Rezension über:

Maria Deiters: Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg. Studien zur Rekonstruktion eines verlorenen Zentrums (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst; 7), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2006, 189 S., ISBN 978-3-87157-208-1, EUR 76,00
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Rezension von:
Sabine-Maria Weitzel
Greifswald
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Sabine-Maria Weitzel: Rezension von: Maria Deiters: Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg. Studien zur Rekonstruktion eines verlorenen Zentrums, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/9773.html


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Maria Deiters: Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg

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Das Buch von Maria Deiters ist weder, wie der Titel vermuten lassen könnte, eine reine Stilgeschichte, noch eine bloße regionalgeschichtlich ausgerichtete Geschichte der Kunst um 1400 im Erzstift Magdeburg. Anschaulich werden bisher wenig bekannte Zeugnisse "magdeburgischer Kunst" dargeboten, die zugleich als Schlüsselwerke für die Wirkungsweise des Zentrums Prag im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert gelten. So wird die Stellung Magdeburgs innerhalb der Machtpolitik Karls IV. auch in ihrer Bedeutung für die mitteldeutsche Kunstproduktion erhellt.

In drei Kapiteln stellt Maria Deiters einzelne Werkgruppen vor, die für verschiedene Auftraggeberkreise und deren spezifische Intentionen stehen. Im ersten Kapitel wird anhand des Ausstattungsensembles der ehemaligen Franziskanerklosterkirche in Barby bei Magdeburg exemplarisch die Stiftungstätigkeit adliger Eliten im Elbe-Saale-Raum veranschaulicht, die sich durch eine große Nähe zum Prager Hof auszeichnen. So verwundert nicht das Auftreten von stilistischen Eigenheiten, die für die Prager Hofkunst Ende des 14. Jahrhunderts kennzeichnend sind. Doch beispielsweise konnte nun die kunsthistorische Einordnung der bisher als "böhmisch" geführten so genannten Flötzer Tafeln, die vermutlich ehemals zu zwei Retabeln der Barbyer Johanniskirche gehört haben, dahingehend präzisiert werden, dass sie wahrscheinlich in einer magdeburgischen Werkstatt entstanden sind, in der böhmische wie westliche Stileinflüsse wirksam wurden (57).

Das zweite Kapitel ist geistlichen Stiftungen gewidmet. Dabei erhalten von den Ausstattungsobjekten des Magdeburger Domes die Magdeburger Pietà (um 1390/95) im Rahmen der Memorialstiftung von Erzbischof Albrecht von Querfurt (1384-1403) und das Ausmalungsprogramm der Kapelle des Domdekans Johann von Redekin (1403 Kapellenstiftung quellenkundlich datiert) erstmals eine umfassende kunsthistorische Würdigung.

Das dritte Kapitel fokussiert das um 1435 datierte ehemalige Hochaltarretabel der St. Nikolaikirche in Jüterbog als Akt stadtbürgerlicher Repräsentation. Die Analyse des Jüterboger Retabels und der stilistisch verwandten Werke aus dem Umkreis zielt zusammenfassend darauf, die Strahlkraft Magdeburgs als Kunstzentrum bis in die Mark Brandenburg und die Niederlausitz zu verdeutlichen.

Anhand methodisch vielseitiger Betrachtungen gelingt es Maria Deiters, die Werke nicht nur stilgeschichtlich einzuordnen, sondern sie in ihren Wirkungsabsichten und in ihrem Funktionszusammenhang zu erschließen. Feinsinnige Beschreibungen würdigen die Bildwerke als Ausdrucksträger ihrer Aufgaben. Hier sei zum Beispiel auf die Behandlung der ersten angeführten Werkgruppe und zwar der beiden Stifterfiguren, des Epitaph-Reliefs und des Grabmals der Franziskanerklosterkirche in Barby (25-35) hingewiesen. Die Einflussnahme der in Frage kommenden Auftraggeber auf die konzeptionelle Gestaltungsweise wird bei diesem Ausstattungsensemble von Barby jedoch sehr eng gefasst, wenn betont wird, dass die Form- und Bildsprache der Werke vor allem für eine Selbstdarstellung der Familie spricht. Dies überrascht insofern, da Maria Deiters selbst relativierend feststellt, dass der Konvent an einem "Gründerkult" ebenfalls Anteil gehabt haben wird (35). So sind die Einzelbeobachtungen brillant, die daraus abgeleiteten Thesen jedoch nicht durchgängig überzeugend.

Im zweiten Kapitel veranschaulicht die kontextbezogene Analyse der Magdeburger Pietà, dass erst mit der Rekonstruktion der ursprünglichen Aufstellung sich die Bedeutung eines Bildwerks erschließt. Daher empfiehlt es sich, die quellenkundlich verifizierbare Verortung dieses Vesperbildes auf den von Erzbischof Albrecht gestifteten Altar mit einem Corpus Christi-Patrozinium nicht als Höhepunkt der Indizienkette anzuführen (74), sondern an den Ausgangspunkt der Überlegungen zu stellen. Denn auch wenn die Verbindung des Corpus Christi-Patroziniums mit den Vesperbildern seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geläufig erscheint (68-73), kann nicht zwingend aus dem Bildtyp oder der Darstellungsweise auf eine Zugehörigkeit zu einem mit diesem Weihetitel geführten Altar geschlossen werden. Vielmehr ist die Passionsfrömmigkeit und speziell die Compassio Mariae als Hintergrund der Vesperbilder zu berücksichtigen, was sich in der Bezeichnung "Pietà" - ein Schlüsselwort der dichterischen Marienklage - sprachlich ausdrückt. Bei der Bewertung der Wirkungsweise und des Stellenwerts der Magdeburger Pietà bleibt anzumerken, dass Verweise auf die rege Diskussion der jüngeren Forschung über Definitionen des Kult- und Andachtsbildes [1] sowie eine begriffliche Abgrenzung von Kultbild versus Gnadenbild (75) zumindest im Anmerkungsapparat wünschenswert gewesen wären. Das betrifft auch die durchaus berechtigte Thematisierung eines "Andachtsbildcharakters" bei dem Barbyer Epitaph (30), was jedoch angesichts der bewegten Begriffsgeschichte einer Erläuterung bedarf.

