Albrecht Cordes (Hg.): Juristische Argumentation - Argumente der Juristen (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; Bd. 49), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, IX + 239 S., ISBN 978-3-412-21805-8, EUR 39,90
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Dieter Baldauf: Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Andrea Griesebner / Martin Scheutz / Herwig Weigl (Hgg.): Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.-19. Jahrhundert). In Kooperation mit dem Institut für die Erforschung der Frühen Neuzeit, Wien, Innsbruck: StudienVerlag 2002
Elmar Wadle: Geistiges Eigentum. Bausteine zur Rechtsgeschichte, Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1996
Welche Motive und Argumente legt der Richter seiner Entscheidung zugrunde? Diese Frage zu stellen hat in der Frühen Neuzeit zweifellos ihren Reiz. Der vorliegende Sammelband ist aus einem wissenschaftlichen Kolloquium der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung im Oktober 2004 hervorgegangen, das den Stellenwert frühneuzeitlicher juristischer Argumentation untersucht hat. Der vorliegende Band, der acht Beiträge zusammenfasst, unternimmt den Versuch, darauf aus unterschiedlicher Perspektive eine Antwort zu geben. So prekär einerseits die Frage ist, inwieweit man den nach außen kund getanen Argumenten der Juristen trauen darf, so harrt sie doch andererseits einer Antwort, wenn man sich mit dem Aussagewert von Gerichtsurteilen und ihren Begründungen beschäftigen will. Juristen scheinen gegenüber Historikern im Vorteil zu sein, weil sie um das richterliche Handwerk wissen; der Historiker ohne juristische Vorbildung könnte dazu neigen, sein Misstrauen gegenüber den Vertretern des geltenden Rechts in die Vergangenheit zu transportieren. Doch sollte man daraus keine Schlussfolgerungen zu Lasten einer interdisziplinären Untersuchung ziehen: die historische Kriminalitätsforschung z.B. hat längst genuin rechtshistorische Fragestellungen in Besitz genommen und diese auch ohne juristisches Handwerkszeug zu interpretieren verstanden. Auch Rechtshistoriker können - wenn auch in kritischer Distanz - von diesen Forschungen profitieren.
Trotzdem ist der Hinweis vom Herausgeber auf den Sachverstand des Juristen bei der Untersuchung derjenigen Quellengruppen, in denen praktisch tätige Juristen ihre Argumente niedergeschrieben haben, nicht von der Hand zu weisen. Die Quellen gehen in der Frühen Neuzeit weit über die herkömmlichen Prozessakten hinaus und umfassen neben umfassenden Konsiliensammlungen immer auch die gedruckten wie ungedruckten Schriften des gemeinen Rechts, mit denen die Akte(n) der juristischen Praxis kontextualisiert werden müssen. Der Beitrag von Alain Wijffels zu den Argumentationsmustern in belgisch-niederländischen Konsiliensammlungen des 16. Jahrhunderts liefert dafür ein eindrucksvolles Beispiel (55-73). Unter diesen Umständen leuchtet es ein, dass man sehr gut mit den Arbeitstechniken der untersuchten Zeit vertraut sein muss, um Unklarheiten, Unsicherheiten und Fehler eines Urteils zu entdecken. Dabei hilft zunächst einmal weiter, danach zu differenzieren, ab wann, in welcher Weise und für wen die Urteile begründet wurden. Die Referenten haben unter dem Eindruck ihres jeweils spezifischen Quellenfundus die obengenannte Ausgangsfrage daher jeweils in zwei Richtungen ausgeweitet.
Zum einen wurde die Vorfrage aufgeworfen, unter welchen Umständen und gegebenenfalls für welchen Leserkreis die Gerichte ihre Gründe überhaupt offen legten. Das war nach Zeiten und Regionen, wie Ignacio Czeguhn anhand der iberischen Halbinsel im Vergleich zu Deutschland zeigen kann, natürlich unterschiedlich (219-239). Während man in Aragón, Valencia und Katalonien Urteile begründete, sahen die kastilischen Juristen kein Erfordernis dies zu tun. Insoweit hielt man sich an das römisch-kanonische Recht, das eine Begründung des Urteils nicht vorsah, allerdings auch nicht verbot. Die Situation auf der iberischen Halbinsel ist demnach vergleichbar mit der in den italienischen Staaten und zum Teil mit der in Frankreich. Zum anderen setzte sich um 1800 die Auffassung durch, Entscheidungspublikationen deshalb vorzunehmen, um den Richtern bei künftigen Entscheidungsbegründungen zu helfen. Das war letztlich auch mit staatlichen Interessen nach einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung verbunden. Allerdings vermeidet es der Band, hier die nahe liegenden Ursachen deutlich zu benennen: die Gedanken der Aufklärung einerseits, die Interessen des frühneuzeitlichen Staates andererseits. Spätestens an dieser Stelle hätte sich der Leser einen klärenden verfassungsgeschichtlichen Beitrag gewünscht, der die Zusammenhänge herstellt. Der Beitrag von Serge Dauchy und Véronique Demars-Sion liefert statt dessen eine zwar einleuchtende, aber eben nicht ganz rechtshistorische, eben weil medientheoretische Erklärung für die unterschiedliche Ausgestaltung von Urteilen in der Frühen Neuzeit (127-152). Danach lasse sich vermuten, dass auf der Skala von der handschriftlichen Erinnerungsstütze für den eigenen Gebrauch bis zur gedruckten Spruchsammlung die technische Perfektion der Darstellung zwar zu-, die Offenheit hinsichtlich der "wahren", zur Entscheidung führenden Motive hingegen abnahm.
Natürlich liegt ein weiterer Ansatz zur Beantwortung der Fragestellung des Bandes darin, nach den unterschiedlichen juristischen Berufsgruppen zu unterscheiden. Es erweist sich als reizvoll, nicht nur die Richter, sondern auch andere juristische Berufsgruppen und ihre Argumentationsmuster zu thematisieren, u.a. Anwälte oder Gutachter, also meist die Professoren an den juristischen Fakultäten der Universitäten. Bei von einer Partei engagierten und bezahlten Konsiliatoren stellt sich das Problem naheliegenderweise anders, da sie nicht ergebnisoffen zu argumentieren haben. Ulrich Falk zeigt, dass die Konsilien, die in aller Regel zu dem vom Besteller erwarteten (und bezahlten) Ergebnis kamen, in gedruckter Form eine hohe Vorbild- und Informationsfunktion für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis übernahmen (29-54). Thomas Lau zeichnet darüber hinaus ein aufschlussreiches Bild über den Advokaten des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts, der sich zunehmend durch die Publikation von Entscheidungssammlungen einer kritischen Kontrolle seiner Mandanten ausgesetzt sah (75-96).
Wie immer bei gelungenen Sammelbänden freut sich der Leser über den Ertrag der einzelnen Beiträge. Gleichzeitig bekommt er Appetit auf mehr zum Thema - werden doch auch die Forschungslücken bewusst aufgegriffen. Die Beiträge geben eine erste und dabei doch vielseitige Antwort auf die eingangs gestellte Problemstellung. Es bleibt zu hoffen, dass die sich daran anknüpfenden Fragen weiterverfolgt und das reichhaltige Quellenmaterial - das bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist - unter den genannten Aspekten weiter erforscht werden.
Louis Pahlow