Christine Meek / Catherine Lawless (eds.): Victims or Viragos? (= Studies on Medieval and Early Modern Women; Vol. 4), Dublin: Four Courts Press 2005, 240 S., ISBN 978-1-85182-888-3, EUR 55,00
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"The Y-chromosome is a scrappy little thing, and yet for the rest of a man's life it directs his body to one crucial goal: that of preventing him from reverting to his natural sex state - of being female." (Robin McKie, The Y Chromosome, in: The Observer 27. Juni 2004) Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen zum Thema "natürliches Geschlecht", Transsexualität und der Fluidität sexueller Identität ist der von Christine Meek, Professorin für Mittelalterliche Geschichte am Trinity College Dublin, und Catherine Lawless, Lecturer am History Department der Universität Limerick, hier vorzustellende Sammelband entstanden. Während bis vor nicht allzu langer Zeit Forscher jeglicher Disziplinen im Verein mit Theologen davon ausgegangen waren, dass Frauen nichts anderes als "deformierte Männer" (9) seien, stellt sich vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse der Natur- und Humanwissenschaften die Frage nach historischen Definitionen des Verhältnisses der Geschlechter zueinander und ihrer Rollen in einer etwas veränderten Perspektive.
Die zwölf Autoren, sechs Frauen und sechs Männer, diskutieren die Rollen und die Wahrnehmung von herausragenden weiblichen Persönlichkeiten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit durch ihre Zeitgenossen. Kimberley A. LoPrete kommt in ihrem Aufsatz "Gendering viragos: medieval perceptions of powerful women" für das frühe Mittelalter dabei zu wichtigen Ergebnissen: Zum einen bestätigt ihre Arbeit neuere Forschungsergebnisse, wonach vor der ersten Jahrtausendwende "Herrscherinnen", "powerful women", wie LoPrete sie bezeichnet, weniger selten waren als bisher angenommen. Wie Marc Bloch bereits 1961 deutlich machte, konnten Frauen in Mittel- und Westeuropa bis zum Hochmittelalter aufgrund der Verbindung von öffentlicher und privater Sphäre ihre Rolle als Gattin, Mutter und Hausfrau mit der einer Herrscherin vereinen. [1] Darüber hinaus zeigt LoPrete, dass in zeitgenössischen Quellen der Begriff virago in den meisten Fällen keine negative Konnotation hatte, sondern gebraucht wurde, um "vornehme" Frauen zu preisen, die Funktionen eines Herrschers ausübten. Diesen Frauen wurden zwar "männliche" Tugenden zuerkannt, doch negierten dieselben Quellen nicht die gleichzeitige Weiblichkeit der Frau. Weiblichkeit, Mutterschaft und Tugendhaftigkeit konnten mit männlichem Handeln verbunden werden, ohne dass daraus in der zeitgenössischen Wahrnehmung - wie dies die traditionelle Mittelalterforschung, in diesem Fall Georges Duby, lange Zeit suggeriert hat (18-19) - ein Mannweib oder ein hybrides Monster entstand (21).
Zu einem ambivalenteren Ergebnis kommen Patrick Healy und Conor Kostick für die Zeit der Kreuzzüge. Auch wenn Matilda von Toskana von Hugo von Flavigny als virago im positiven Sinne bezeichnet wird ("ut merito nominetur virago, quae virtute animi etiam viros praeibat"), [2] so wurde ihre Intervention im Kontext des Investiturstreites von den meisten Zeitgenossen als nicht angemessen und somit negativ wahrgenommen (55). Dass die von Guisbert von Nogent - und auch noch von Georges Duby fast 800 Jahre später - als prostitutae mulieres bezeichneten Frauen der Kreuzzüge streng genommen nicht allesamt dem angeblich ältesten Gewerbe der Menschheit nachkamen, zeigt Conor Kostick in seinem Beitrag. Der zeitgenössische Begriff prostitutae stigmatisierte alle unverheirateten Frauen im Gefolge der Kreuzzüge, also auch Laienpilgerinnen und als Männer verkleidete Frauen, die sich so auf ihrer Kreuzesfahrt vor männlichen Übergriffen zu schützen suchten (65).
In "Women's prospects in early sixteenth-century Germany. Did Martin Luther's teaching make a difference?" untersucht Helga Robinson-Hammerstein die Auswirkungen der lutherischen Reformation auf Ehe, Rollenbilder und "Alternativen" zur Ehe und bestätigt hier bereits vorliegende Forschungsergebnisse. Während vorreformatorische Wertvorstellungen das Klosterleben als das höherwertige und besonders für Frauen ideale Leben definierten, fiel diese Alternative - zum Unwillen etlicher Nonnen (112-114) - in den von der Reformation betroffenen Territorien weg. Karrieren im Kloster, für weibliche Angehörige des Adels durchaus eine Möglichkeit, gesellschaftlich anerkannt und geachtet "männliche" Funktionen auszufüllen, machten nun der nach Luther einzig wahren und von Gott bestimmten Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter Platz.
