Ute Ströbele: Zwischen Kloster und Welt. Die Aufhebung südwestdeutscher Frauenklöster unter Kaiser Joseph II. (= Stuttgarter Historische Forschungen; Bd. 1), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, XI + 347 S., ISBN 978-3-412-11105-2, EUR 42,90
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"Zwischen Kloster und Welt" von Ute Ströbele darf nicht verwechselt werden mit einer gleichnamigen Studie von Anne Conrad, die bereits 1991 erschienen ist und sich den Ursulinen und Jesuitinnen des 16./17. Jahrhunderts widmet. [1] Die hier vorliegende Untersuchung ist als Dissertation bei Franz Quarthal entstanden und kann - so die Verfasserin in ihrer Einleitung - "als 'mikrohistorischer' Beitrag zur Josephinismusforschung gewertet werden" (6). Sie stellt die bisher wenig untersuchten Klosteraufhebungen Josephs II. in den bis 1806 habsburgisch regierten Gebieten Südwestdeutschlands in den Rahmen der modernen Säkularisationsforschung, die zum 200jährigen Jubiläum des Reichsdeputationshauptschlusses eine neue Blüte erlebte, und fragt nach der Kontinuität von Säkularisationsprozessen im umfassenden Sinn (1). Ihr methodischer Zugriff folgt nicht dem üblichen Muster der Ordens- und Klostergeschichten, sondern orientiert sich an sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen. Erst durch diese wird eine adäquate Bewertung geschlechtsspezifischer Befunde in diesem komplizierten Beziehungs- und Machtgeflecht kirchlicher und weltlicher Instanzen in Bezug auf Frauen im kirchlichen Raum möglich.
Quellengestützte Studien zur Geschichte Vorderösterreichs sind - abgesehen von den grundlegenden Arbeiten Franz Quarthals - weitgehend ein Desiderat der modernen Forschung, was freilich auch in der überaus komplizierten Aktenlage begründet sein mag. Einen ähnlich weißen Fleck bildet die Geschichte der Nonnen und Stiftsdamen im 18. Jahrhundert, deren Erforschung nur zögerlich in Gang kommt. [2] Die deutsche Forschung hinkt in dieser Hinsicht der französischen, italienischen und schweizerischen seit Jahren hinterher. Klosterfrauen des 18. Jahrhunderts werden - nicht nur im süddeutschen Raum - immer noch entsprechend dem Topos von der Sinn- und Bedeutungslosigkeit kaum zur Kenntnis genommen oder kirchenfeindlich nach den Satiren der protestantischen 'Aufklärer' und Romanciers abqualifiziert.
In diese Lücke stößt nun die Autorin mit ihrer vorliegenden Studie. Ströbele untersucht - in einem räumlich, zeitlich und kirchlich-sozial sehr begrenzten Rahmen - zwölf Klöster der Franziskaner-Terziarinnen, also der weiblichen Gemeinschaften des Dritten Ordens der Franziskaner, in Schwäbisch-Österreich, die weltlich zu den Oberämtern Rottenburg, Altdorf, Günzburg und Stockach gehörten und kirchlich dem Bistum Konstanz unterstanden. Für Vergleiche wird die Darstellung an einigen Stellen auf benachbarte Klöster der Terziarinnen ausgeweitet.
Grundlage der Studie sind die Bestände der zuständigen kirchlichen und staatlichen Archive in Baden-Württemberg und Österreich, wo - sehr verstreut - die einschlägigen Akten aufbewahrt werden. Aufgrund der disparaten Aktenlage zu den 49 aufgehobenen Frauenklöstern der Vorlande hat die Verfasserin für ihre Studie folgende Terziarinnen-Klöster ausgewählt: Altdorf/Weingarten, Gorheim/Sigmaringen, Krockenthal/Ehingen, Laiz/Sigmaringen, Moosheim/Saulgau, Munderkingen, Reute/Waldsee, Riedlingen, Rottenburg, Säckingen, Saulgau, Sipplingen, Unlingen, Waldsee und Warthausen. Sie bleibt allerdings bei dieser - auf den ersten Blick - sehr kleinräumig anmutenden Untersuchung nicht stehen, sondern kann Thesen von allgemeiner Gültigkeit formulieren, so dass man dieser Studie in Bezug auf die weit verbreiteten Terziarinnen (Nachfolge der Beginen) einen gewissen Modellcharakter durchaus beimessen darf.
Die Studie ist klar und logisch aufgebaut. Nach Einleitung und Problemstellung (Kapitel 1) sowie einem knappen Literatur- und Forschungsüberblick (Kapitel 2) wird in einem ersten Teil (Kapitel 3) die josephinische Klosterpolitik vor dem Aufhebungspatent (1782) am Beispiel der Terziarinnenklöster in Rottenburg und Horb am Neckar analysiert. Anders als viele Mönche weigerten sich die Terziarinnen, als Schulschwestern im Bildungsbereich zu arbeiten, wenngleich sie anboten, anderweitig "nützlich" tätig zu werden. Ströbele zeigt an dem Fallbeispiel der schwangeren Nonne Maria Anna Beck, die als 15-jährige ins Kloster gezwungen worden war, wie sehr vor allem die weltlichen, dann aber auch die kirchlichen unteren Behörden solche vereinzelten Missstände verallgemeinerten und für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten, um die Nonnen für die politisch angestrebten Ziele - in diesem Fall die Zusammenlegung zweier Konvente - gefügig zu machen. Gleichzeitig werden beachtliche Möglichkeiten, aber auch die Grenzen weiblicher Handlungsspielräume deutlich.