Sehr ausführlich wird das Bildprogramm des ehemaligen Jüterboger Hochaltarretabels im Hinblick auf seine theologische Aussagekraft untersucht (104-130). Besonders die Darstellung des Sündenfalls, welcher Maria unter dem Baum der Erkenntnis direkt in einem Bildfeld gegenübergestellt ist, nimmt die Autorin aufgrund der Eva-Maria-Antithese zum Anlass, in diesem Themenkomplex antihussitische Implikationen zu erkennen (108-112). Spätestens bei der Interpretation der Kreuzabnahme, die erneut vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Hussiten gesehen wird (116), erhält man den Eindruck, dass die Theorie von antihussitischen Bildprogrammen erst durch eindeutigere Zeugnisse bewiesen werden müsste. Abgesehen davon hätte die Bedeutung der Sündenfalldarstellung im Hinblick auf das Gesamtprogramm deutlicher aufgezeigt werden sollen. Wenn das Retabel geschlossen ist, erfasst dieses Bildfeld mit der Eva- bzw. Sündenfall-Maria-Kontrastierung die Überwindung des Alten Bundes (Außenansicht) durch den Neuen Bund (erste und zweite Wandlung), speziell durch den Erlösertod Christi, wobei Maria als Heilsmittlerin verehrt wird, wie die thronende Madonna der Schreinansicht zeigt. Der Umgang mit jüngeren Ergebnissen zur Wandlungspraxis der Retabel ist sehr großzügig, wenn die verschiedenen Retabelansichten dem Schema der älteren Forschung folgend als "Alltags-, Feiertags- und Festtagsansicht" beschrieben werden, zumal die Bezeichnung von Feiertags- und Festtagsseite kein Unterscheidungsmerkmal bietet. [2] Ferner ist anzumerken, dass Altarbildern zwar sakramentaltheologische Vorstellungen immanent sind, jedoch nicht ausschließlich. Denn der Altar erhält nicht allein als Ort der Eucharistiefeier seine Bestimmung, sondern auch durch die Gegenwart der Reliquien als Verehrungsort von Schutzpatronen. So ist die Intention der Retabelbildprogramme nicht allein auf die Messfeier hin akzentuiert. [3]

Insgesamt bietet die Publikation aufgrund der monografisch untersuchten Werkgruppen einen vielversprechenden Brückenschlag zwischen Stil- und Funktionsanalyse, gleichwohl der Leitfaden der Darstellung die Bestandsaufnahme der Werke im böhmisierenden Stil blieb. So gewinnen wir einen differenzierten Einblick in Rezeptionsformen des "Schönen Stils" - jener Kunstströmung, die um die Jahrhundertwende Zentraleuropa vereinigte. Damit stellt die Rekonstruktion des Kunstzentrums Magdeburg eine detailreiche Ergänzung zum opulenten Band der Ausstellung "Karl IV. - Kaiser von Gottes Gnaden" dar. [4]


Anmerkungen:

[1] Stellvertretend sei genannt: T. Noll: Zu Begriff, Gestalt und Funktion des Andachtsbildes, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte (ZfK) Bd. 67 (3/ 2004), 297-328.

[2] Bisher war dabei von Alltags- bzw. Werktags-, Sonntags- und Feiertagsansicht die Rede. Dies korrigierend: G. Weilandt: Alltag einer Küsterin. Die Ausstattung und liturgische Nutzung von Chor und Nonnenempore der Nürnberger Dominikanerkirche nach dem unbekannten "Notel der Küsterin" (1436), in: Kunst und Liturgie, Choranlagen des Spätmittelalters - ihre Architektur, Ausstattung und Nutzung, hrsg. von A. Moraht-Fromm, Ostfildern 2003, 159-188.

[3] P. Poscharsky: Der mittelalterliche Altar - Die Bedeutung seiner Bilder, in: Theologie und Kultur - Geschichten einer Wechselbeziehung, Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Lehrstuhls Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst an der Humboldt-Universität zu Berlin, hrsg. von G. Strohmaier-Wiederanders, Halle 1999, 217-230. R. Suckale: Beiträge zur Kenntnis der böhmischen Retabel aus der Zeit Kaiser Karl IV., in: Malerei und Skulptur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in Norddeutschland - Künstlerischer Austausch im Kulturraum zwischen Nordsee und Baltikum, 2. Bd., hrsg. von H. Krohm, Wiesbaden 2004, 247-266.

[4] Karl IV. - Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310-1437, hrsg. von J. Fajt, Berlin 2006.

Sabine-Maria Weitzel