Michael Altripp / Claudia Nauerth (Hgg.): Architektur und Liturgie. Akten des Kolloquiums vom 25. bis 27. Juli 2003 in Greifswald (= Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven; Bd. 21), Wiesbaden: Reichert Verlag 2006, VII + 292 S., 47 Tafeln, ISBN 978-3-89500-474-2, EUR 98,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Jürgen J. Rasch / Achim Arbeiter: Das Mausoleum der Constantina in Rom, Mainz: Philipp von Zabern 2007
Adnan Shiyyab: Der Islam und der Bilderstreit in Jordanien und Palästina. Archäologische und kunstgeschichtliche Untersuchungen unter besonderer Berücksichtigung der »Kirche von Ya'mun«, München: Utz Verlag 2006
Annette Haug: Die Stadt als Lebensraum. Eine kulturhistorische Analyse zum spätantiken Stadtleben in Norditalien, Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2003
Die Beiträge des anzuzeigenden Sammelbandes entstanden im Rahmen eines Kolloquiums zum Thema "Architektur und Liturgie" im Jahr 2003 in Greifswald. Angesichts der seit etwa einer Dekade zu verzeichnenden Konjunktur des Themenkreises "Raum und Ritus" in mediävistischen Forschungen war es Ziel dieses Kolloquiums, über die Fachgrenzen zwischen Theologie, Christlicher Archäologie, Byzantinischer Kunstgeschichte und westlicher Kunstgeschichte des Mittelalters hinaus eine Standortbestimmung zu wagen und Wege für künftige Forschungen aufzuzeigen.
Die sehr allgemein gehaltene Ausrichtung der Tagung führte zu einer sowohl geografischen, als auch chronologischen wie thematischen Breite, die sich auch in den 24 in die Publikation aufgenommenen Beiträgen niederschlägt. Nach "Osten" und "Westen" gruppiert ordnen die Herausgeber die Aufsätze sechzehn verschiedenen Rubriken zu, die sehr deutlich ihre Disparatheit aufzeigen und meist einen einzigen Aufsatz, in lediglich einem Fall drei Aufsätze enthalten. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt im Zeitraum zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert, sieben Texte behandeln Objekte des 12./13. Jahrhunderts, einer die Karolingerzeit. Alle widmen sich Architektur und Liturgie des christlichen Kults mit Ausnahme des Abschlusstextes zum antiken und spätantiken Synagogenbau (Diebner).
Dem Buch sind einleitend zwei Aufsätze von Liturgiewissenschaftlern vorangestellt, die aus theologischer Perspektive die Chancen der interdisziplinären Erforschung des Themas aufzeigen und zugleich seine Nutzbarmachung für aktuelle praktisch-theologische Fragen fordern (Odenthal, Larson-Miller). Kern ihrer Überlegungen ist es, bei einer Konzentration auf Funktionsanalysen historischer Kirchenbauten nicht den Verweischarakter der Räume aus den Augen zu verlieren. Larson-Miller stellt mit "Does God live here?" die zentrale Frage nach der Sakralität christlicher Versammlungsräume und der damit verbundenen Doppelnatur: sie sind zum einen domus ecclesiae, zum anderen domus dei. [1] Die Autorin eröffnet den Blick auf viele interessante Fragestellungen, zum Beispiel inwieweit das Bedürfnis einer Kommemoration der "very special dead" der frühen Christengemeinde Einfluss auf die Kirchenarchitektur ausübte, und schlägt den Bogen bis zu aktuellen Empfehlungen zum Kirchenbau durch die amerikanische Bischofskonferenz.
Es folgt ein sehr kurzer Aufsatz von Michael Kohlbacher zu einem der zentralen Quellentexte in der Diskussion um Wechselbezüge zwischen frühchristlicher Liturgie und Architektur, dem so genannten "Testamentum Domini", speziell dem darin enthaltenen Kirchenbauabschnitt. Diesem beachtenswerten Thema hätte man eine ausführlichere Behandlung als nur zweieinhalb Seiten gewünscht. So steht die Schlusshypothese, das normative Beharren auf der dreischiffigen Basilika als Bauform der Gemeindekirche ließe sich vor dem Hintergrund eines gegenläufigen Trends verstehen, nämlich der vermehrten Errichtung von Zentralbauten in der Entstehungszeit und -region des Textes, leider ohne argumentative Darlegung im Raum.
