Jutta Held / Norbert Schneider: Grundzüge der Kunstwissenschaft. Gegenstandsbereiche - Institutionen - Problemfelder, Stuttgart: UTB 2007, 603 S., ISBN 978-3-8252-2775-3, EUR 24,90
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Nicht wegzudenken aus Lehrbuchsammlungen und Universitätsbuchhandlungen ist eine Reihe, die nicht nur ihrer blau-roten Umschlagsgestaltung wegen einen hohen Wiedererkennungswert besitzt. Vor allem konzeptuell haben sich die 'universitären Taschenbücher' von UTB dem Leitsatz verschrieben, wissenschaftliche Einführungsliteratur zu bezahlbaren Preisen zu liefern. Hervorgegangen aus einer 1970 gegründeten Kooperation verschiedener renommierter Wissenschaftsverlage, die in der Folge der Studentenbewegung dem Bedürfnis nach "qualitativ hochwertigen und dennoch erschwinglichen Lehrbüchern" (Verlag) entgegenkommen wollten, hat sich das Programm aktuellen Entwicklungen immer wieder durch neue Formate bis hin zu E-Publishing und Online-Foren angepasst, durch programmatische Offenheit den Austausch von Forschung und Lehre befördert und für viele Disziplinen unverzichtbare Einstiegsliteratur bereitgestellt. Unter den ca. 30 vertretenen Fachbereichen war die Kunstgeschichte bislang nur mit Einführungen in klar begrenzte Bereiche wie die Kunst des Mittelalters, moderne Architektur oder die Ikonographie des Barocks [1] präsent. Seit Anfang dieses Jahres liegt nun auch ein allgemeiner Grundriss der Kunstwissenschaft vor. Geschrieben hat ihn ein Autorenteam, das von seiner akademischen und anschaulichen Herkunft nicht besser zum eigentlichen Gedanken des Programms passen könnte und das auf lange Jahre der Zusammenarbeit zurückblicken kann: die erst kürzlich verstorbene Jutta Held, die in Fragen des Faches stets engagiert Position bezogen hat, und ihr in Karlsruhe lehrender Kollege Norbert Schneider.
Wie aus Titel, Klappentext und Vorwort hervorgeht, verstehen die Autoren ihr Werk als eine systematische, historische wie kritische Einführung in Probleme, Fragen und Methoden der akademischen und praktischen Kunstgeschichte. Entsprechend komplex gestaltet sich die 10 große Kapitel umfassende Gliederung. Ausgehend von der Frage nach Begriff und Wesen von Kunst (Kap. I) werden von methodischen Kernpunkten bis zum Einzelwerk hin die wichtigsten Felder der Kunstgeschichte behandelt: Die Gegenstandsbereiche der Kunstgeschichte (Kap. II), Kunstgeographie und -periodisierung (Kap. III), die soziale Dimension künstlerischer Produktion und Rezeption (Kap. IV) und Grundgedanken der Denkmalpflege und der Museumsarbeit (Kap. V) kommen ebenso zur Sprache wie allgemeine Überlegungen zu den materiellen und "ideellen" (288 ff.), sprich formalen, inhaltlichen und kompositorischen Aspekten des Kunstwerks (Kap. VI). Gelenkstelle zwischen diesem und dem nächsten Abschnitt bilden Überlegungen zum Stilbegriff und seiner möglichen Revision (Kap. VII). Das letzte Drittel konzentriert sich auf den Umgang mit dem tatsächlichen Objekt, wobei verschiedene - klassische und jüngere - Möglichkeiten der Bildanalyse theoretisch dargelegt (Kap. VIII) bzw. an Tizians Schindung des Marsyas exemplifiziert werden (Kap. IX). Ein abschließender Blick gilt fächerübergreifenden Theoriemodellen und 'turns' wie den Neurowissenschaften, der Genderforschung, den post-colonial studies oder den Bildwissenschaften und ihrem Potenzial für die Kunstgeschichte (Kap. X).
