Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung 1933-1945 (= Studien zur Zeitgeschichte; Bd. 71), München: Oldenbourg 2006, X + 476 S., 16 Abb., ISBN 978-3-486-57940-6, EUR 69,80
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Obgleich regionale Studien zum Nationalsozialismus seit Längerem ein beliebtes Forschungsfeld sind, blieb die kommunale Verwaltung bislang eher unterbelichtet. Diese weißen Flecken auf der regionalen Karte der Zeitgeschichtsforschung lassen sich nicht zuletzt auf das Standardwerk von Horst Matzerath zurückführen, das den Niedergang der kommunalen Selbstverwaltung im 'Dritten Reich' gewissermaßen zur Leitlinie der Verwaltungsgeschichte erhoben hat. [1] Außerdem bedingt ein überzogener Dualismus von Staat und Partei, den Bernhard Gotto in neueren Darstellungen nach wie vor am Wirken sieht (9), ein Desinteresse gegenüber kommunaler Teilhabe an nationalsozialistischer Herrschaft. Erst seit Kurzem nimmt sich die Geschichtswissenschaft diesem Forschungsfeld mit neuen Fragestellungen an, sodass Andreas Wirsching angesichts jüngster Studien sogar von einem "Paradigmenwechsel" gesprochen hat. [2] Erkenntnisgewinn versprechen diese Beiträge vor allem durch eine Konzentration auf Handlungsträger "vor Ort", die als "eigenständige und wirkungsmächtige Akteure" untersucht werden, wie Sabine Mecking und Andreas Wirsching gefordert haben. Statt von einem Gegensatz müsse dabei von einem "'symbiotischen Verhältnis' zwischen Kommunalverwaltungen und Partei" ausgegangen werden, das es zu ergründen gelte. [3]
Diesem Credo folgt Bernhard Gotto in seiner Dissertation zur Augsburger Stadtverwaltung ebenso konsequent wie ertragreich. In Anlehnung an Michael Wildt nimmt er die schwäbische Gauhauptstadt unter dem "Transformationsbegriff der administrativen Normalität" (4) in den Blick: Die Verwandlung der "bürgerlichen Gesellschaft in die 'Volksgemeinschaft'" (426) beschreibt Gotto als "dynamisches Konzept" (3), mit dem er eine sukzessive Verschiebung der kommunalen Verwaltungsnorm im 'Dritten Reich' nachzeichnen kann. In seiner Analyse "administrativer Handlungsmuster", Netzwerke und Konflikte zwischen den Akteuren fragt Gotto deshalb nach einer "spezifischen Funktionalität" (14) des Verwaltungshandelns, die er auf Grundlage zahlreicher Sach- und Personalakten, Nachlässe und Spruchkammerakten untersucht. Kommunale Verwaltungseinrichtungen werden daher nicht allein als "Exekutivbehörden" staatlicher Entscheidungen begriffen, sondern als eigenständige, "handelnde Subjekte", die den "totalen Zugriff des NS-Staates" (173) dorthin trugen, wo sie großen Rückhalt hatten: In die eigenen Gemeinden und Kreise.
Nationalsozialistische Herrschaft erschöpfte sich demnach keineswegs in einem zentralistischen Führer- oder einem polykratischen Maßnahmestaat, wie Gotto nachweisen kann, im Gegenteil: Die Akteure in der Stadtverwaltung sicherten und stabilisierten mit "bürokratischen Routinen" ein "regional austariertes Herrschaftssystem", ja sie "veralltäglichten die Diktatur" (423) durch behördliche Routinen. Zwar erscheinen die wechselseitigen Beziehungen zwischen NSDAP und Behörden angesichts der Parteizugehörigkeit der Akteure auf den ersten Blick wenig überraschend. Gotto geht allerdings einen Schritt weiter, kann er doch auf Grundlage biografischer Forschungen eine "symbiotische Beziehung" auch bei Akteuren nachweisen, die der NSDAP eher distanziert gegenüber standen. Eben weil sich die Akteure stets als Experten profilieren konnten und aufgrund ihrer Weltanschauung und Leistungsbereitschaft in die NS-Herrschaft eingebunden wurden, war die kommunale Verwaltung bis in die letzten Kriegsjahre ein Garant für eine "kaum zu erschütternde Stabilität" (423) des Nationalsozialismus in Augsburg und ganz Schwaben. Auch die Stadtverwaltung, so lautet daher das Resümee Gottos, folgte "einem kohärenten rassistischen Gesellschaftsbild, dessen böse Logik sie in konkretes Verwaltungshandeln umsetzte" (429).
