Rezension über:

Dorothea Diemer: Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio. Bronzeplastiker der Spätrenaissance, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2004, 2 Bde., 420 S. + 544 S., 64 Farbtafeln, 552 s/w-Abb., ISBN 978-3-87157-204-3, EUR 248,00
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Rezension von:
Antje Scherner
Museumslandschaft Hessen, Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Gabriele Wimböck
Empfohlene Zitierweise:
Antje Scherner: Rezension von: Dorothea Diemer: Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio. Bronzeplastiker der Spätrenaissance, Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/7278.html


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Dorothea Diemer: Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio

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Mehrere Publikationen haben sich im vergangenen Jahr mit Giambologna und dessen Einfluss auf die Bildhauerkunst nördlich der Alpen befasst. Die Ausstellungskataloge von Florenz, Wien und Dresden [1] stellten dabei unter anderem die Frage, wie der Stil des Florentiner Meisters für einige Jahrzehnte in ganz Europa führend werden konnte. In den Blick rückten nicht nur die diplomatischen Geschenke der Medici, die gezielt für die Verbreitung eines Florentiner Stils eingesetzt wurden, sondern auch Künstler, die in Florenz mehr oder weniger direkt bei Giambologna ausgebildet wurden und im Dienste nordalpiner Auftraggeber ihr Hauptœuvre in dessen Manier hinterlassen sollten: Pietro Francavilla, Adriaen de Vries, Hans Reichle, Hubert Gerhard und Carlo di Cesare.

Mit ihrer seit Ende 2004 vorliegenden Doppelmonografie über Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio hat Dorothea Diemer die vielleicht profundeste Grundlage für Untersuchungen dieser Art von Kulturtransfer gelegt.

Das knapp 550 Seiten starke, zweibändige Werk gliedert sich in eine mehr oder weniger chronologisch aufgebaute Darstellung von Vita und Œuvre beider Bildhauer (Band I) und einen umfangreichen Quellen-, Katalog- und Bildteil (Band II). Dem Charakter einer zweifachen Künstlermonografie entsprechend, verfolgt Diemer in ihrer sorgsam recherchierten, detailliert belegten Studie den Werdegang beider Plastiker von der Ausbildung über die prägende Zeit in Florenz (Kap. I) bis zum Wirken in Süddeutschland. Der Schwerpunkt liegt zu Recht auf der Ära Herzog Wilhelms V. von Bayern (Kap. II), der die höfische Kunstproduktion systematisch an Florentiner Vorbildern ausrichtete. Die Abdankung des Herzogs 1597 stellte für beide Künstler daher auch einen gravierenden Einschnitt dar. Gerhard orientierte sich neu und trat in die Dienste Erzherzog Maximilians III. von Österreich (Kap. III), Carlo di Cesare verstarb 1598 in Mantua.

Diemer rückt die einzelnen Werke und Werkgruppen in verschiedenen Materialien in den Mittelpunkt der Untersuchung, beleuchtet Werkstattzusammenhänge oder Arbeitsprozesse und beleuchtet Zuschreibungsfragen, doch kreisen ihre Überlegungen auch um die Frage, welche Faktoren zur Verbreitung eines italienischen Stils nördlich der Alpen beitrugen.

Hier zeichnet sie zunächst den Weg nach, der beide Künstler nach Bayern führte: Der gebürtige Florentiner di Cesare, der bereits 1560 als Gehilfe zum engeren Kreis um Giambologna gehörte, 1565 in die Florentiner Kunstakademie aufgenommen wurde und im selben Jahr am Festapparat für die Hochzeit von Francesco I de' Medici arbeitete, reiste 1568 erstmals über die Alpen. Seine schon in Florenz fassbare Spezialisierung als "formatore" (im Gegensatz zu den "scultori"), also ein Schwerpunkt in der dekorativen Plastik und Erfahrung mit Stuck und Terrakotta, kam sogleich beim ersten deutschen Auftrag, der Dekoration des Fugger Stadtpalasts in Augsburg (1568-1573), zum Tragen. Erst danach, 1573, sind eigene Bronzeplastiken dokumentiert; in Stein hat er nie gearbeitet.

Hubert Gerhard, der vermutlich um 1550 in 's-Hertogenbosch geboren wurde und seine Ausbildung zum Bronzeplastiker wohl in Brüssel bei Jacques Jonghelinck absolvierte, dürfte um 1581 zu den ungenannten "giovani" von Giambologna gezählt haben. Konkret fassbar wird er erst als fertig ausgebildeter Bildhauer. Hans Fugger beauftragt den aus Italien Kommenden - zusammen mit di Cesare - um 1582 mit überlebensgroßen Terrakottafiguren für sein Schloss in Kirchheim an der Mindel (bis 1584), mit einem Modell für sein Grabmal und später mit dem Mars-Venus-Brunnen in Kirchheim (vollendet 1595).

