Katharina Jahntz: Privilegierte Handelscompagnien in Brandenburg und Preußen. Ein Beitrag zur Geschichte des Gesellschaftsrechts (= Schriften zur Rechtsgeschichte; Heft 127), Berlin: Duncker & Humblot 2006, 222 S., ISBN 978-3-428-12101-4, EUR 68,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Thekla Keuck: Hofjuden und Kulturbürger. Die Geschichte der Familie Itzig in Berlin, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011
Patrick Berendonk: Diskursive Gerichtslandschaft. Die jüdische Minderheit vor landesherrlichen Obergerichten im 18. Jahrhundert, Konstanz: UVK 2020
Philipp Jakobs: Max Weber und die Organisationssoziologie. Überlegungen zu einem Begriff der vormodernen Organisation, Heidelberg: Springer-Verlag 2021
Wer nach der Rolle privilegierter Handelsgesellschaften bei der Ausformung des "globalen Zeitalters" fragt, wird wohl zuerst an die Verenigde Oost-Indische Compagnie (V.O.C) der Niederländer sowie an die britische East India Company denken, hinter deren klangvollen Namen sich im 17. und 18. Jahrhundert eine "Welt voller Segelschiffe" auftat und deren Handelsniederlassungen den Nukleus späterer Kolonialverwaltungen bildeten. [1] Allerdings beteiligte sich am Handel mit Indien und China seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch eine Anzahl von Compagnien, deren Privilegien in Berlin und Potsdam ausgefertigt worden waren.
Anders als man sich dies um 1890 gewünscht hätte, als dieses Kapitel brandenburgisch-preußischer Wirtschafts- und Seefahrtsgeschichte bezeichnender Weise erstmals das Interesse der Forschung auf sich zog, waren jene zumeist wenig erfolgreichen Gesellschaften kaum dazu geeignet, als glorreiche Ouvertüre deutscher Kolonialpolitik herzuhalten. Doch wenn sich das Thema für wilhelminische Flottenenthusiasten als eher ernüchternd herausstellte, muss dies für die heutige Preußenforschung keineswegs gelten. So reicht die Thematik in zahlreiche Problemkreise hinein, von denen hier lediglich die niederländischen Einflüsse auf Brandenburg zur Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (reg. 1640-1688) sowie der sich nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) verschärfende Fiskalismus mit all seinen ökonomischen und sozialen Auswirkungen genannt seien.
In ihrer im Jahre 2005 von der Humboldt-Universität Berlin angenommenen Dissertation widmet sich Katharina Jahntz dem Phänomen aus rechtsgeschichtlicher Perspektive. Dabei steht die Frage nach möglichen Kontinuitätslinien zwischen den frühneuzeitlichen Handelscompagnien und den modernen Aktiengesellschaften im Zentrum ihrer Untersuchung. Wenn die Autorin jedoch einleitend hervorhebt, dass das Rechtsinstitut der Aktie als "Modell für die breitgestreute Sammlung von Kapital" (17) durch die Handelscompagnien seine erste Ausformung gefunden habe, wäre ein vergleichender Blick auf das wesentlich ältere Finanzierungsmodell der Kuxen wünschenswert gewesen. Diese im 15. Jahrhundert aufkommenden Beteiligungen an bergrechtlichen Gewerkschaften, die ein verbreitetes Spekulationsobjekt darstellten, im Unterschied zur Aktie jedoch mit einer Nachschusspflicht verbunden waren, kommen hingegen bei Jahntz nur am Rande vor (87, 150).
Gegliedert ist die vorliegende Studie in drei Teile, welche zugleich die von der Autorin vornehmlich konsultierten Quellengattungen benennen. In einem ersten Schritt werden die landesherrlichen "Octrois" (Privilegien) mit Blick auf Gründungsvoraussetzungen, Beteiligungsformen sowie Organisation und Leitung untersucht (30-137). Daran schließt sich eine Analyse der zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Literatur (138-161) und ein Überblick über die Stellung der Compagnien im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung (162-175) an.
