Jochen Haas: Die Umweltkrise des 3. Jahrhunderts n. Chr. im Nordwesten des Imperium Romanum. Interdisziplinäre Studien zu einem Aspekt der allgemeinen Reichskrise im Bereich der beiden Germaniae sowie der Belgica und der Raetia (= Geographica Historica; Bd. 22), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 322 S., ISBN 978-3-515-08880-0, EUR 52,00
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Das '3. Jahrhundert' gilt als Wasserscheide zwischen dem kaiserzeitlichen und dem spätantiken Imperium Romanum. Die von auswärtigen Einfällen, inneren Unruhen, rasch aufeinanderfolgenden Usurpationen, regionalen Separationsbestrebungen, wirtschaftlicher Depression und verschiedenen Seuchenzügen geprägten Jahre zwischen dem Ende der Severer-Dynastie (235) und dem Herrschaftsantritt Diokletians (284) haben in den letzten Jahren verstärkt Beachtung gefunden. [1] Dabei hat sich zum einen deutlich herauskristallisiert, dass die vermeintliche Zäsur zwischen dem 3. Jahrhundert und der Spätantike weniger abrupt verläuft, als vor allem in der älteren Forschung zumeist angenommen. Zum anderen wurde das Bild einer umfassenden Krise im 3. Jahrhundert deutlich relativiert - insbesondere unter Hinweis auf die grundsätzliche methodische Problematik des Krisen-Begriffs, aber auch mit Blick auf erhebliche regionale Differenzen bei der Konstatierung krisenhafter Erscheinungen im Römischen Reich. Dass auch einzelne Kaiser - vor allem Gallienus und Probus - im Zuge dieser Forschungen eine Neubewertung erfahren haben, sei nur am Rande vermerkt.
Jochen Haas widmet sich in seiner Stuttgarter Dissertation einem spezifischen Teilaspekt des 3. Jahrhunderts: Der so genannten Umweltkrise, d. h. der Frage "der Faktizität einer ökologischen Krise in der römischen Kaiserzeit, die zeitlich der allgemeinen Reichskrise des 3. Jh. zumindest parallel läuft" (13). "Anhand naturwissenschaftlicher und literarischer Quellen soll überprüft werden, ob Zeugnisse für eine Änderung innerhalb der Atmo-, der Bio- und Teilen der Geosphäre innerhalb des späten 2. und 3. sowie im 4. Jh. vorliegen, die im Sinne einer 'Krise' zu interpretieren sind" (17). Da für die "limesnahen 'Nordwestprovinzen" (13) bereits in größerer Dichte siedlungsarchäologische Vorarbeiten vorliegen, konzentriert sich der Verfasser vorwiegend auf den Nordwesten des Imperiums, greift aber durchaus auch verschiedentlich in andere Regionen aus, so etwa bei der Behandlung der 'Pest' in den Osten (78 ff.) oder auch im Kontext der Auseinandersetzung mit Cyprian nach Afrika (60 ff.).
Die Arbeit gliedert sich grob in zwei Teile: Im ersten Abschnitt wird auf der Basis literarischer Quellen nach antiken Vorstellungen von guter bzw. schöner Ordnung sowie den Faktoren ihrer Störung gefragt. Naturbegriffe, Deszendenzmodelle, apokalyptische und nicht-apokalyptische Wahrnehmungen von "Naturkrisen" werden vorgestellt, wobei der Horizont das 3. Jahrhundert weit überschreitet, indem der Autor bis in die Republik (u. a. Lukrez), die griechische Geschichte (Thukydides) und die Spätantike (Symmachus, Ambrosius, Orosius) ausgreift. Im zweiten Abschnitt wird mittels archäologischer Befunde und naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden der 'Umweltkrise' in einzelnen Regionen des römischen Nordwestens nachgegangen, wobei Haas gut daran tut, zwischen den literarischen Quellen und den Ergebnissen seines zweiten Untersuchungsteils sauber zu trennen und insbesondere Zirkelschlüsse zu vermeiden - wodurch topische Übertreibungen und intentionale Verzerrungen in den Texten mitunter umso klarer hervortreten.
