Susanne C. Pils / Jan P. Niederkorn (Hgg.): Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit (= Publikationsreihe des Vereins für Geschichte des Stadt Wien; Bd. 44), Innsbruck: StudienVerlag 2005, 271 S., ISBN 978-3-7065-4165-7, EUR 27,90
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Die Erforschung der frühneuzeitlichen Fürstenhöfe erfolgt in den letzten Jahren zunehmend auf institutionalisierten Bahnen. Zu den Institutionen, die im deutschsprachigen Raum die Hof-Forschung in Gang halten, gehört die ehrwürdige Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, die 1985 etabliert, sowie der wesentlich jüngere Arbeitskreis "Höfe des Hauses Österreich", der 1999 ins Leben gerufen wurde. Beide haben nun in jüngster Zeit unabhängig voneinander je einen Sammelband vorgelegt, der sich mit dem Dualismus von Hofstaat und Stadtgemeinde in Residenzstädten auseinandersetzt. [1]
Der Fokus des hier zu besprechenden Bandes ist wesentlich auf die kaiserliche Residenzstadt Wien im 17. und 18. Jahrhundert gerichtet, ungeachtet der ersten beiden Aufsätze von Jörg Wettlaufer und Holger Thomas Gräf; Wettlaufer stellt das Handbuch der Fürstlichen Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich vor und sucht es im Hinblick auf das Verhältnis von Hof und Stadt in Residenzstädten fruchtbar zu machen. Gräf widmet sich der hessischen Residenzstädte Arolsen und Butzbach und kommt zu dem Ergebnis, dass ungeachtet der jeweils unterschiedlichen Entstehungsgeschichte in beiden Fällen von einer strikten Trennung des Hofstaates einerseits und der Stadtgemeinde andererseits nicht auszugehen ist.
Es folgen sieben Beiträge zur Residenzstadt Wien, die sich unterschiedlichen Themen widmen: Andreas Weigl fragt nach der Bedeutung des Hofes für die Wirtschaftsentwicklung der Stadt nach dem Dreißigjährigen Krieg, Herbert Haupt widmet sich dem Hofhandwerk sowie dem hofbefreiten Handwerk in der Stadt, Peter Rauscher geht den Juden in Wien sowie ihrem Verhältnis zum Kaiserhof wie zur Stadtgemeinde nach, Harald Tersch untersucht die Reiseberichte über Wien um 1700 und fragt danach, ob der Blick eher auf den Hof oder auf die Stadt Wien gerichtet war, Rouven Pons schildert den teilweise beschwerlichen Alltag der auswärtigen Gesandten in Wien jenseits von Zeremoniell und Festkultur, Martin Scheutz beschreibt das Zeremoniell der Armenspeisung und der Fußwaschung am Gründonnerstag in all seinen Facetten und Thomas Just geht schließlich der Armut in der Residenzstadt sowie dem politischen Umgang mit diesem Phänomen nach.
Alle Beiträge liefern interessante Informationen zu Themenfeldern, denen teilweise weder in der Hof-Forschung noch in der Stadtgeschichtsschreibung bislang die notwendige Aufmerksamkeit zuteil wurde. Insofern ist dieser Tagungsband ein Gewinn. Allerdings lässt sich der Eindruck der Heterogenität nicht verleugnen. Dies beginnt bereits damit, dass die Läge der Beiträge von sechs Seiten (Haupt) bis zu 64 Seiten (Scheutz) schwankt. Es setzt sich aber auch inhaltlich fort, da von vornherein darauf verzichtet wurde, das Verhältnis zwischen Hof und Stadt in der kaiserlichen Residenzstadt Wien im 17. und 18. Jahrhunderts abschließend zu erörtern und den Ertrag der einzelnen Beiträge zu bündeln. Diese Aufgabe bleibt daher dem Leser überlassen, der in den Einzelbeiträgen immer wieder Dinge erfährt, die förmlich danach schreien, miteinander in Beziehung gesetzt zu werden. An einem einzigen Beispiel soll dies dargelegt werden, weitere ließen sich unschwer nennen.
Man erfährt im Beitrag von Scheutz über die Gründonnerstag-Fußwaschung alter Frauen und Männer durch die Mitglieder der kaiserlichen Familie, wie dieses Ereignis sich einer gleichbleibend hohen Aufmerksamkeit und Beliebtheit erfreute, sowohl von Seiten der Herrscherfamilie, die für die Publizität der Fußwaschung einigen Aufwand trieb, aber auch auf seiten der armen Alten, von denen sich stets mehr Leute um die Teilnahme am Zeremoniell bewarben, als zugelassen werden konnten. Dieses Ritual wird von Scheutz zu recht als Inszenierung der Verbundenheit des Kaiserhofes mit der Wiener Stadtbevölkerung bzw. mit den Untertanen insgesamt gedeutet, als symbolischer Akt der Sorge um das Wohl der einfachen Menschen.
Thomas Just weist in seinem Aufsatz über die Armenfürsorge in der Stadt Wien hingegen nach, dass sich die habsburgische Obrigkeit keineswegs sonderlich darum scherte, wie es um die Armen innerhalb der kaiserlichen Residenzstadt bestellt war. Das Wiener Bürgerspital etwa als eine der größten Fürsorgeeinrichtungen der Stadt kämpfte im 17. Jahrhundert vergeblich darum, von der Hofkammer lange ausstehende Gelder erstattet zu bekommen; dazu zählten Stiftungen von Mitgliedern der kaiserlichen Familie, die nicht geleistet wurden, ausstehende Zinszahlungen etc. Das ganze Problem der Armutsbekämpfung war für die politischen Akteure am Hof offenkundig nur ein lästiger Störfaktor, weshalb sie sich auch darum bemühten, die Zuständigkeit gleich ganz an die Landstände abzuschieben.
In welchem Verhältnis steht nun dieses Desinteresse mit dem immer stärker betriebenen Aufwand bei der Fußwaschung am Gründonnerstag? War das Zeremoniell der Fußwaschung eine Art symbolische Kompensation für die Defizite in der Praxis? Und wie reagierte die Stadtbevölkerung auf die hier dargestellte Diskrepanz, falls sie reagierte? Den offiziellen Beobachtern der Zeit schien dieses Missverhältnis offenbar gar nicht aufgefallen zu sein; zumindest bleibt dieser Sachverhalt in den Stadtbeschreibungen von der Residenzstadt Wien unerwähnt, die Tersch in seinem Beitrag vorstellt. Solcherlei Fragen werden durch die Lektüre dieses Sammelbandes angeregt. Man muss sich diese Fragen allerdings selber stellen. Die passenden Antworten liefert ja vielleicht ein nächster Sammelband, der sich dem Thema Hof und Stadt annehmen wird.
Anmerkung:
[1] Werner Paravicini / Jörg Wettlaufer (Hrsg.): Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Residenzenforschung, 20), Ostfildern 2006.
Andreas Pečar