Lange Zeit in der Forschung als Männerdomäne gedeutet und anerkannt, haben neuere Arbeiten gezeigt, dass Frauen in Kriegszeiten nicht lediglich Opfer waren, sondern aktiv an Kriegshandlungen beteiligt. [3] Zwischen Macht als einer Fähigkeit, politische Ereignisse zu gestalten, und Autorität als formal anerkannter und legitimierter Macht unterscheidend, untersucht Bernadette Whelan in ihrem Beitrag die Auswirkungen des Kriegsgeschehens auf Frauen im Irland des 17. Jahrhunderts. Im Aufstand von 1641 und dann während der jakobitischen Kriege von 1689 bis 1691 waren Frauen in Irland keineswegs nur im Gefolge der Armeen als Ehefrauen von einfachen Soldaten und Offizieren und als Prostituierte anzutreffen. Vielmehr waren sie aktiv als Führerinnen im Aufstand von 1641, verantwortlich für die Hinrichtung etlicher Protestanten, als offizielle Lieferanten der Armeen, als weibliche Soldaten und ihre Güter und Burgen verteidigende "Herrinnen" beteiligt.
Während Linda Kiernan und Alistair Malcolm in ihren Beiträgen zu Ehe und Mätressen am Hofe Ludwigs XIV. bzw. Frauen am spanischen Königshof bereits bekannte Rollen von Frauen als Machtinstrumenten und ihre beträchtliche Einflussnahme auf die Politik der offiziell Herrschenden bestätigen, stellt Michael Brown mit John Millar einen wenig bekannten Vertreter der schottischen Aufklärung und "Protomarxisten" vor, der der Frau zwar nach wie vor den Platz "zu hause" zuwies, den Grad der Perfektion der Menschheit jedoch am Verhältnis von Mann und Frau abzulesen meinte. Despotismus in der Ehe setzte Millar mit Sklaverei gleich, ein harmonisches Verhältnis von Mann und Frau deutete er als Zeichen für die Entstehung einer besseren Gesellschaft.
Colm O Conaills Beitrag bestätigt auf der Basis intensiven Quellenstudiums neuere Forschungsergebnisse, wie sie Suzanne Desan in ihrer Studie "The family on trial in Revolutionary France" bereits 2004 - vor allem mit Bezug auf das Departement Calvados - formuliert hat. O Conaills und Dezans Studien stellen beide die herkömmliche Lehrmeinung zu Frauen und Frauenrechten in der Revolutionszeit in Frage, wie sie von Lynn Hunt, Joan Landes u.a. vertreten wird. Hunt und Landes argumentieren, dass die Französische Revolution und ihre herausragendsten Politiker Frauen von jeglicher Partizipation an politischen Entscheidungen fernzuhalten suchten und damit den Platz der Frau für die nächsten hundertfünfzig Jahre im Privaten, "am Herd" zementierten. O Conaills Studie zeigt anhand des Scheidungsrechtes, dass Frauen, obwohl sie offiziell von politischer Partizipation ausgeschlossen waren, da ihnen weder das aktive noch passive Wahl- noch das Versammlungsrecht gewährt worden war, trotzdem am politischen Diskurs teilnahmen und sie über diesen Diskurs in der Lage waren, zumindest das Familienrecht in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Deutsche Vertreter der gender studies werden in diesem Band - wie dies häufiger bei Titeln aus dem anglo-irischen Raum der Fall ist - eine Theoriediskussion vermissen. Diese bleibt bei den meisten Beiträgen außen vor. Doch geht es, wie Meek und Lawless in ihrer Einleitung deutlich machen, nicht um gender theories, sondern um Frauen als "historical subjects in medieval and early modern Europe" (10). Was diese Beiträge vereint, ist Natalie Zemon Davis' Ansatz, dass es die Aufgabe von Historikern sei, die Rolle der Geschlechter in der Vergangenheit zu begreifen lernen und zu verstehen, welche Funktion sie in der Bewahrung/Stabilisierung von "sozialer Ordnung" hatten oder inwieweit sie deren Wandel vorantreiben konnten. [4] Während einige Beiträge wie der LoPretes, Whelans oder O Conaills genau diese Aufgabe erfüllen und vor allem LoPrete und Kostick es vermeiden, "moderne Konzepte" von "Opfer und Mannweib" in anachronistischer Manier auf das Mittelalter zu übertragen, wirken andere Aufsätze wie der Cordelia Warrs oder Maia Sherdians sehr deskriptiv. Hier muss sich der Leser selbst die Frage beantworten, wie denn nun das Leben und Werk einer Emma von der Normandie und einer Chiara von Montefalco im Spannungsfeld von "Opfer" oder "Mannweib" einzuordnen ist bzw. welche Rolle sie für Kontinuität und Wandel der Wahrnehmung und der Funktionen der Geschlechter spielen.
Insgesamt ein Sammelband, der mit einigen Aufsätzen neue Aspekte der historischen Rolle der Frau in Mittelalter und Früher Neuzeit und deren Wahrnehmung durch ihre Zeitgenossen aufzeigt, während andere Beiträge der Forschung sehr vertraute Ergebnisse bestätigen bzw. wiederholen.
Anmerkungen:
[1] Marc Bloch: Feudal Society, übersetzt von L.A. Manyon, 2 Bde., Chicago 1961.
[2] Chronicon Hugonis Monachi Virdunensis et Divinionensis et Abbatis Flaviniacensis, ed. G.H. Pertz, Monumenta Germaniae Historica SS 8, 462.15.
[3] Natalie Zemon Davies: "Women's history in transition: the European case", in: Feminist Studies 3 (1975-1976), 83-103, hier 90.
[4] Vgl. beispielsweise Mary O'Dowd: Women and war in Ireland in the 1640's, in: Margaret MacCurtain / Mary O'Dowd (eds.): Women in early modern Ireland, Dublin 1991, 91-102.
Susanne Lachenicht