Eric-Oliver Mader: Die letzten 'Priester der Gerechtigkeit'. Die Auseinandersetzung der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (= Colloquia Augustana; Bd. 20), Berlin: Akademie Verlag 2005, 458 S., 3 Abb., ISBN 978-3-05-004090-5, EUR 59,80
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Wolfgang Burgdorf: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806 (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 2), München: Oldenbourg 2006, VIII + 390 S., ISBN 978-3-486-58110-2, EUR 49,80
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Wolfgang Burgdorf: Friedrich der Große. Ein biografisches Porträt, Freiburg: Herder 2011
Zu besprechen sind zwei Studien, die manches gemeinsam haben: Beide sind zeitlich parallel als Dissertation bzw. Habilitationsschrift an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstanden, und beide beschäftigen sich mit den Reaktionen der Zeitgenossen auf das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 1806. Selbstverständlich standen die Autoren, wie aus den jeweiligen Vorworten zu ersehen ist, in einem geistigen Austausch.
Gleichwohl haben sie ein unterschiedliches Profil: Das Buch von Eric-Oliver Mader ist eine typische deutsche Dissertation im besten Sinne: Mit der "Auseinandersetzung der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" - so der Untertitel - hat sich Mader ein anspruchsvolles, dabei klar umgrenztes und bislang von der Forschung unbearbeitetes Thema gestellt. In dieses Thema steigt er schwungvoll und gelungen ein, wenn er im "Prolog" die letzte Audienz des Reichskammergerichts schildert und dabei verdeutlicht, dass bis zum Schluss "Business als usual" herrschte, dass nichts darauf hindeutete, dass es sich bei der Audienz am 17. Juli 1806 um die letzte überhaupt handelte, dass Besonderheiten, wie eben die Anberaumung dieses außerordentlichen Sitzungstermins, schlicht mit dem nahenden Beginn der Sommerferien zusammenhingen, vor denen man noch einige Arbeit erledigen wollte. Nachdem er den Leser so mitten in seinen Gegenstand hineingeführt hat, liefert Mader die Kontextualisierung und methodische Verortung seiner Arbeit nach, die sich als prosopographisch grundierter "Beitrag zu einer sozial- und geistesgeschichtlichen Deutung des Wandels um 1800" (35) versteht. Diese prosopographische Grundierung ist dabei recht kräftig ausgefallen - nach Meinung des Rezensenten durchaus zum Vorteil der Arbeit.
Sehr genau nimmt Mader im ersten Teil die Richter des Reichskammergerichts als Gruppe unter die Lupe, ordnet das Reichskammergericht in die Verfassungsgeschichte des Alten Reichs ein, deckt "Rekrutierungsprinzipien und gesellschaftliche" Verflechtung (IV) auf, wobei er sich auf eine reiche Forschungsliteratur zu diesem höchsten Reichsgericht und insbesondere auf die Habilitationsschrift von Sigrid Jahns [1] stützen kann. Anschließend beleuchtet er das geistige Profil der Assessoren, wobei er v.a. dem Einfluss Pütters nachspürt und die Autorentätigkeit der Richter selbst skizziert. Entscheidend ist der Befund, dass die Assessoren das Reichskammergericht am Ende des Reichs stärker als eigenständige Behörde verstanden, dass die Bindungen an die präsentierenden Stände demgegenüber zurücktraten und sich ein korporatives Selbstverständnis des Kameralkollegs etablierte.
