Achim Hubel: Denkmalpflege. Geschichte. Themen. Aufgaben. Eine Einführung, Stuttgart: Reclam 2006, 360 S., 64 Abb., ISBN 978-3-15-018358-8, EUR 9,00
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Seit einigen Jahren können sich Studenten im Masterstudiengang "Denkmalpflege" an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Fachhochschule Coburg erfolgreich für das spätere Berufsleben qualifizieren. In dem 2006 erschienen Reclam-Handbuch "Denkmalpflege" haben es sich ihre Lehrenden rund um den Kunsthistoriker Achim Hubel zum Ziel gesetzt, "die Geschichte, die Anliegen, die Aufgaben und die Probleme der Denkmalpflege in einer komprimierten, allgemein verständlichen Form darzulegen" und damit eine breite Leserschaft anzusprechen.
Es geht um Bau- und Kunstdenkmalpflege in den deutschen Bundesländern. Neben der Vermittlung geschichtlicher und denkmalkundlicher Grundlagen werden unter Herstellung des Aktualitätsbezugs Exkurse zu Spezialthemen angeboten. Dort geht es z.B. um Denkmale der Technik-, Industrie- und Verkehrsgeschichte, Methoden der Bauforschung und Restaurierung, die deutschen Denkmalschutzgesetze im Ländervergleich und ein Fallbeispiel aus der praktischen Denkmalpflege, die Sanierung eines ehemaligen Brauereigasthofes aus dem 16. Jahrhundert in Mittelfranken. Für die archäologische Denkmalpflege, die in der Einführung weitgehend ausgeklammert wird, hält man ein eigenes Handbuch auf Grund der spezifischen Wesensmerkmale des Faches sowie der Bandbreite an eigenen Themen für angemessener.
Ein vergleichbar handliches, aktuelles Überblickswerk zur Denkmalpflege findet sich allenfalls in der 2000 in seiner 4. Auflage erschienenen "Einführung in die Denkmalpflege" von Gottfried Kiesow, das in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen ist. Bereits aus dem Jahr 1980 stammt hingegen das in seinen Anliegen ähnliche Grundlagenbuch "Schutz und Pflege von Baudenkmälern in der Bundesrepublik Deutschland", herausgegeben von Gebeßler und Eberl im Kohlhammer Verlag. Der Mehrwert des Reclam Handbuches gegenüber den Vorgängern liegt z.B. in der Ausführlichkeit der (immer noch kurzen, aber prägnanten) historischen Einordnung, die gerade für fachfremde Leser eine unerlässliche Basis für das weitere Verständnis bietet und zugleich eine Anregung gibt, sich mit den Prinzipien und Aufgaben der Denkmalpflege näher zu beschäftigen.
Die geschichtliche Darstellung spannt den Bogen von der Spätantike bis zur Wiedervereinigung 1989 und den Folgejahren, wobei das 19. und 20. als die entscheidenden Jahrhunderte für die Konstituierung und Etablierung der staatlichen Denkmalpflege in Deutschland naturgemäß den Schwerpunkt bilden. Akzente werden durch markante historische Ecksteine wie die Heidelberger Schlossdebatte um 1901 oder die Charta von Venedig 1964 sowie durch nennenswerte Persönlichkeiten in der Geschichte der Denkmalpflege wie Karl Friedrich Schinkel, Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc oder Alois Riegl gesetzt. Auch thematische Aspekte werden herausgegriffen, wie die Entdeckung des Ensembles und die Ausweitung des Schutzgedankens auf ganzheitliche gewachsene Strukturen, z.B. Straßenzüge oder Städte. Es ist eine abwechslungsreiche Betrachtung gesellschaftspolitischer Strukturen und der daraus resultierenden, sich stetig wandelnden Einstellung der Bevölkerung zu ihrer Vergangenheit, die im Denkmalbewusstsein und dem Umgang mit dem baulichen Erbe ihren Niederschlag fand und findet. Die geschichtliche Darstellung regt dazu an, sich selbst historisch zu verorten und über Denkmalschutz und Denkmalpflege in der Gegenwart nachzudenken.
Das Handbuch umfasst mitsamt seinem Anhang 360 (Reclam-)Seiten. Der interessierte Leser wird es nicht an einem Stück von vorn bis hinten durchlesen, dafür liefert es doch zu umfangreiche Informationen. Die in sich stimmige und überzeugende Gliederung des Buches in drei Hauptkapitel, Unterkapitel und die begleitenden Exkurse lässt jedoch ebenso zu, dass man sich z.B. direkt die "Aufgaben, Ziele und Probleme der gegenwärtigen Denkmalpflege" herausgreift oder sich speziell dem Thema "Naturschutz und Denkmalpflege" widmet.