Im ersten Kapitel, das zugleich den Schwerpunkt der Arbeit darstellt, stützt sich Jahntz auf die Satzungen von 21 (zum Teil lediglich projektierten) Compagnien, die zwischen 1651 und 1772 in Brandenburg-Preußen privilegiert wurden. Überzeugend gelingt es ihr dabei, sowohl für das 17. als auch das 18. Jahrhundert die letztlich entscheidende Rolle des Kurfürsten/Königs und seiner jeweiligen wirtschafts- und außenpolitischen Zielsetzungen herauszuarbeiten. Denn wenngleich die Compagnien mit Ausnahme der 1772 ins Leben gerufenen Seehandlung als eigenständige Wirtschaftsunternehmen zu betrachten sind, die erst in zweiter Linie den Zielen des Souveräns verpflichtet waren, so war doch eine freie Gesellschaftsgründung nicht möglich. Die vielfach kaufmännischer Initiative entspringenden Compagnien bedurften stattdessen eines Octrois, durch den der Landesherr ein zeitlich befristetes Handelsmonopol für überseeische Regionen erteilte, Schutz und Schirm auf den Weltmeeren und im Kontakt mit auswärtigen Mächten zusicherte (was immer das im Einzelfall auch wert sein mochte) sowie der Gesellschaft vielfach die niedere Gerichtsbarkeit gewährte.
Erst auf dieser Grundlage konnte mit der Ausgestaltung der internen Satzung und der Zeichnung von Anteilen begonnen werden. Deren Erwerb blieb dabei in Brandenburg-Preußen angesichts des allgegenwärtigen Kapitalmangels weder auf Untertanen der Hohenzollernkrone begrenzt, noch unterlag er ständischen Schranken. Selbst Juden wurden nicht ausgeschlossen, sondern beispielsweise in einer Ergänzung des Octrois der Brandenburgisch-Ostindischen Compagnie von 1652 ausdrücklich zur Teilnahme eingeladen.
Instruktiv sind auch die Ausführungen zu Organisation und Leitung der Gesellschaften, die nach dem Vorbild der V.O.C. aus einem Direktorium und einer zumeist einmal jährlich tagenden Generalversammlung bestanden. Lediglich die unter besonders großem staatlichen Einfluss stehende Seehandlung, deren Aktien zudem kein Stimmrecht vermittelten, kam ohne eine solche "assemblée générale" aus. Doch bildete die Generalversammlung, auf der die Direktoren ("Bewindhaber") gewählt sowie die Dividendenausschüttung und etwaige Kreditaufnahmen beschlossen wurden, keineswegs ein "demokratisches Organ aller Aktionäre" (121). Stattdessen differenzierten sich die Teilhaber je nach Höhe ihrer Einlagen in Partizipanten und Hauptpartizipanten. Letzteren blieb es dabei in aller Regel vorbehalten, durch eine Teilnahme an den Generalversammlungen wesentlichen Einfluss auf den Gang der Geschäfte zu nehmen. Demgegenüber beschränkten sich die Rechte von Kleinanlegern zumeist auf die Teilhabe an der Gewinnausschüttung sowie auf eine Kontrolle der Jahresbilanzen.
Den auf das Wohl der Compagnie vereidigten und zumeist dem Kollegialitätsprinzip verpflichteten Direktoren oblag hingegen die gesamte Leitung der Gesellschaft nach innen und außen, wobei der Grad der Abhängigkeit von den Weisungen der Generalversammlung variierte. Während bei den Handelscompagnien des 17. Jahrhunderts darüber hinaus noch das Amt eines vom Souverän zu ernennenden Präsidenten vorgesehen war, findet sich jene Instanz in den meisten Octrois des 18. Jahrhunderts nicht mehr, was die Autorin im Sinne eines Rückgangs staatlicher Einflussnahme interpretiert (117, 133).