Im Ergebnis bestätigt die Arbeit aktuelle Tendenzen in der Forschung, die eine zunehmende regionale Differenzierung postulieren, vermag dabei aber noch zusätzliche Anhaltspunkte für weitergehende Feinunterscheidungen an die Hand zu geben. Das 3. Jahrhundert selbst verliert dabei - zumindest aus der 'kulturökologischen' Perspektive - merklich an Spezifik, insofern Haas verschiedene Entwicklungen in längere, spätestens seit dem 2. Jahrhundert einsetzende Prozesse einordnen kann. Eine ökologische Krise für das bislang als besonders 'katastrophal' gekennzeichnete mittlere 3. Jahrhundert ist für ihn jedenfalls nicht nachweisbar, allerdings sei auch (und nicht nur) für diesen Zeitraum mit wiederholten klimatischen Extremereignissen zu rechnen, die sich regional unterschiedlich in besonderer Weise ausgewirkt haben könnten und möglicherweise im Hintergrund einiger literarischer Krisenzeugnisse gestanden haben könnten. Zudem scheint eine generelle Klimaverschlechterung stattgefunden zu haben: "Insbesondere neue Verfahren zur paläoklimatologischen Interpretation von dendrochronologischen Daten belegen [...] eine zunehmende klimatische Instabilität bei einer wachsenden Kontinentalität von der Zeitenwende bis ins späte 4. Jh. Das mittlere 3. Jh. war davon besonders betroffen. Welche Folgen die Trockenheit, deren Umfang man nur schwer quantifizieren kann, jedoch auf das Wirtschaftsgefüge hatte, bleibt noch schwer zu entscheiden; so auch, ob es sich um regelrechte Dürren mit katastrophalen Ernteausfällen handelt" (276).
Vor allem im ersten Teil der Untersuchung, der den literarischen Quellen gewidmet ist, wäre eine präzisere Anleitung des Lesers wünschenswert gewesen. Das weitgehende Fehlen von konzisen Zusammenfassungen und klar formulierten Fragestellungen erweckt vielfach den Eindruck einer eher ungeordneten Material-Präsentation, die freilich einige wichtige Zeugnisse reflektiert, welche aber pointierter hätten herausgearbeitet werden können. Aus Haas' Art und Weise der Materialaufbereitung können Missverständnisse entstehen: So wird etwa Eutrop als erster Beleg für ein Krisenbewusstsein im 3. Jahrhundert präsentiert, was quellenkritisch höchst problematisch ist und - wie sich dann bei der weiteren Lektüre zeigt - in dieser Tragweite auch gar nicht intendiert ist (23). Mitunter vermisst man wichtige Titel der Sekundärliteratur; so wurde etwa die von Géza Alföldy angestoßene Diskussion der literarischen Quellen (vorwiegend Cyprian) als 'Krisenzeugnisse' von Karl Strobel aufgegriffen, dessen Arbeit Haas aber nicht benutzt hat (vgl. etwa 19, 60 ff.). [2] Der christliche Historiker Orosius lässt sich nur schwer ohne Heranziehung der einschlägigen Monografie von Hans-Werner Goetz behandeln [3], zur Frage nach der Existenz von Ratten in der griechisch-römischen Antike liegt mittlerweile die Arbeit von Michael McCormick vor. [4] Hinsichtlich der 'Antoninischen Pest' ist es keineswegs so, dass sie "im Allgemeinen [...] als herausragende Zäsur innerhalb der Geschichte der römischen Kaiserzeit" gilt (78). [5]
Die von Jochen Haas exemplarisch vorgeführte Gegenüberstellung literarischer Quellen und siedlungsarchäologischer bzw. mit naturwissenschaftlichen Methoden gewonnener Ergebnisse zur Aufarbeitung eines umfassenden Fragenkomplexes verdient Beachtung und sollte als Impuls für weitere Forschungen zum 3. Jahrhundert aufgegriffen werden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt K. P. Johne / Th. Gerhardt / U. Hartmann (Hg.): Deleto paene imperio Romano. Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und ihre Rezeption in der Neuzeit, Stuttgart 2006.
[2] K. Strobel: Das Imperium Romanum im '3. Jahrhundert'. Modell einer historischen Krise?, Stuttgart 1993.
[3] H.-W. Goetz: Die Geschichtstheologie des Orosius, Darmstadt 1980.
[4] M. McCormick: Rats, Communications, and Plague. Toward an Ecological History, in: Journal of Interdisciplinary History 34 (2003), 1-25.
[5] Vgl. etwa das stark relativierende Urteil von J. F. Gilliam: Die Pest unter Marc Aurel, in: R. Klein (Hg.): Marc Aurel, Darmstadt 1979, 144-175, hier 157-159; anders freilich R. P. Duncan-Jones: The Impact of the Antonine Plague, in: Journal of Roman Archaeology 9 (1996), 108-136, hier 136.
Mischa Meier