Die Sprache der Autoren ist überwiegend leicht verständlich, klar und präzise. Manche Formulierung verliert sich vielleicht für den Fachfremden zu sehr in technischen Details oder ist durch den Verzicht einer erklärenden Abbildung schwerer verständlich, etwa in Sätzen wie: "Schon in der Antike lernte der Mensch den Gebrauch der Wasserkraft. Durch ober-, mittel- und unterschlächtige sowie horizontale Wasserräder versuchte man so auf die Fließgeschwindigkeit und das Gefälle des jeweiligen Wasserlaufs zu reagieren, dass eine optimale Energiegewinnung erreicht werden konnte." (200) oder "Ein besonders wichtiges Instrument [für die Bauvermessung] ist heute der Rotationslaser, der durch seine elektronische Eigenhorizontierung zuverlässig und schnell horizontale und vertikale Ebenen selbst auf schwankenden Gerüsten schafft. Auch Winkel lassen sich mit ihm legen." (220)
Viele Denkmal-Fachbegriffe (wie "Konservierung" und "Restaurierung" in Abgrenzung zu "Renovierung" und "Rekonstruktion") werden unmittelbar im Text erläutert, ein Glossar gibt es dafür nicht. Lebendig wird die Darstellung mit didaktischem Anspruch beispielsweise in dem Vergleich von Abläufen in der Restaurierung mit Verfahren in der Medizin: Allgemein verständlich und anschaulich werden somit Bestands- und Zustandsaufnahme des Objektes analog zu Anamnese und Voruntersuchung des Patienten oder eine Evaluation durchgeführter Restaurierungsmaßnahmen gleichbedeutend einer medizinischen Nachsorgeuntersuchung. Selbst die beiden Berufsbilder werden verglichen und damit ihre Vielseitigkeit herausgestellt: "In Analogie zum Arzt in der Medizin, dessen Tätigkeitsfeld vom Unfallmediziner über den Schönheitschirurgen und den Kenner fernöstlicher Heilkunst bis zum Wissenschaftler in der klinischen Forschung reichen kann, ist auch das Spektrum in der Restaurierung nach Fachgebiet, persönlichen Vorlieben und aktuellem Bedarf breit gefächert." (242)
Die Publikation wird über alle Kapitel hinweg durch eine Reihe anschaulicher Beispiele bereichert, die komplizierte Sachverhalte und Definitionen wie die der "historischen Kulturlandschaft" erst nachvollziehbar und begreiflich werden lassen. Auch die 64 Abbildungen, Fotos, Skizzen, Pläne und Diagramme, tragen weitgehend zur besseren Verständlichkeit bei, wenngleich sie klein und schwarz-weiß sind.
Erfrischend an dieser Einführung in die Geschichte, Themen und Aufgaben der Denkmalpflege ist besonders, dass kritische Statements der Autoren nicht fehlen. So mahnt Hubel z.B. vor voreiligem, geschmäcklerisch motiviertem Handeln: "Weil sich [...] die Wertkategorien im Lauf der Zeit nachweisbar wandeln, ist der Kunstwert bei einem Denkmal nie absolut zu setzen [...] Folgerichtig darf die ästhetische Ablehnung nie als Argument für die Zerstörung oder Beeinträchtigung eines Denkmals verwandt werden!" (83/84) Oder er warnt vor dem Hintergrund der momentanen "Rekonstruktionsbegeisterung" einerseits und Gestaltungstendenzen der Gegenwartsarchitektur mit historisierenden Formen andererseits davor, das in der Charta von Venedig verlangte Prinzip bei notwendigen Wiederherstellungen misszuverstehen: "Wer verantwortungsvoll mit einem Denkmal umgeht, wird auch in Zukunft keine Zufügungen erlauben, die den Stil des Baus imitieren und damit die Grenzen zwischen den älteren und den neu gestalteten Teilen verwischen." (288)
Das Handbuch ist - wen wundert es bei den Autoren - wie eine anregende Vorlesung über Denkmalpflege, die zum Griff nach weiteren interessanten Fachbüchern zum Thema ermuntert.
Meta Friese