Annkristin Schlichte: Der "gute" König. Wilhelm II. von Sizilien (1166-1189) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 110), Tübingen: Niemeyer 2005, X + 395 S., ISBN 978-3-484-82110-1, EUR 58,00
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Wilhelm II. war der dritte Herrscher des regnum Siciliae, das die verschiedenen normannischen Herrschaftsbereiche des süditalienischen Festlands und Siziliens seit 1130 zu einer politischen Einheit umschloss. Den Turbulenzen der Regentschaft während seiner Minderjährigkeit (1166-1171) folgte eine Friedenszeit bis zu Wilhelms Tod 1189, die den Zeitgenossen geradezu als goldenes Zeitalter in Erinnerung blieb. Die Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert und die Frage nach den Ursachen der prekären Situation des Mezzogiorno im 20. Jahrhundert schufen dann aber den Vorwurf, der König habe mit dem staufisch-normannischen Heiratsbündnis oder mit Flottenunternehmungen im Mittelmeer nicht die eigentlichen Interessen des Regno gewahrt.
Annkristin Schlichte setzt sich in ihrer Bonner Dissertation das Ziel, "ein Gesamtbild seiner [Wilhelms] Regierungszeit zu rekonstruieren" und dabei "die Person des Königs in den Mittelpunkt" zu stellen (3). Zehn Kapitel decken auf sorgfältig erarbeiteter, breiter Quellen- und Literaturbasis ein weites Fragespektrum ab: Das Kapitel über "Regierungsantritt und Herrschaftssicherung" (7-33) benennt die angesichts königlicher Kontrolle über die Lehen und Ausschluss des Adels von der Regierung des Regno erforderliche Einbindung des Adels durch Übertragung von Verwaltungsämtern, das konfliktträchtige Nebeneinander von Muslimen und Christen auf Sizilien und am Hof in Palermo sowie die durch Übergriffe königlicher Beamter bedrohte Loyalität der Städte als besondere Herausforderungen der Herrschaft Wilhelms II. "Verwaltung und Gesetzgebung unter Wilhelm II." (34-64) erscheinen daher durch intensivierte Integration adliger Amtsträger in die langsam verfestigten administrativen Strukturen sowie durch den Versuch gekennzeichnet, den Amtsmissbrauch königlicher Beamter abzustellen. "Grafschaften und Städte des Regno unter Wilhelm II." (65-78) standen, von Traditionen der einzelnen Landesteile und personellen Bindungen abhängig, der Krone unterschiedlich nahe, wobei die vereinzelt belegte Heranziehung städtischer Richter zu Aufgaben königlicher Rechtsprechung, die Anerkennung örtlicher consuetudines und die verbesserte Kontrolle königlicher Beamter bereits in der Politik der Vorgänger Wilhelms II. wurzelten. "Wirtschaft und Handel zur Zeit Wilhelms II." (79-102) erscheinen vor allem durch die lange Friedenszeit, weniger durch gezielte wirtschaftliche Überlegungen des Königs begünstigt. Die Untersuchung von "Kirchen- und Klosterpolitik Wilhelms II." (103-197) konstatiert hinsichtlich der Bischofswahlen einen je nach verschiedenen historischen Traditionen der einzelnen Landesteile auch unterschiedlich intensiven Einfluss des Königs, der aber tendenziell alle Teile des Regno erfasste; das Verhältnis zum Papsttum war trotz einiger Reibungsflächen bei Bischofswahlen und Rechtsprechung über Geistliche letztlich ungetrübt, was sich aus der historischen Situation des Schisma erklärt, die Alexander III. auf den Normannenkönig als Bündnispartner verwies, aber auch aus Wilhelms Achtung der Grundsätze kanonischer Wahl.
Überlieferungsbedingt ausführlich gerät die mit urkundenkritischen Detailfragen durchsetzte Untersuchung der Klosterpolitik, die im wesentlichen eine Gleichbehandlung von Benediktinerklöstern, griechischen Klöstern und Gründungen der neuen Orden sowie analog zur Ausweitung des königlichen Einflusses auf die Bischofswahlen im Norden des Regno auch eine solche auf die Abtswahlen zu erkennen gibt. Von dem Hintergrund der geringen königlichen Schenkungen hebt sich die reich dotierte Gründung von Monreale als singuläre Ausnahme ab. Die Frage nach "Toleranz, Integration oder Konversionspolitik - Griechen und Muslime unter Wilhelm II." (198-211) hat den Hinweis auf den allgemeinen, durch Immigration bedingten Latinisierungsprozess zur Antwort, den Wilhelm II. offenkundig nicht als Problem wahrnahm, aber auch nicht durch gezielte Latinisierungspolitik oder, mit Blick auf die Muslime, durch forcierte Christianisierungspolitik förderte. Das friedliche Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen auf Sizilien erweist sich als Funktion der Autorität friedenwahrender Königsherrschaft. War sie gestört, wie nach dem Tod des jeweiligen Herrschers, entluden sich die Spannungen in Gewalttätigkeiten, die man wohl als religiös motivierte Konsequenz des Wettbewerbs um sozialen Aufstieg in der Hauptstadt charakterisieren könnte.
