Reinhard Markner / Monika Neugebauer-Wölk / Hermann Schüttler (Hgg.): Die Korrespondenz des Illuminatenordens, Band 1: 1776-1781, Tübingen: Niemeyer 2005, XLIV + 484 S., ISBN 978-3-484-10881-3, EUR 126,00
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Seit der Veröffentlichung von Dan Browns Bestseller "Illuminati" ist der Geheimbund der Illuminaten, wenn auch in historisch kaum wieder erkennbarer Gestalt, in aller Munde. In der Geschichtswissenschaft ist es dagegen um die Gründung des Ingolstädter Professors Adam Weishaupt in den letzten Jahren vergleichsweise still geworden. Nachdem Studien zum Illuminatenorden noch zu Beginn der 1990er Jahre dank neuer Quellenfunde in den Archiven der untergegangenen DDR und Aufsehen erregender Thesen zum Verhältnis von Freimaurerei und Weimarer Klassik eine Renaissance erfahren hatten, begann sich die Flut der Publikationen schon vor der Jahrtausendwende langsam wieder auf einem niedrigeren Niveau einzupegeln.
Auch die hier anzuzeigende Briefausgabe ist in gewisser Weise eine späte Frucht jener Aufbruchsjahre. Mit Hermann Schüttler und Monika Neugebauer-Wölk zählen zwei der prominentesten Vertreter der neuen Illuminatenforschung zu den Herausgebern. Während Neugebauer-Wölk mit ihren Arbeiten zur Esoterik die oftmals als radikale Speerspitze der Aufklärung bezeichnete Geheimorganisation in ein neues, ungewohntes Licht rückte, hat Schüttler als einer der ersten auf den Nachlass Johann Joachim Bodes im ehemaligen Zentralen Staatsarchiv der DDR in Merseburg mit seinem umfangreichen illuminatischen Briefwechsel hingewiesen und zugleich in einem eigens erarbeiteten Mitgliederverzeichnis die enorme personelle Ausdehnung des Ordens unter Beweis gestellt.
Der erste Band der Korrespondenz erfüllt denn auch die Erwartungen, die man angesichts der Verdienste der Herausgeber an dieses Projekt stellen durfte. Er bietet in bislang ungekannter Vollständigkeit die heute noch nachweisbaren Briefe: vom ersten auffindbaren Schreiben aus dem September 1776, entstanden nur wenige Monate nach der Ordensgründung am 1. Mai, bis hin zu einer Handvoll von Briefen aus den letzten Tagen des Jahres 1781, dem vorläufigen Endpunkt der Ausgabe. Jeder Brief wird durch einen Sachkommentar erschlossen, der neben dem Nachweis von Zitaten aus antiken und zeitgenössischen Schriftstellern in erster Linie die im Text genannten Personen identifiziert.
Dass bis auf einige wenige Ausnahmen zu allen, selbst obskuren Namen Angaben über Lebensdaten, Karriereverläufe und freimaurerisches Engagement gemacht werden, spricht für die immense Forschungsleistung der Herausgeber. (Bei dem auf Seite 80 genannten und nicht näher beschriebenen Montag handelt es sich im übrigen um den Regensburger Buchhändler Johann Leopold Montag.) Die Einleitung aus der Feder von Reinhard Markner zeugt ebenfalls von weit gespannten Recherchen. Sie bietet neben einem knappen Überblick über die Entwicklung des Geheimbunds bis 1781 vor allem die spannende und in dieser Form bisher nicht nachlesbare Überlieferungsgeschichte des Ordensarchivs, dessen Spuren sich in den Wirren des 2. Weltkriegs verlieren.