Der zweite Teil besteht aus "Momentaufnahmen im Jahr 1806". Mader schildert zunächst die Situation des Reichs nach dem Frieden von Pressburg und gibt Lageanalysen wichtiger Protagonisten wider, darunter die bereits gut bekannten Wiener Gutachten, aber auch einen letzten Reichsreformplan, der am Reichstag kursierte. Von der Gründung des Rheinbunds wurden auch die Wetzlarer Richter aufgeschreckt, die am 29. Juli 1806 unter Leitung des Kammerrichters Heinrich Aloys von Reigersberg in einer geheimen Plenarversammlung über geeignete Maßnahmen für ihre Zukunftssicherung berieten. Wichtig für die Zukunft war der damals gefasste Beschluss, bis zu einer ordentlichen Auflösung des Gerichts durch den Reichstag zusammenzubleiben - Solidarität wurde also als das Gebot der Stunde erkannt. Die Situation wurde von den Assessoren unterschiedlich, je nach ihrem biographischen Hintergrund, bewältigt. Für einige war der Schicksalsschlag besonders gravierend, wie für den sozialen Aufsteiger Ernst von Weidenfeld, dem es an gesellschaftlichen Verbindungen fehlte, um den Karrierebruch aufzufangen, und den aufgrund seines Lebenswandels zum Außenseiter gewordenen Maximilian von Martini. Demgegenüber überwand Kammerrichter Reigersberg Anflüge von Resignation rasch und setzte sich energisch für das Schicksal der Gerichtsangehörigen ein, während er seine eigene Zukunft hintansetzte. Gerade angesichts des weitgehenden Beschweigens der Reichsauflösung durch die zeitgenössische Publizistik sind die von Mader wiedergegebenen nicht veröffentlichten Äußerungen der Kameralen von besonderem Interesse. Die Mehrheit vertrat die Auffassung, dass infolge der Abdankung Franz' II. "'das deutsche Reich, die Reichsverfassung und Reichs Gerichte zu existieren aufgehört' hätten" (182). Eine Minderheit jedoch verwies darauf, "'daß der einseitige Wille des Kaisers von diesem höchsten Reichs Gerichte niemals für eine verbindende Richtschnur angesehen worden ist'" (184).
Da sich die Hoffnungen auf eine Transformation des Reichskammergerichts in ein Rheinisches Bundesgericht rasch zerschlugen, blieb letztlich die "Abwicklung der Wetzlarer Reichsjustizdiener" (Teil III) unvermeidlich. Als sich abzeichnete, dass der auf Kammerzielerbasis zur Verfügung stehende Entschädigungsfonds nicht für alle Gerichtsangehörigen ausreichen würde, zerbrach die zuvor proklamierte Solidarität: Advokaten und Prokuratoren einerseits und Assessoren andererseits standen sich immer erbitterter gegenüber. Ende 1806 verfügte der ehemalige Reichserzkanzler und nunmehrige Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg eine erste provisorische Regelung des Sustentationswesens der Kameralen, die das Problem jedoch nicht dauerhaft lösen konnte. Verständlicherweise engagierten sich in dem Streit, der zu einem öffentlich ausgetragenen Ehrkonflikt eskalierte, insbesondere diejenigen Assessoren, die, da sie noch keine neue Stellung gefunden hatten, von den Pensionen hochgradig abhängig waren. Die Lage der Pensionäre blieb prekär, bis 1817 durch den Deutschen Bund ihre Versorgung dauerhaft geregelt wurde. Erst 1838 erfolgte die Auszahlung der letzten Rückstände (305).
Für die Mehrzahl der Assessoren bedeutete die Auflösung des Reichskammergerichts jedoch nicht das Ende ihres Berufslebens. Trotz mancher Startschwierigkeiten erreichten manche von ihnen eine beachtliche Karriere im Dienst verschiedener deutscher Souveräne (Teil IV). Württemberg z.B. war durchaus am Sachverstand der ehemaligen Reichsrichter interessiert, wollte diese aber möglichst billig "einkaufen" (329) und übernahm schließlich nur drei Assessoren. Wesentlich mehr von ihnen traten in wittelsbachische Dienste ein und übten in dieser Funktion erheblichen Einfluss auf die bayerischen Reformen. Insbesondere Kammerrichter Reigersberg ist hier zu nennen, der die Verfassung von 1818 maßgeblich mit beeinflusste. Die ehemaligen Kameralen wurden so zu Transporteuren wichtiger Traditionen des Alten Reiches in die deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts.
In der Erkenntnis, "dass vom Reichskammergericht vor allem für Bayern wichtige Reformimpulse ausgingen" (386), dass mit anderen Worten über das Reichspersonal der letzten Generation Vorstellungen und Inhalte des alten Reichsstaatsrechts in die deutsche Staatenwelt des 19. Jahrhunderts transportiert wurden, liegt für den Rezensenten das wichtigste Ergebnis der auf einer breiten Quellenbasis - es wurden neben gedrucktem Material Akten aus 15 Archiven herangezogen - sorgfältig erarbeiteten Studie. Eine breite Rezeption durch Frühneuzeithistoriker wie auch durch Spezialisten des 19. Jahrhunderts ist ihr zu wünschen.