Einen solchen Band für ein Fach zu schreiben, das sich nie wie etwa die Geschichtswissenschaften oder die Philologien zur chronologischen oder geografischen Konzentration auf Zuständigkeitsbereiche durchringen konnte, ist kein einfaches Unterfangen, und vielleicht der Grund, weshalb methodische Überblickswerke in der deutschsprachigen Kunstgeschichte, zumal aus 'einer' Feder [2], nach wie vor selten sind. Dass es in diesem Fall auf besondere Weise gelingt, liegt daran, dass die Autoren bewusst den Anspruch aufgeben, eine allgemeingültige, enzyklopädische Darstellung vorzulegen, sondern sich auf jene methodische Umstrukturierung berufen, die der akademische Part seit den 1960er-Jahren erfahren hat (13 f). Konkret bedeutet dies, dass neben genuinen und traditionellen kunsthistorischen Arbeitsweisen besonders die Ansätze vertreten sind, die die damals erfolgte Öffnung gegenüber Theorien und Methoden anderer Fachrichtungen und Kulturräume hereingelassen hat, seien sie französischer Provenienz, Gefolge der angelsächsischen cultural studies und New Art History oder hauseigener Natur wie die kritische Theorie der Frankfurter Schule. Auf eine eigenständige 'Geschichte der Kunstgeschichte' wird daher auch verzichtet. Fachhistorische Elemente erscheinen vielmehr unter den jeweiligen Begriffen und Methoden, die in sich konsequent in ihrer jeweiligen geschichtlichen Entwicklung und ihrem aktuellen Profil dargestellt sind, während sie zueinander in einer ebenso konsequenten Ordnung vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Großen (Gattung, Epoche etc.) zum Kleinen (Kunstwerk), jeweils von der Architektur über Plastik und Malerei zu graphischen Künsten und angewandter Kunst stehen. Eine Systematik dieser Art liefert viele erhellende Momente, birgt jedoch auch die Gefahr der einen oder anderen Wiederholung, so wenn sich Details im Umgang mit Werken der Malerei unter 'Gegenstandsbereiche', dem 'Kunstwerk' und in der Einzelanalyse wiederfinden. Gelegentlich sorgt die strenge Trennung sogar für Verwirrung, etwa wenn das Problem der Form zunächst unter den Vorzeichen formwissenschaftlicher Ästhetiken (Kant, Fiedler, Fechner etc.) bzw. der Gestalttheorie - und getrennt von der Kompositionsfrage - abgehandelt wird (313-327), während sich das analytische Werkzeug kunsthistorischer 'Formklassiker' wie Heinrich Wölfflin oder Alois Riegl, das sich just aus den Erkenntnissen der genannten Wissenschaften um 1900 speist, getrennt davon unter dem Stilbegriff wiederfindet (343-350). Vor historiographischem Hintergrund ebenfalls ungewöhnlich erscheint, dass im Kapitel zum Kunstwerk Fragen des Bildinhaltes Formfragen vorgezogen werden - nicht nur die Entwicklung des Fachs spräche eher für eine genau umgekehrte Reihenfolge. Dahingestellt sei schließlich auch, ob für die anschließende exemplarische Einzelanalyse gerade die Marsyas-Schindung von Tizian wirklich glücklich gewählt ist, liegen doch für andere Bilder weitaus eindrücklichere Interpretationen vor als für dieses schwierige und nur schwer zu fassende Spätwerk des Venezianers.