Das Kapitel über "Schriftkultur, bildende Kunst und Herrschaftsrepräsentation" (212-232) betont mit Blick auf Literatur und Kanzlei die Folgen des Latinisierungsprozesses, mit Blick auf kirchliche und profane Bauten ein unterschiedliches Ausmaß an Einfluss lateinisch-okzidentaler bzw. arabisch-islamischer Elemente. Trotz Marginalisierung der muslimischen Bevölkerung ist im Bereich der Herrschaftsrepräsentation eine Zunahme islamisch-arabischer Elemente (Herrschaftsinsignien, Münzprägung, Herrschertitel) unverkennbar; dass Wilhelm II. jedoch mit diesen "exotisch-fremdländischen Aspekten seiner Selbstdarstellung eine wachsende Distanz zu seinen Untertanen" geschaffen habe ( 232), unterschätzt wohl die Vorbildwirkung der arabischen Höfe, mit denen Sizilien durch eine Vielzahl politischer, kultureller und wirtschaftlicher Kontakte verbunden war. Das Kapitel über "außenpolitische Beziehungen und Entwicklungen unter Wilhelm II." (233-309) untersucht mit mancher neuen Bewertung die Beziehungen zu Byzanz, dem staufischen Kaiser, dem englischen König und den oberitalienischen Städten sowie den Fatimiden in Ägypten und den Almohaden in Nordafrika. Dabei erscheint die Gegenüberstellung zwischen einer Prestigepolitik einerseits und der Anknüpfung an politische Traditionen der Vorgänger Wilhelms II. (273) nicht recht zweckmäßig, da ja bereits deren Politik ganz wesentlich vom Ziel der Aufwertung ihrer in Ost und West als Usurpation betrachteten Herrschaft und der Integration in den Kreis der christlichen Herrscher, also auf Prestigegewinn abzielte (so zurecht 30 und 309). Diesem traditionellen Ziel waren auch die charakteristisch neuen Akzente unter Wilhelm II. verpflichtet - die normannisch-englische Heirat 1177, das normannisch-staufische Heiratsbündnis 1184/1186 (dessen Entstehung Frau Schlichte aus der veränderten Haltung der Kurie erklärt) und die Aktivitäten zur Vorbereitung des dritten Kreuzzugs. "Der Einfluss und die politische Rolle der königlichen Berater" (310-318) erscheinen angesichts Wilhelms in mehrfacher Umbildung des Familiarenrats bewiesener Rücksichtnahme auf ambitionierte Rivalen nicht als dominant, sondern erklären sich aus zunehmender Etablierung und Hierarchisierung des normannischen Beamtenstaates, die aber in wichtigen Fragen dem Herrscher selbst abschließende Entscheidung überließ. "Der Tod Wilhelms II. und der Kampf um die Thronfolge" (319-326) ließ die alten antizentralistischen Tendenzen im Norden des regnum ebenso aufbrechen wie Kämpfe zwischen Muslimen und Christen in der Residenzstadt Palermo.
Als Wermutstropfen bleibt, dass die Darstellung auf Grund ihrer thematischen Breite mitunter der Anschaulichkeit entbehrt, wenn etwa auf Grund der Vielzahl erwähnter Konflikte die ihnen jeweils zugrundeliegenden Probleme ebenso wenig besprochen werden können wie die bei ihrer Lösung beachteten Vorstellungen; beispielsweise bleiben angesprochene "Gebräuche des Regno" so unklar wie der konkrete Hintergrund des gegen die transalpini erhobenen zeitgenössischen Vorwurfs des Hochmuts (13). Auch treten die Verhaltensweisen der handelnden Menschen kaum je in den Horizont der Darstellung, was bei der Frage nach der Herrschaftsrepräsentation gewiss erhellende Einsichten erlaubt hätte. Jedoch bleiben solche Wege beim Versuch, sich Wilhelm II. "als Person zu nähern" (332), unbeschritten. Statt dessen reduziert sich Handeln auf politischen Entscheidungsablauf, dessen Bewertung nur recht unspezifische Einsichten über die Person zulässt (102: "durchaus machtbewusster und entschiedener Herrscher, wenn es um die Stellung und den materiellen Vorteil der Krone ging"; 332f.: "großes Selbstbewusstsein, seine Überzeugung von der unmittelbar von Gott legitimierten Stellung des Königs und sein Herrschaftsanspruch"). Es zeigt sich, dass die darstellerische Parzellierung nach verschiedenen Bereichen des Politischen der einleitend formulierten Absicht, die "Person des Königs in den Mittelpunkt zu stellen" (3), letztlich im Wege steht. Tatsächlich persönliche Facetten wie die Tatsache, dass Wilhelm II. anders als seine Vorgänger nicht mehr in einer griechisch geprägten Umgebung am Hof aufwuchs (219), die in der Gründung Monreales (186-196) oder in der Reaktion auf den Fall Jerusalems (302f.) eindrucksvoll aufscheinende Frömmigkeit des Königs werden nur wie nebenbei gestreift, für die Frage nach der Person jedoch kaum fruchtbar gemacht.
Diese Bemerkungen sollen den Wert des Buches nicht schmälern; er liegt indessen weniger in einer Annäherung an die Person des Normannenkönigs, sondern in einer sorgfältigen, nach verschiedenen Gesichtspunkten systematisierten politischen Geschichte des Normannenreiches während der Herrschaft Wilhelms II. unter besonderer Akzentuierung der Stellung des Königs. Frau Schlichte präsentiert in ebenso kritischer wie sachlicher - und übrigens gut lesbarer - Auseinandersetzung mit Quellen und Forschung eine Fülle gut abgesicherter Einsichten und Ergebnisse, auf die man künftig gerne zurückgreifen wird.
Knut Görich