Der durch einen Quellenanhang, einige Abbildungen sowie Übersichten bereicherte und durch einen Personenindex erschlossene Band leistet zugleich einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Alten Reichs, seines Personals und von dessen Staatsrechtsdenken wie zur Frage der personellen und geistigen Kontinuitäten vom 18. ins 19. Jahrhundert - so gravierend der Einschnitt von 1806 war, schon das Weiterleben und -wirken der alten Führungsschichten sorgte dafür, dass es einen völligen Bruch mit dem Ancien Régime nicht gab.
Deutlich stärker den Zäsurcharakter betont Wolfgang Burgdorf. Er hat sich in seiner Habilitationsschrift ein ehrgeizigeres Ziel gesetzt als Eric-Oliver Mader: Ihm geht es darum, die Geschichte einer ganzen Generation zu schreiben, der "Generation 1806", verstanden als eine Generation, "deren Lebensplanung durch die Revolution und die nicht enden wollenden Kriege und deren Folgen obsolet wurden" (16). Mit dieser Bezeichnung deutet Burgdorf an, dass unter den zahlreichen Brüchen und Wechselfällen der Einschnitt vom 6. August 1806 für diese Generation der wichtigste gewesen sei. Innerhalb der Generation 1806 wendet er den Funktionseliten des Alten Reichs seine besondere Aufmerksamkeit zu, zumal den letzten Reichstagsgesandten. Insofern ist das Buch Burgdorfs zum Teil eine Parallelstudie zur Arbeit von Mader.
In einem ersten Kapitel präsentiert Burgdorf die "Alte Welt", das Reich, seine Verfassung und insbesondere die Situation in Regensburg, seit 1663 Sitz des Immerwährenden Reichstags, am Vorabend des Reichsendes. Die ausführliche Schilderung (37-66) der Reise des letzten am Reichstag akkreditierten Gesandten, des Lübeckers Johann Friedrich Hach, soll nach dem Willen des Verfassers zur "Annäherung an die Probleme und das Ende des Reiches" (37) dienen, erscheint dem Rezensenten mit der detaillierten Schilderung der einzelnen Reisestationen allerdings doch ein wenig überdehnt. Quasi durch die Brille des endlich in Regensburg angekommen Hach werden dem Leser dann auch die übrigen Reichstagsgesandten vorgestellt. Der Reichstag war im Frühjahr und Sommer 1806 zwar weitgehend inaktiv, ähnlich wie Mader betont Burgdorf aber, dass im Grunde "Business as usual" geherrscht habe, dass jedenfalls keiner der Gesandten bei der Verabschiedung in die alljährliche Sitzungspause am 7. Juli damit gerechnet habe, dass man nach dem Ende der Ferien nicht mehr zusammenkommen würde. Das Bild, das Burgdorf zeichnet, ist das einer etwas trägen Ruhe vor dem aus heiterem Himmel gekommenen Sturm.