Insgesamt haben die Herausgeber an die 190 Briefe zusammengetragen, von denen 80 bereits gedruckt vorliegen. Sie waren bis auf wenige Ausnahmen in den beiden 1787 von der bayerischen Regierung veröffentlichten Bänden mit Originaldokumenten erschienen, die nach der Zerschlagung des Geheimbunds Weishaupt und seine engste Umgebung öffentlich diskreditieren sollten. Innerhalb der modernen Korrespondenzausgabe machen sie fast das gesamte überlieferte Briefcorpus der Jahre 1776 bis 1779 aus. Erst mit dem Jahr 1780 setzen bislang unveröffentlichte Briefe ein, die dafür allerdings zwei Drittel der 440 Seiten zählenden Edition umfassen und die Jahre 1780 und 1781 fast vollständig dominieren. Entdeckt wurden sie in erster Linie im Hamburger Nachlass des Freimaurers und Schauspielers Friedrich Ludwig Schröder, in dem sich die Briefe des Freiherrn von Knigge an den Ordensgründer Weishaupt fanden, sowie in den während des Nationalsozialismus enteigneten Archiven der deutschen Freimaurerlogen, die 1993/94 von Merseburg in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin überführt wurden.
Die beiden überlieferungsgeschichtlichen Teile der Edition unterscheiden sich auch in Ton und Inhalt deutlich voneinander. Die Briefe der Frühzeit, geschrieben in der Regel von Weishaupt an seine beiden engsten Mitarbeiter jener Jahre, Franz Anton von Massenhausen und Franz Xaver Zwack, berichten von den tastenden Versuchen des Geheimbunds, Mitglieder zu werben und eine funktionstüchtige Organisationsstruktur aufzubauen. Diskussionen über die moralischen, psychischen und physiognomischen Kriterien, die zukünftige Illuminaten erfüllen sollten, über zu entwerfende Instruktionen und Grade, Lektürevorschläge und Themen für Besinnungsaufsätze füllen die Seiten der Korrespondenz zwischen Ingolstadt und München. Selbst der Name des Geheimbunds wurde wiederholt hin und her gewendet. Ständig wechselnde Anweisungen, wie die Arbeit der Mitglieder und die ordensinterne Korrespondenz zu organisieren seien, zeugen ebenfalls von den beträchtlichen Problemen, einen Geheimbund nicht nur aus der Taufe zu heben, sondern am Leben zu erhalten.
Neben solchen Anlaufschwierigkeiten traten freilich schon früh strukturelle Defizite zutage. Weishaupts Bestreben, die Kontrolle über den Geheimbund in der Hand zu behalten, war selbst in der Frühphase, als der Illuminatenorden gerade einmal über vier Niederlassungen in benachbarten bayerischen Städten verfügte, zum Scheitern verurteilt. Gleichzeitig lässt seine Obsession mit der charakterlichen Formung und Überwachung der Ordensmitglieder, die in vielen Briefen spürbar ist, bereits das Spitzelsystem erahnen, das ab 1783 einflussreiche Mitglieder zum Austritt bewog. Kein Wunder, dass die bayerische Regierung sich der Wirkung auf die öffentliche Meinung sicher war, als sie Weishaupts Korrespondenz unzensiert in den Druck gab.
Wird dem Leser im ersten Drittel der Edition der stockende Aufstieg eines Geheimbunds vor Augen geführt, der keineswegs zu größeren Erwartungen Anlass gab, so dringt mit den bislang unbekannten Briefen ein neuer Ton in die Korrespondenz ein. Die Briefe Knigges sowie der drei in München, Mannheim und Wetzlar ansässigen Freimaurer Ferdinand Maria Baader, Jacques Drouin und Franz Dietrich von Ditfurth, die den Kern der Überlieferung bilden, lassen etwa die Anziehungskraft des Ordens auf die Zeitgenossen deutlicher erkennen. Es war in erster Linie die Suche nach einer höheren, den Nichteingeweihten verborgenen Wahrheit, die dem Geheimbund viele Mitglieder zuführte. Der Gedankenaustausch drehte sich nunmehr verstärkt um Fragen der Freimaurerei, um die Vorzüge und Nachteile verschiedener freimaurerischer Systeme, insbesondere das Hochgradsystem der Strikten Observanz, um die Konkurrenz der Rosenkreuzer, die Regularität und Irregularität von Logen oder die historischen Ursprünge der Freimaurerei. Vereinzelt finden sich selbst philosophische Spekulationen, moralische Erörterungen oder Problematisierungen des Verhältnisses zwischen Staat und Geheimorganisation.
