einzelnen ausschlaggebend. Aufgrund ihrer erfolgreichen Anpassung an die gelehrte Bildung und dem dadurch möglichen Aufstieg in hohe Ämter an den Fürstenhöfen konnten sie auch auf der Reichsebene Einfluss auf religiöse Fragen nehmen: "Sie konnten verhindern, dass die Konfession politisch allmächtig wurde, weil sie zu der kleinen Gruppe derer gehörten, die sie steuerten" (199).
Der Band bietet ein breites Themenspektrum und interessante Beobachtungen von wichtigen Einzelaspekten zur adeligen Lebensführung im deutschen Südwesten vom 14. bis in das 17. Jahrhundert. Das Gesamtergebnis der Beiträge ist indes nicht überraschend. Diejenigen Adelsgruppen, die mobil und flexibel waren und sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen konnten, blieben auch "oben", denn "es gab immer genügend Vertreter des Standes, (die) adäquate Antworten auf die entsprechenden Herausforderungen zu finden wussten" (10).
Jörg Rogge