Dass dieser Sturm, sprich: das Ende des Alten Reichs, doch nicht völlig überraschend kam, legt Burgdorf im nächsten Kapitel dar. Er setzt mit seiner Schilderung der finalen Reichskrise beim Pressburger Frieden vom 26. Dezember 1805 ein, blendet aber kurz auf einige Ereignisse der Vorjahre, wie den Reichsdeputationstag und die Annahme des österreichischen Kaisertitels zurück. Der Hauptakzent liegt jedoch auf den Entwicklungen im Frühjahr und Sommer 1806, die Burgdorf sehr dramatisch schildert, wenn er den 1. August 1806, an dem die Ultimaten Napoleons und der Rheinbundfürsten übergeben wurden, als den "schlimmste[n] Tag im Leben des Kanzleidirektors Haas" (122, ähnlich schon 120) schildert, der infolge der Abwesenheit seiner Vorgesetzten mit der Diktatur der Deklarationen konfrontiert war. Eindeutig identifiziert Burgdorf Napoleons Ultimatum als "für das Ende des Reiches entscheidend" (123) und sieht Franz II./I., da er von Napoleon und seinen Verbündeten vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei und in einer Zwangslage gehandelt habe, wegen der Niederlegung der römisch-deutschen Kaiserkrone zu Unrecht kritisiert (3.3). Die Reaktionen auf die Erklärung vom 6. August beschreibt Burgdorf als bestürzt. Nicht immer wird hier deutlich, wie genau die lebendigen Situationsschilderungen quellenmäßig belegt sind (z. B. 137 f.). Sehr engagiert sind auch die Kapitel zum aus dem Ende des Reichstags resultierenden "Schlussverkauf in Regensburg" (3.5) sowie zur Problematik der "Gebrochene[n] Eide" (3.7). Weiten Raum widmet Burgdorf der Frage, warum insgesamt die Quellenzeugnisse zu Reaktionen auf das Reichsende insgesamt doch nicht der von ihm postulierten Bedeutung des Einschnitts entsprachen. Er beantwortet sie mit dem Hinweis auf "Sagbarkeitsbedingungen und Handlungsräume" (3.9), wobei er neben den bereits vorher angeklungenen Faktoren Hitze und Ferien auf die "Landsperren 1806/07" (3.10), die "Briefscheu" (3.11), die "Überlagerung durch frühere und folgende Schrecken" (3.12) sowie auf das verweist, was er unter Bezug auf die Ausführungen Maders (dort 25, 174-178) über die Gegenwartsanalyse des Protonotars des Reichskammergerichts Joseph Anton von Vahlkampf als das "Vahlkampfsche Schweigen" (3.13) beschreibt, die Schockwirkung auf die bisherigen Reichspublizisten, denen nun ihr Arbeitsfeld abhanden gekommen war.
Im folgenden Kapitel wird der Blick über den Kreis der eigentlichen Reichseliten hinaus geweitet, unter anderem auf Wien, die norddeutsche Neutralitätszone, Sachsen und Thüringen sowie die Romantiker. Überall diagnostiziert Burgdorf Entsetzen und Fassungslosigkeit. Allerdings wäre zu fragen, ob alle Reaktionen, die er schildert, primär auf die Ereignisse des August 1806 zu beziehen sind. Wenn er beispielsweise berichtet, dass Bürger und Spital Ellwangens (übrigens keine mediatisierte Reichsstadt, sondern säkularisierte Fürstpropstei) sich weigerten, am Neujahrstag dem neuen württembergischen Herrscherhaus zu huldigen (216), ist darin wohl weniger ein Protest gegen das Reichsende als gegen die Säkularisation zu sehen.
Im umfangreichsten letzten Kapitel sucht Burgdorf nach Antworten auf "die wissenschaftshistorisch relevante und erinnerungskulturell zentrale Frage nach der Entwicklung der öffentlichen Aufgabe der Geschichte in Deutschland sowie nach ihren Absichten, Möglichkeiten und Versäumnissen" (225). Er konstatiert geradezu eine "Damnatio memoriae" (239), der das Reich anheimgegeben worden sei: "Nach dem Wiener Kongress war die Vorgeschichte der Gegenwart in Deutschland gleichsam politisch versiegelt" (247). Aus der "Verdrängung der Zeitgeschichte" (5.2.) resultierten die "Frankophobie als Surrogat eines positiven Patriotismus" (5.3.) und eine "Hinwendung zum Mittelalter" (5.7). Alle Kompensationsstrategien der "Generation 1806" trugen mit dazu bei, "dass sich die Deutschen nie wirklich mit ihrem bis dahin größten nationalen Trauma auseinander setzten" (334).