Nimmt man jedoch jenseits dieser geringfügigen Anmerkungen zu inhaltlichen Fragen das Ganze in den Blick, so ist den Autoren ein gewichtiger Beitrag zum kunsthistorischen Denken und Arbeiten gelungen, der künftige Methodendiskussionen bereichern dürfte. Zwar lässt sich eines bei einem Projekt dieser Art nicht verhindern, nämlich, dass die methodische Handschrift und die persönlichen Schwerpunkte des "kleinen Autorenteams" (18) nicht zu übersehen ist. Sie machen sich vielmehr an verschiedenen Stellen bemerkbar, sei es in der Gewichtung sozialgeschichtlicher Fragen (vgl. Kap. IV), der Bevorzugung bestimmter Methoden sowie in der Wahl so manches Vergleichsbeispiels. Jedoch ist vielleicht gerade jetzt der richtige Augenblick gekommen, an die politische Dimension und gesellschaftliche Verantwortung geisteswissenschaftlichen Forschens zu erinnern, über deren theoretische Rahmenbedingungen man in diesem Buch viel erfährt. Dass es sich insgesamt nur unter gewissen Bedingungen als erste Hinführung zur Kunstgeschichte lesen lässt - was jedoch in keinerlei Hinsicht seinen Wert schmälert - liegt daran, dass gelegentlich das Niveau der theoretischen Reflexion zu hoch und das Netz von Fäden, das sich zu anderen Fächern oder allgemeinen kulturtheoretischen Fragestellungen spannt, stellenweise zu dicht ist, als dass der studentische Benutzer den Stoff bei der Erstlektüre in seinem gesamten Umfang erfassen können wird. Auch muss man wohl sagen, dass ein unerfahrener Leser die Handbücher und Fremdwörterlexika, deren Benutzung ihm in der Vorbemerkung (19) nahe gelegt wird, brauchen wird. Viel wichtiger für Studienanfänger wie für Fortgeschrittene aber dürfte sein, dass die Autoren stets zum Weiterdenken ermuntern, Fragen für und an die Zukunft formulieren und damit hoffentlich ein kritisches Denken anstoßen, das ausgesprochen wünschenswert erscheint angesichts der bevorstehenden Studiengangreformen und ihrem nicht besonders glücklichen Hang zur Normierung. Speziell im letzten Teil, in dem die Anschlussfähigkeit zu 'Projekten' anderer Disziplinen und akademischen Kulturen verhandelt wird, fordert das Buch zwischen den Zeilen dazu auf, den Geist wach und die Augen offen zu halten. Vielleicht auch, um durch Lektüre anderer Meinungen und 'Kunstgeschichten' die eigene Position immer wieder kritisch zu reflektieren und zu bestimmen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zu diesem Band die Besprechung von Christian Hecht in sehepunkte 7 (2007), Nr. 3; URL: http://www.sehepunkte.de/2007/03/9148.html
[2] Einer der letzten Versuche liegt mittlerweile fast 30 Jahre zurück - vgl. Hermann Bauer: Kunsthistorik. Eine kritische Einführung in das Studium der Kunstgeschichte, München 1976, 3. erw. Auflage 1989. Andere Einführungen sind weniger systematisch konzipiert (vgl. den persönlicher formulierten, aber lesenswerten Beitrag von Marcel Baumgartner: Einführung in das Studium der Kunstgeschichte, Köln 1998) oder konzentrieren sich auf praktische Aspekte des Studiums (Renate Prochno: Das Studium der Kunstgeschichte, Berlin 1999). Anders stellt sich dies für Sammelbände dar, wie die nach wie vor erfolgreiche und empfehlenswerte, mittlerweile in der 6. erweiterten Auflage erschienene 'Kunstgeschichte. Eine Einführung', hrsg. von Hans Belting u.a., Berlin 2004; (vgl. hierzu die Rezension von Werner Telesko in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4, URL: http://www.sehepunkte.de/2004/04/5316.html) bzw. dessen Nachfolgeprojekt von Marlite Halbertsma / Kitty Zijlmans (Hg.): Gesichtspunkte. Kunstgeschichte heute, Berlin 1995 (niederländisches Original 1993), das jedoch nur bedingt an den Erfolg des ersten anknüpfen konnte.
Gabriele Wimböck