Dieser systemstabilisierenden und "tragenden Funktion" (434) spürt Gotto in unterschiedlichen Phasen und Bereichen der Augsburger Stadtverwaltung nach: In dem ersten Kapitel gerät vor allem der Funktionswandel des Stadtrates nach 1933 in den Blick. Dieser habe nach personellen Umbesetzungen und Umstrukturierungen den "Transmissionsriemen zur politischen Schaltzentrale der schwäbischen NS-Führung" (55) dargestellt. In den beiden anschließenden Kapiteln zeichnet Gotto das Profil der Stadtverwaltung nach, ihre Organisation und Arbeitsweise sowie ihr konkretes Handeln: An der Augsburger Sozial- und Wohnungsbaupolitik wird "administrative Normalität" als unheilvolle Verquickung "nationalsozialistischer Kernanliegen mit ganz herkömmlichen kommunalen Interessen" (198) deutlich, so bei der administrativen Maßnahmen zur Verfolgung der "Asozialen".
Den tief greifenden Veränderungen in Organisation und Praxis widmet sich der vierte Abschnitt zur Stadtverwaltung im Krieg, wobei die Kriegsämter trotz gravierender Personalengpässe zunächst einen entscheidenden Beitrag leisteten, um "die Bevölkerung die Auswirkungen des Krieges so wenig unangenehm wie möglich spüren zu lassen" (318). Erst die schweren Luftangriffe auf die Gauhauptstadt Ende Februar 1944 hätten dieser systemstabilisierenden Funktion ein Ende gesetzt. Eine kollektive "Agonie" machte sich mit dem Schwinden der "Arbeitsmoral" (370 f.) auch in der Verwaltung bemerkbar: Die "Katastrophe" des Luftkriegs zeigte erstmals die Grenzen der "administrativen Normalität" und damit der regionalen NS-Herrschaft auf. [4] Dass Gotto sich in einem letzten Kapitel der Funktionseliten nach 1945 annimmt, ist in zweifacher Hinsicht hervorzuheben: Zum einen problematisiert er hier die "Reinwaschung, Frühverrentung oder Wiederverwendung" der "weitaus größten Zahl der städtischen Führungskräfte" (396). Zum anderen zeigt er mit den Entlastungsstrategien während und nach der "Entnazifizierung" gängige Narrative im Umgang mit der NS-Vergangenheit wie die des "Sonderfalls Augsburg" (407 ff.) auf, von denen die Darstellung der Verwaltung im 'Dritten Reich' - nicht nur in Schwaben - z. T. bis heute geprägt ist.
Inwiefern Augsburg in diesen Ausprägungen repräsentativ oder tatsächlich ein "Sonderfall" ist, müssen Anschlussstudien zeigen, wie sie Gotto mit seinen Vergleichen zu anderen deutschen Städten in einigen vergleichenden Abschnitten anregt. Bis dahin liegt mit seiner Studie eine ebenso fundierte wie flüssig geschriebene Darstellung über Formen und Funktionen kommunaler Verwaltung im 'Dritten Reich' vor - und über die weitreichenden Folgen der "administrativen Normalität" im Dienste der "Volksgemeinschaft".
Anmerkungen:
[1] Vgl. Horst Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung (= Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften, 29), Stuttgart 1970.
[2] Andreas Wirsching: Rezension zu: Fleiter, Rüdiger: Stadtverwaltung im Dritten Reich. Verfolgungspolitik auf kommunaler Ebene am Beispiel Hannovers. Hannover 2006, in: H-Soz-u-Kult, 01.09.2006, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-159.
[3] Sabine Mecking / Andreas Wirsching: Stadtverwaltung als Systemstabilisierung? Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume kommunaler Herrschaft im Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.): Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft (= Forschungen zur Regionalgeschichte, 53), Paderborn 2005, 1-18, hier 6 und 18, letztes Zitat mit Bezug auf Jörn Brinkhus' Beitrag im selben Band.
[4] Vgl. dazu jetzt auch Bernhard Gotto: Kommunale Krisenbewältigung, in: Dietmar Süß (Hrsg.): Deutschland im Luftkrieg. Geschichte und Erinnerung (= Zeitgeschichte im Gespräch, 1), München 2007, 41-56; s. hierzu die Rezension von Rüdiger Hachtmann, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/05/11647.html.
Malte Thießen