Rezension über:

Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster zwischen Klosterreform und Reformation (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe; 30), Tübingen: Mohr Siebeck 2006, XIII + 427 S., ISBN 978-3-16-148883-2, EUR 89,00
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Rezension von:
Thomas Brakmann
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Brakmann: Rezension von: Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster zwischen Klosterreform und Reformation, Tübingen: Mohr Siebeck 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/12878.html


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Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis?

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Barbara Steinke untersucht in ihrer kirchengeschichtlichen Dissertation am Beispiel des Nürnberger Dominikanerinnenklosters St. Katharina, welche Konsequenzen die tiefgreifenden theologie- und mentalitätsgeschichtlichen Umbrüche der Reformation auf den Gesamtkonvent und auf einzelne Nonnen hatten. Insbesondere die Ablehnung des weiblichen Religiosentums und des Jungfräulichkeitsideals durch lutherische Theologen stellten die Schwestern vor die schwierige Entscheidung, entweder im Sinne ihrer observanten Spiritualität im Konvent als "Paradiesgarten" zu verbleiben (1-2), oder aber sich der protestantischen Lehre anzuschließen und St. Katharina als Ort der Repression, als Gefängnis zu verlassen. Steinkes Interesse zielt darauf ab, die "reformatorische Verunsicherung der Klosterfrauen" zu erfassen "und die Tiefendimension der individuellen Entscheidung, das Kloster zu verlassen oder dem alten Glauben und damit den Konvent treu zu bleiben" nachzuvollziehen (3).

Die Forschung zu St. Katharina nahm in der jüngeren Vergangenheit überwiegend Fragen zum Zusammenhang von Bibliothekswachstum und Reform in den Blick, umfasste doch die einmalige "Reformbibliothek" des Konvents eine Sammlung von weit über 600 volkssprachigen Handschriften. Darüber hinaus standen bislang vorwiegend bildungs- und kunstgeschichtliche Aspekte sowie die Geschichte der dominikanischen Ordensreform im Focus der (kunst-)historischen, altgermanistischen und theologischen Forschung. Zu Recht verweist Steinke auf zahlreiche offene Fragen zu den Inhalten der Nonnenunterweisung und zur Reformspiritualität in den observanten dominikanischen Frauenkonventen (10-11). Trotz zahlreicher Einzeluntersuchungen sind Fragen zur Religiosität und zur weiblichen Frömmigkeit am Vorabend der Reformation ebenso wenig behandelt worden wie Aspekte des Überlebens von Frauenklöstern in protestantischer Umgebung. Steinkes geistes-, frauen- und theologiegeschichtliches Interesse gehört der Frage, ob der hartnäckige Widerstand der Konventualinnen gegen ihre Auflösung - die Männerorden fügten sich schneller ihrem reformatorischem Schicksal - in ihrer (observanten) Spiritualität begründet und theologisch motiviert war.

Das Buch gliedert sich in vier sehr gut miteinander verzahnte Abschnitte. Im ersten Kapitel (17-69) skizziert Steinke die Einführung der Regelobservanz in St. Katharina 1428, die maßgeblich auf den Nürnberger Rat zurückging. Das Kloster nahm innerhalb der dominikanischen Observanzbewegung neben dem elsässischen Kloster St. Birgitta in Schönensteinbach die führende Stelle unter den Dominikanerinnen in der Provinz Teutonia ein. Diese Reform des 15. Jahrhunderts führte entscheidende Kompetenzen - wie die Kontrolle über die Neuaufnahme neuer Schwestern und die Verwaltung des Klostervermögens - in die Hände des Rates; im Zuge der Stadtreformation des 16. Jahrhunderts beschleunigten diese Zuständigkeiten dann die Auflösung des Konventes. Andererseits formierte sich durch die Inhalte jener frühen Reform eine eigene Konventsidentität, die der (Stadt-)Reformation Widerstand bieten konnte.

Im zweiten Kapitel (71-243) skizziert Steinke - in dieser Ausführlichkeit erstmals - die zentralen Inhalte der observanten (dominikanischen) Spiritualität und Frömmigkeit, die den Schwestern vermittelt wurden und aus zahlreichen frömmigkeitstheologischen Texten der Klosterbibliothek (insbesondere anhand des Schrifttums Georg Falder Pistoris) zu rekonstruieren sind. Die Ordensreform verfolgte die strenge Einführung der Klausur und die Stärkung der "vita communis". Dies sollte durch die Verpflichtung zum gemeinsamen Chorgebet, durch die Pflege der Tischlesung, durch die Aufgabe einer erlebnismystischen Spiritualität und durch die Bekämpfung jeglichen geistlichen Individualismus erreicht werden.

Die Erfüllung der Gelübde der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams verstanden die Schwestern als schriftgemäße Form der "imitatio Christi", der eine göttliche Berufung vorausging. Das Kloster wurde als Ort des "Strebens zur Vollkommenheit" verstanden, die Profess selbst als eine Form der "zweiten Taufe", die die Schwester analog zur ersten Taufe in den Zustand der Schuldlosigkeit zurück versetzte. Das Christusbild der Schwestern enthielt neben soteriologischen auch braut- und erlebnismystische Aspekte: Die Nonne als "sponsa Christi" konnte und sollte ihren Bräutigam als sinnlichen Partner im Alltag erfahren; dem irdischen Treuversprechen, der Profess, wurde eschatologische Bedeutung beigemessen. Eine Verletzung des Gelübdes der Keuschheit sowie der Austritt aus dem Ordensstand war damit für die Schwester (im Gegensatz zu den Männerklöstern) ein Treue- und Ehebruch gegenüber Christus selbst.