In einem zweiten Teil (Kapitel 4, 5, 6) werden die einzelnen Phasen der Klosteraufhebungen untersucht. Die zwei zu beobachtenden Wellen verliefen in den Vorlanden, wo vor allem während der ersten (1782) primär die Frauenklöster betroffen waren, gegenläufig zu denen in Innerösterreich; die zweite Welle (1783-1787) wirkte sich dann nur noch sehr bedingt aus, da bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Frage der Versorgungskosten virulent wurde. Anschließend werden die allgemeinen politischen Rahmenbedingungen für das Aufhebungsdekret erörtert, um dann den Aufhebungsvorgang zu beleuchten, wobei das besondere Interesse der Autorin den unteren administrativen Ebenen auf der einen und den Reaktionen und Aktionen der betroffenen Frauen auf der anderen Seite gilt. Sie kann zeigen, dass im Gegensatz zu vielen Männerklöstern hier weder von einem "passiven Hinnehmen" noch von einer gewissen "Klostermüdigkeit" - wie in der älteren Forschung behauptet - die Rede sein kann. Vielmehr nahmen die Klosterfrauen den Existenzkampf auf und konnten sich vielfach der Unterstützung auf der Ebene der Oberämter, aber auch der lokalen Bevölkerung sicher sein.
Der dritte Teil (Kapitel 7), konzipiert als Exkurs, "versucht eine Annäherung an den 'Raum' Terziarinnenkloster" (6) und zeigt auf, was die Frauen verteidigten. Ströbele zeigt den "moderaten 'Klostercharakter'" der Einrichtungen, die (wie die ehemaligen Beginenkonvente) durchaus einen gewissen Komfort und individuelle Ausstattung der Klosterzellen zuließen, aber deswegen noch keineswegs vom Verfall gekennzeichnet waren. Vielmehr lebten in jedem der untersuchten Klöster am Vorabend der Aufhebung ca. 16 Frauen bürgerlicher Herkunft aus einem weiten Rekrutierungsgebiet (Bayerisch-Schwaben bis Südtirol). Innerhalb der einzelnen Konvente organisierten sie sich 'landsmannschaftlich'. Das Durchschnittsalter lag relativ hoch bei ca. 47 Jahren, da die Aufnahme von Novizinnen nicht mehr erlaubt war. Weil die Nonnen ihr Klosterleben selbst finanzieren mussten, war ein klausuriertes Leben kaum möglich; vielmehr waren alle Chorschwestern "intensiv in die Alltagsbewältigung involviert" und "nicht selten zu einem kommerziellen Nebenerwerb motiviert" (176). Dass diese seit Jahrhunderten immer wieder kritisierte freiere Lebensweise weiblicher Religiosen insbesondere in Zeiten zunehmender Klosterkritik angeprangert wurde, versteht sich fast von selbst.
Auf dieser Folie behandelt der vierte, letzte und zentrale Themenkomplex die Folgen dieser Säkularisation. Ströbele zeigt hier in einer hoch interessanten, sehr differenzierten Darstellung auf, wie die Terziarinnen auf den Verlust ihres bis dahin sicher geglaubten Raumes reagierten, welche Konflikt- und Überlebensstrategien sie entwickelten; denn im Gegensatz zur Säkularisation von 1803 verlangte Joseph II. "die rigide Räumung der Gebäude" (179). Eine statistische Auswertung der "Fassionen" (Erklärungen) von 277 Ex-Nonnen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, zeigt zwar, dass 69 % "in der Welt" leben wollten (209). Doch der Grund dafür war nicht in der Abkehr vom Klosterleben zu sehen, sondern in der Furcht, kirchlich-autoritär und von außen bestimmt in ein unbekanntes Kloster, eine fremde Gemeinschaft versetzt zu werden, denn von den Gelübden wurden sie nicht entbunden. Obwohl der Auszug und die Aufgabe des bisherigen Lebensraumes von der Mehrzahl der Klosterfrauen als traumatisch empfunden wurde, gestattete man der aufgelösten Gemeinschaft nicht, "in der Welt" eine Art Wohngemeinschaft zu gründen. Die Verfasserin kann zeigen, dass die ehemaligen Klosterfrauen sich äußerlich "oft mit erstaunlicher Flexibilität den neuen Gegebenheiten" anpassten (282). Dass ihre innere Befindlichkeit oft anders aussah, ist zu vermuten angesichts der Tatsache, dass viele - trotz Verbots - ihre Testamente mit dem Klosternamen signierten.
Bereits ein flüchtiger Blick auf den Anhang, in dem der Personalbestand der aufgelösten Klöster nach Namen, Herkunftsort, Alter, Amt, Stellung (Chorfrau/Laienschwester), Lebensart (z. B. Kloster/in der Welt), Aufenthalt und Sterbejahr der einzelnen Frauen aufgelistet ist, lässt die Kärrnerarbeit, die die Verfasserin geleistet hat, erahnen. Leider fehlen jedoch Karten, die dem Leser die Orientierung im schwäbisch-österreichischen Raum erheblich erleichtert hätten.
Überzeugend kann Ströbele zeigen, dass die josephinischen Klosteraufhebungen durchaus als Teil der nachfolgenden Säkularisationen angesehen werden können. "Enteignung von Kirchengut für weltliche Zwecke" war eben nicht nur ein verwaltungstechnischer Prozess, sondern machte viele Frauen im kirchlichen Raum brot- und heimatlos.
Anmerkungen:
[1] Anne Conrad: Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts, (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Religionsgeschichte, Bd. 142), Mainz 1991.
[2] Vgl. Christine Schnieder: Kloster als Lebensform. Der Wiener Ursulinenkonvent in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (1740-1790), (= L'Homme Schriften, Bd. 11), Wien/Köln/Weimar 2005.
Ute Küppers-Braun