Durch die in den Kapiteln 2 und 3 geleistete Untersuchung der zeitgenössischen Rechtswissenschaft sowie der Gesetzgebung (vor allem durch das Allgemeine Landrecht von 1794) gelangt die Autorin hinsichtlich des Vorbildcharakters der Handelscompagnien für die seit dem 19. Jahrhundert im Rahmen des Eisenbahnbaus rasch an Bedeutung gewinnenden Aktiengesellschaften zu einem differenzierten Ergebnis. So habe das Aufkommen von Aktien im Ancien Régime zwar zu einer "Versachlichung der Kapitalverhältnisse" (176) beigetragen.
Doch wenn heutzutage gerade in der Ausgabe von mit Mitgliedschaftsrechten versehenen Aktien das Hauptmerkmal einer Aktiengesellschaft zu erblicken sei, so gelte dies für die zeitgenössischen Juristen gerade nicht. Stattdessen wurde die Aktie bis ins 19. Jahrhundert hinein lediglich als Obligation und somit als schuldrechtlich begründete Forderung charakterisiert: "Was heute als zentral erscheint, war damals zwar neu, aber eine Randerscheinung und weniger prägend für den Charakter der Gesellschaft als die öffentliche Verleihung eines Privilegs." (157)
Ungeachtet kleinerer Redundanzen hat Jahntz eine kompakte und gut lesbare Darstellung vorgelegt, die insbesondere an jenen Stellen, an denen ein normativer Ansatz an seine Grenzen stößt, zu weiterer Beschäftigung mit der Materie einlädt. Denn ob Aktien den preußischen Kapitalmarkt bereits in friderizianischer Zeit im Sinne einer tendenziellen Versachlichung zu prägen vermochten, ist eine Frage, die auf Basis von Octrois nicht zu beantworten ist.
Beispielsweise würde man gern mehr über ein im Stadtarchiv Emden überliefertes Aktienbuch der Asiatischen Compagnie Stuarts aus dem Jahre 1752 erfahren, das die Namen von 1.000 Aktionären mit der Höhe ihrer Einlagen verzeichnet (74). Aus dem Kreis der Kaufmannschaft sind durchaus Beispiele von Vorbehalten gegenüber der Zeichnung von Aktien durch "Schindersgesellen oder Balbierer" dokumentiert, erachtete man es doch mitunter als unter seiner Ehre, in der Hauptversammlung "unter dergleichen Gesellen zu sitzen" (52). Waren dies jedoch Einzelfälle, oder verbirgt sich hinter derartigen Zeugnissen tatsächlich eine durch das Institut der Aktie zumindest beförderte Transzendierung überkommener Standesschranken?
Von besonderer Bedeutung dürften in diesem Kontext wohl die Jahre des Rétablissements nach 1763 sein, während derer Friedrich II. in großem Umfang Handelsgesellschaften privilegierte. In welchem Maße wurden dadurch auf dem Kapitalmarkt Entwicklungen angestoßen, die ähnlich den zeitgleichen Siedlungsmaßnahmen "schon über die Strukturen des altpreußischen Maßes hinaus" [2] wiesen?
Eine weitere Frage kann hingegen nur der Verlag beantworten: Muss ein kartonierter Band von 222 Seiten wirklich 68 Euro kosten, oder wäre nicht ein wohlfeilerer Preis den in der Gelehrtenrepublik vorherrschenden Kapitalverhältnissen eher angemessen und insofern dazu geeignet, den Debit zu poußieren - wie es ein Anteilseigner einer Handelscompagnie im 18. Jahrhundert wohl formuliert hätte?
Anmerkungen:
[1] John E. Wills: 1688. Die Welt am Vorabend des globalen Zeitalters, Bergisch Gladbach 2002 (Original 2001).
[2] Wolfgang Neugebauer: Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2001, 134.
Tobias Schenk