Im Unterkapitel "Liturgische Grundlagen: Westen" befassen sich zwei Beiträge mit ortsfesten liturgischen Einrichtungen in Kirchenräumen: Pia Theis rekonstruiert eine geplante Ausstattung für die Oberkirche von S. Francesco in Assisi am Ende des 13. Jahrhunderts, die den Raum für die päpstliche Liturgie adaptieren sollte. Izida Pavić entfaltet in ihrer Untersuchung zu Ambonen und Fußwaschbecken im spätantiken Salona/Solin einen weiten Horizont zu Typologie und Funktion frühchristlicher Ambone und stellt die These auf, dass die Soliner Stücke möglicherweise bei der Psalmenrezitation in der Totenliturgie genutzt wurden, da sie in Coemeterialbauten auftreten. Sie vermutet, dass die um die Mitte des 6. Jahrhunderts in Salona eingerichteten hexagonalen Ambone Reflex einer Orientierung an palästinischen Vorbildern waren, die möglicherweise mit einer Übernahme östlicher Liturgieelemente einhergingen.
Ebenfalls im 6. Jahrhundert kommen in den ehemals gallischen und germanischen Provinzen Amboanlagen mit einer charakteristischen "Schlüssellochform" auf, die nach Sebastian Ristow mit einem wiederum starken östlichen Einfluss in der altgallischen Liturgie zu verbinden sind. Dieser Beitrag ist an späterer Stelle unter der Rubrik "Liturgische Ausstattung: Westen" zu finden und der Untersuchung von Sabine Weitzel zur spätmittelalterlichen Ausstattung von St. Nikolai in Stralsund gegenübergestellt - ein Beispiel für die manchmal eher hinderlichen als hilfreichen Themengruppierungen des Bandes.
Eine immer wieder gestellte Frage in der Diskussion um die Genese der frühchristlichen Basilika und die mit diesem Bautyp verbundenen Architekturinnovationen ist, ob bestimmte Architekturformen durch liturgische oder andere funktionale Anforderungen an den Kirchenraum bedingt waren. Es verwundert daher nicht, mehrere Beiträge zu diesem Themenkreis zu finden, darunter einen von Christina Stein zum Bautyp der Querhausbasilika. Das zuerst an St. Peter in Rom eingeführte Konzept fand nach bisheriger Kenntnis in etwa 65 spätantiken Kirchenbauten eine Weiterführung, war im Verhältnis zur dreischiffigen Standardbasilika also eine verhältnismäßig seltene Sonderform. Weshalb das Querhaus entstand, kann die Autorin nicht klären. Sie widerlegt allerdings die in der älteren Forschung häufiger aufgestellte These, dieser Raumteil sei für den Offertoriumsritus genutzt worden. [2]
Dass exemplarische Analysen letztlich weiter führen, zeigen die beiden anschließenden Untersuchungen, die sich einerseits mit der Adaption eines bestehenden Heiligtums für den christlichen Kult (Mania zur Umnutzung der so genannten Roten Halle in Pergamon), andererseits mit der Adaption eines christlichen Kultbaus an gewandelte liturgische Anforderungen (Grossmann zum Baptisterium von Abū Mīnā) beschäftigen. Mania gibt zu bedenken, funktionale Aspekte bei der Wahl der Baugestalt nicht überzubewerten. Beim Umbau der Roten Halle, einem Tempel der ägyptischen Götter, zur Bischofskirche der Stadt war seiner Meinung nach eher intendiert, einen aktuellen Konstantinopler Bautyp zu kopieren.
"Der sakrale Raum und seine liturgische Nutzung" enthält im Abschnitt "Westen" so verschiedene Aufsätze wie eine Untersuchung zur liturgischen Nutzung des Sieneser Domes (Schilling), zur Funktion karolingischer Westwerke (Krüger) und zu Raumvorstellungen in frühmittelalterlichen gallischen Quellen (Carmassi). Insbesondere Krügers Beitrag ist beachtenswert, schlägt sie doch nach kritischer Darlegung des Forschungsstands und Diskussion der wichtigsten Beispiele vor, die ursprüngliche These von Georg Dehio ernst zu nehmen, die so genannten Westwerke seien Westchöre gewesen. Im Abschnitt "Osten" behandeln zwei Aufsätze die Bezüge von Raum und Liturgie im sicherlich meist untersuchten Bau zu dieser Frage: der Konstantinopler Hagia Sophia (Schneider, Stichel).