Neben den Fuggern wird für beide Bildhauer Herzog Wilhelm V. von Bayern zum wichtigsten Auftraggeber. Noch als Erbprinz nahm er 1574 di Cesare für Arbeiten auf Burg Trausnitz über Landshut in seine Dienste. In den 1580er-Jahren, nach seinem Regierungsantritt, zog er planmäßig italienische Spitzenkräfte nach München, die nach dem Vorbild der mediceischen Hofwerkstätten arbeitsteilig organisiert waren und überwiegend unter der Leitung von Friedrich Sustris arbeiteten. Auch Hubert Gerhard zählte zu jenen Künstlern. Zunächst noch für die Fugger tätig, kam er ab 1583/84 in die bayerische Residenzstadt, deren Erscheinungsbild er mit Bronzestatuen für Brunnen und an Fassaden, vor allem aber mit der Terrakotta- und Stuckdekoration sowie dem unvollendeten Stiftergrabmal Herzog Wilhelms V. für St. Michael nachhaltig prägen sollte.

Warum in Italien geschulte Künstler? Für einen Mann wie Hans Fugger, der transportable Kunstgüter lieber direkt in Italien kaufte, waren Friedrich Sustris, Carlo di Cesare und Hubert Gerhard vor allem für die wandfeste Ausstattung der Gebäude und für (nicht transportable) großformatige Terrakotta- und Bronzeplastik interessant. Bei der Ausstattung der Bauten, für die diese Künstler vorwiegend arbeiteten, war das Italienische jedoch kein Wert an sich (44). Dies zeigt sich unter anderem in den Kunstkammern bzw. Privatsammlungen. Weder Hans Fugger noch Wilhelm V. haben Kleinbronzen ihrer italienisch geschulten Bildhauer gesammelt. Fugger interessierte sich für Skulptur als autonomer Kunst offenbar nicht (45f.), Wilhelm V. hat weder Kleinbronzen zu erwerben gesucht (102) noch sich für vorbereitende Bozzetti seiner Bildhauer interessiert (145).

Größere Bedeutung kommt dem Technologietransfer aus Italien zu. Mit di Cesare und Gerhard wurden erstmals die Techniken der Terrakotta- und Stuckplastik sowie die Scagliola (135) nördlich der Alpen möglich. Im Bereich der Stuckherstellung hatte München in der Folgezeit eine Art Monopolstellung inne, sodass selbst italienische Auftraggeber wie Herzog Vincenzo Gonzaga von Mantua in München um die Überlassung von Rezepten und die Entsendung eines Meisters baten (136). Insbesondere aber die Fertigkeit im figürlichen Bronzeguss großen Formats - vom Aufbau der Figur in Wachs über einem Tonkern bis hin zum Ansetzen der Ausfluss- und Eingussröhren und dem Formen des Mantels - wird durch di Cesare und Gerhard nach München und von dort nach Dresden importiert. Diese neuen Techniken und Werkstoffe lösten in der Folge die am Münchner Hof heimische Schnitz- und Steinbildhauerkunst fast gänzlich ab.

Nicht nur aufgrund dieser Ergebnisse, sondern auch wegen der vielfältigen Überlegungen zu den historischen Rahmenbedingungen, in denen Fremdes und Neues in einem bestehenden künstlerischen Kosmos zur Entfaltung gelangt, ist Diemers Werk weit mehr als eine doppelte Künstlermonografie. Das Buch gibt einen Überblick über eine bedeutende Epoche bayerischer Kunst, die das Fundament langjähriger Studien - die ersten Veröffentlichungen von Diemer zu diesem Themenkreis stammen von 1986 - erkennen lässt. Detailreichtum, Materialsicherheit und tiefe Kenntnis machen diese Arbeit zu einem Grundlagenwerk für weitere Studien über Kulturtransfer und Hofkunst um 1600: in Augsburg, München, Dresden und darüber hinaus.


Anmerkung:

[1] "Giambologna: gli dei, gli eroi ; genesi e fortuna di uno stile europeo nella scultura", Ausst.Kat. Museo Nazionale del Bargello, hsrg. von Beatrice Paolozzi Strozzi und Dimitrios Zikos, Firenze 2006; "Giambologna: Triumph des Körpers", Ausst.Kat. Kunsthistorisches Museum Wien, hrsg. von Wilfried Seipel, Wien 2006; "Giambologna in Dresden: die Geschenke der Medici", Ausst.Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, München 2006.

Antje Scherner