Es ist Wolfgang Burgdorf auf einer breiten Quellenbasis, die neben ungedrucktem Material aus vierzehn Archiven auch zahlreiche Druckwerke umfasst, zweifellos und in beeindruckender Weise gelungen, nachzuweisen, dass das Ende des Alten Reichs keineswegs so sang- und klanglos war, wie das eine zunächst von Profiteuren des Reichsendes bzw. preußisch-kleindeutsch inspirierte Geschichtsschreibung lange Zeit behauptete - und von vielen Zeitgenossen auch nicht so empfunden wurde. Damit führt er die Zentralthese aus seiner Dissertation fort. [2] Demnach siechte das Reich nicht an seiner eigenen Krankheit dahin, sondern war auch noch in den letzten Jahren seines Bestehens höchst lebendig und wurde von interessierten, eigensüchtigen Kräften dahingemeuchelt. Er ordnet sich damit in die Reichsforschungen der vergangenen sechs Jahrzehnte ein, die gezeigt hat, dass die kleindeutsch-borussische Sicht auf das Alte Reich stark verkürzend bis verfälschend war und dass dieses in der Frühen Neuzeit ein reiches Verfassungsleben entfaltete. Burgdorf geht aber einen Schritt weiter als die meisten Reichshistoriker, wenn er die Niederlegung der Kaiserkrone so stark als überraschende Zäsur für die Zeitgenossen, ja als den entscheidenden politischen Umbruch für die "Generation 1806" akzentuiert und die Krisenphänomene, die sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich und dann seit den 1790er Jahren sehr rasch verdichteten, extrem gering gewichtet. Fraglich erscheint dem Rezensenten ferner, ob nicht für viele Menschen, einfache Untertanen oder politische und kulturelle Eliten, der Untergang ihrer engeren politischen Heimat durch Säkularisation oder Mediatisierung nicht doch der größere Bruch war.
An diesen Befund schließen sich einige Fragen an:
1. Trifft es tatsächlich zu, dass die Zäsur von 1806 in jüngerer Zeit von den Historikern immer noch dermaßen unterbewertet worden ist, wie von Burgdorf angenommen? Hat mit der unterdessen als Allgemeingut der deutschen Frühneuzeitforschung zu betrachtenden Neubewertung des Alten Reichs nicht eo ipso auch sein Ende schon längst ein höheres Gewicht bekommen - und wird damit der in Anspruch genommene Pioniercharakter der Studie nicht relativiert?
2. Wäre es im Sinne einer ausgewogenen Darstellung nicht angemessener gewesen, wie Mader auch nach etwaigen Kontinuitäten zu suchen und dabei den prosopographischen Ansatz, der sich im ersten Teil anzudeuten scheint, intensiver weiter zu verfolgen?
3. Und vor allem: Ist es nicht doch sinnvoller, weniger ein einziges Ereignis derart herauszustellen, das, wie auch Burgdorf einräumt, der Endpunkt einer ganzen Reihe von Entwicklungen war, als die Schwellenzeit um 1800 als Ganzes in den Blick zu nehmen? Dafür, dass die Mediatisierungen ab 1802 von den Betroffenen als mindestens ebenso gravierend empfunden wurden, führt Burgdorf ja selbst etliche Beispiele an.
Burgdorfs Sprache ist lebendig und engagiert, seine Urteile sind deutlich. Es wird rasch klar, dass er dem Alten Reich und seinen Protagonisten positiv, den "aufgeblähten Kunststaaten" (238) Baden und Württemberg dementsprechend ablehnend gegenübersteht. Man könnte ihm das zum Vorwurf machen und eine kritischere Distanz von seinem Gegenstand anmahnen - allerdings profitiert die Lesbarkeit seiner Studie eindeutig von seiner Darstellungsweise, und diese wird gerade durch ihre Zu- und vielleicht teilweise Überspitzungen die wissenschaftliche Diskussion befruchten können.
Bei allen gemachten Einschränkungen soll jedenfalls nicht bestritten werden, dass mit den gerade wegen der unterschiedlichen Akzentuierungen komplementär zu verwendenden Arbeiten von Eric-Oliver Mader und Wolfgang Burgdorf zwei Studien vorliegen, die die Mär vom sang- und klanglosen Untergang des Alten Reiches endgültig in das Reich widerlegter Geschichtsmythen verwiesen haben.
Anmerkungen:
[1] Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil II: Biographien (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; Bd. 26/1 und II), 2 Bde., Köln / Weimar / Wien 2003 (Teil I im Druck). Vgl. meine Rezension in sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/04/5491.html.
[2] Wolfgang Burgdorf: Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte; Bd. 173: Abteilung für Unversalgeschichte; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches; Nr. 13), Mainz 1998.
Matthias Schnettger