Dem Altar und den Abschrankungen des Altarraums sind die drei folgenden Rubriken gewidmet mit jeweils einem Aufsatz zu frühbyzantinischen Reliquienaltären in Konstantinopel (Peschlow), zu Chorschranken in Burgund (Schirmer) und zu Templonanlagen und Bildprogrammen kappadokischer Kirchen (Warland). Warlands Aufsatz untersucht anhand von zwei Beispielen die komplexen Bezüge von Bild, Bildort und Liturgie - ein Thema, dem sich bereits eine von Warland organisierte Tagung widmete [3] - und zeigt damit gewissermaßen eine Lösung für die eingangs von Seiten der Liturgiewissenschaft geäußerten Bedenken auf, dass bei zu einseitigen Funktionsanalysen der symbolisch-eschatologische Charakter von Kultorten außer Acht geraten kann. Natürlich lässt sich Warlands Ansatz schon allein aufgrund der mangelhaften Erhaltungsbedingungen der meisten spätantiken und mittelalterlichen Kirchenausstattungen nur an sehr exemplarischen Einzelfällen vollziehen. Dass ephemere Ausstattungselemente und deren Ikonographie hierbei ergänzend zu betrachten sind, zeigt ein Aufsatz zu Bildprogramm und Anbringungsort des Abraham-Engel-Teppichs im Halberstädter Dom (Preiß).
Am Ende des Bandes wird noch einmal deutlich, dass bei einer Untersuchung von Architektur und Liturgie nicht nur die Konstituente des Raumes auf die Vielschichtigkeit ihrer Beschaffenheit hin zu analysieren ist, sondern auch diejenige der in diesem Raum vollzogenen Handlung. So sind Kirchen nicht nur Ort liturgischen Geschehens, können Liturgien regionale und lokale Besonderheiten aufweisen oder durch außerliturgische Handlungen und Inszenierungen ergänzt werden. Stellvertretend hierfür untersuchen zwei Autoren "Architektur und liturgische Musik" in der Hagia Sophia (Moran) sowie den Einfluss des mittelalterlichen sakralen Theaters auf Kirchenfassaden (Hanson). Hier klingen auch Zweifel an, ob die Zuordnungen zu "Ost" oder "West" immer so zweifelsfrei handhabbar sind.
Insgesamt überwiegt beim Lesen des Bandes leider der Eindruck einer zu wenig nachvollziehbaren Gruppierung der Beiträge. So scheint es beispielsweise wenig sinnvoll, die Aufsätze zur Hagia Sophia nicht nacheinander zu drucken. Eine ausführliche einleitende Darlegung durch die Herausgeber wäre hier hilfreich gewesen.
Resümierend lässt sich feststellen, dass der Tagungsrahmen für die Erzielung konkreter und in sich kohärenter Ergebnisse offenbar zu weit gefasst war. Im Einzelnen sind die separaten Beiträge anregend und erkenntnisreich, jedoch zu exemplarisch, um in eine umfassende Gesamtschau einzumünden. Ergebnis der Greifswälder Standortbestimmung ist somit in erster Linie die Forderung, das hoch spannende Thema Architektur und Liturgie künftig unter spezifischeren Gesichtspunkten aufzugreifen.
Anmerkungen:
[1] Hierzu jüngst: Berndt Hamm / Klaus Herbers / Heidrun Stein-Kecks (Hg.): Sakralität zwischen Antike und Neuzeit (= Beiträge zur Hagiographie, 8), Stuttgart 2007.
[2] Zum Querhaus nun: Michel Lheure: Le transept de la Rome antique à Vatican II. Architecture et liturgie, Paris 2007.
[3] Rainer Warland (Hg.): Bildlichkeit und Bildorte von Liturgie. Schauplätze in Spätantike, Byzanz und Mittelalter, Wiesbaden 2002.
Ute Verstegen