Das theologie- und mentalitätsgeschichtliche Fundament des Klosterwesens, die Frömmigkeitspraxis sowie das propagierte Spiritualitätsideal erfuhren im Zuge der Nürnberger Stadtreformation eine massive Ablehnung durch protestantische Prediger und Theologen wie Lazarus Spengler und Johannes Schwanhäuser. Beide sahen die Bestimmung der Frau ausschließlich in Ehe und Mutterschaft und verfolgten die Abschaffung des weiblichen Religiosentums. Damit vollzogen sie indirekt einen Bruch mit der spätmittelalterlichen frauenspezifischen Christologie der Dominikanerinnen in St. Katharina.

Das dritte Kapitel (245-287) schildert die unmittelbaren Auswirkungen der Nürnberger Stadtreformation auf das Katharinenkloster. Der Konvent ging zunächst den Weg des geringsten Widerstandes, stemmte sich aber dann hartnäckig gegen reformatorische Eingriffe, ohne dabei vom eigenen Orden unterstützt worden zu sein. Neun der fünfzig Schwestern verließen den Konvent, oft auf Druck der Verwandten, vereinzelt auch aus eigener Überzeugung. Als die tragenden Säulen des Widerstandes gegen die Klosterauflösung macht Steinke die grundlegenden Ideale und die gemeinschaftsbezogene Frömmigkeitspraxis der Observanz selbst aus. Nicht das 1525 durch den Rat verhängte Verbot von Neuaufnahmen - das immer wieder durch das heimliche Einschleusen neuer Schwestern zu umgehen versucht wurde - , sondern erst die endgültige Übernahme der Finanzhoheit über das Kloster 1577 führte zum Niedergang und letztlich zur Schließung des Konvents im Jahre 1596.

Das vierte Kapitel (289-314) bietet einen Vergleich der Reformationsgeschichte in St. Katharina mit jener des Engelthaler und des Bamberger Dominikanerinnenkonventes. Der Austritt einer Schwester war ohne die Unterstützung ihrer Familie unmöglich. Entscheidend für Untergang oder Überleben eines Konventes waren weniger die religiösen Überzeugungen der Schwestern, sondern wie bei der Einführung der Observanz im 15. Jahrhundert der politische Wille des weltlichen Regiments.

Der Anhang bietet unter anderem eine ausführliche Beschreibung der zitierten (Unterweisung-)Texte aus St. Katharina (323-364), sowie eine kommentierte Transkription der Professerklärung der Schwester Walltburg Walltherin aus dem Jahr 1569 (370-372).

Kritisch anzumerken ist, dass Steinke - trotz Nennung einzelner Gegenbeispiele - davon ausgeht, dass observante Konvente stärkeren Widerstand gegen die Durchsetzung der Reformation übten als konventuale Gemeinschaften. Die Forschung zur Lebensweise der Dominikanerinnen im 15. und 16. Jahrhundert schenkte den von Reformen oder zumindest Reformversuchen betroffenen Frauen eine größere Aufmerksamkeit als den konventual lebenden. Wo aber sind die spezifischen Unterschiede zwischen observanter und nicht-observanter Spiritualität? Die Texte, aus denen Steinke analytisch sehr präzise die Inhalte observanter Spiritualität herausarbeitet, wurden vielfach genauso in nicht-reformierten Konventen rezipiert.

Zu fragen ist, ob die Frömmigkeitsinhalte, die Steinke hier mustergültig herausarbeitet, noch ein angemessenes Kriterium zur Unterscheidung von Observanz und Nicht-Oberservanz sein können. Der Leser vermisst eine grundsätzliche Reflektion über diese Frage. Zu postulieren wäre ferner, dass die observante Spiritualität einer institutionellen Bindung notwendigerweise nicht bedarf und allgemein eingebunden werden sollte in die Intensivierung der Frömmigkeit, die das gesamte 15. Jahrhundert durchzieht. Dieser Befund findet sich für St. Katharina bereits auf der Ebene des Bücheraustauschs zwischen reformierten und nicht-reformierten Klöstern bestätigt.

Der positive Gesamteindruck des Buches steht aber nicht zur Diskussion. Barbara Steinke hat sich intensiv in die theologie-, mentalitäts- und ordensgeschichtlichen Aspekte ihres Themas eingearbeitet und greift übergeordnete und weiter zu untersuchende Fragestellungen auf. Ihr gelingt es überzeugend, die psychologische und theologische Zwangslage zu veranschaulichen, mit der sich die Ordensfrauen weit stärker als die Mönche durch die Reformation konfrontiert sahen. Ihre Arbeit bietet mit der Erschließung, Untersuchung und ausführlichen Zitierung von bislang nicht-edierten Texten eine Fülle interessanter neuer Erkenntnisse und Beobachtungen über die Frauenspiritualität in Dominikanerinnenklöstern des 15. und 16. Jahrhunderts.

Thomas Brakmann