Dies heißt freilich nicht, dass pragmatische Erwägungen aus den Briefwechseln verschwanden. Gerade mit dem Eintritt Knigges im Sommer 1780 begann der Orden bei der Rekrutierung neuer Mitglieder immer weiter ins nicht-katholische Reichsgebiet auszugreifen. Die Briefe sind voll von Namen aussichtsreicher oder bereits angeworbener Kandidaten. Wiederholt wurden auch publizistische Strategien zur Bekämpfung vermeintlicher Gegner der Aufklärung diskutiert. Daneben machte Knigge in seinen Briefen immer wieder auf die große Chance aufmerksam, die sich dem Geheimbund im Vorfeld des Wilhelmsbader Freimaurerkonvents von 1782 bot: durch eine äußerliche Übernahme freimaurerischer Grade und Rituale könne er sich einen großen Teil der in einer tiefen Sinnkrise steckenden deutschen Freimaurerei unterwerfen. Um so drängender fielen freilich auch seine Bitten an Weishaupt aus, doch endlich die immer noch nicht ausgearbeiteten Ordensgrade fertigzustellen.
Auch andere wiederkehrende Klagen lassen erkennen, dass der Geheimbund ungeachtet aller Fortschritte und Erfolge auch in den Jahren 1780 und 1781 nicht frei von Krisen war. Die fortdauernden Spannungen zwischen Weishaupt und dem Führungsgremium der Illuminaten in München sind in den Briefen jener Jahre, die insbesondere den nicht-bayerischen Raum abdecken, zwar nur indirekt, aber dauerhaft präsent. Zudem finden sie ihre Entsprechung in einer Reihe weiterer Zerwürfnisse, die an allen Ecken und Enden des Ordensgefüges ausbrachen und sich an persönlichen Animositäten wie an unterschiedlichen Vorstellungen über das weitere Vorgehen des Geheimbundes entzündeten. Auch Knigges wiederholt geäußerter Ratschlag, der Orden müsse in der Führung seiner Mitglieder selbst zu Täuschung Zuflucht nehmen, spricht eine deutliche Sprache. Am Schluss legt der Leser den Band daher mit dem Eindruck beiseite, dass sich der Illuminatenorden Ende 1781 zwar deutlich auf Expansionskurs befand, aber gleichzeitig an inneren Verwerfungen krankte.
All dies ist natürlich nicht neu. Die Geschichte vom Aufstieg des Geheimbunds, der maßgeblichen Rolle Knigges nach 1780 und den inneren Spannungen ist von der Forschung bereits mehrfach erzählt worden und wird auch nach der Publikation der Ordenskorrespondenz, zumindest für die Jahre bis 1781, nicht umzuschreiben, allenfalls im Detail zu ergänzen sein. Gleichwohl gewinnt sie bei der Lektüre der Originalquellen eine Unmittelbarkeit, die in modernen Untersuchungen kaum zu erreichen ist. Außerdem erlaubt die Briefedition Einblicke in den Alltag des Ordenslebens, die das Bild des Geheimbunds doch schärfer hervortreten lassen. Wer die wiederholten Klagen der führenden Illuminaten über die Saumseligkeit, Nachlässigkeit und nachgerade Renitenz vieler Ordensmitglieder gelesen, sich über die kleinlichen Auseinandersetzungen um die Verwaltung von Kassen, ausstehende Mitgliedsbeiträge oder die Erstattung von Portokosten amüsiert hat, wird bei der Einschätzung der Subversivität des Geheimbunds in Zukunft vorsichtiger sein. Nicht zuletzt aus solchen Gründen lohnt die Lektüre des Bandes, dem hoffentlich bald weitere folgen werden.
Michael Schaich