Nathalie Kruppa / Jürgen Wilke: Kloster und Bildung im Mittelalter (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 218), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 616 S., 133 Abb., ISBN 978-3-525-35871-9, EUR 79,90
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Jürgen Wilke (Hg.): Journalisten und Journalismus in der DDR. Berufsorganisation - Westkorrespondenten - 'Der Schwarze Kanal', Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007
Uwe Grieme / Nathalie Kruppa / Stefan Pätzold: Bischof und Bürger. Herrschaftsbeziehungen in den Kathedralstädten des Hoch- und Spätmittelalters, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004
Nathalie Kruppa / Leszek Zygner (Hgg.): Partikularsynoden im späten Mittelalter, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006
Die Ebstorfer Weltkarte ist ohne Zweifel eine der besterforschten mappae mundi des Mittelalters. Die Faszination, die die monumentale Karte auf die historisch arbeitenden Disziplinen ausübt, ist bis heute ungebrochen; die letzten kommentierten Neuausgaben von Jürgen Wilke und von Hartmut Kugler stammen aus den Jahren 2001 und 2007. [1] Obwohl es der Titel nicht verrät, ist der anzuzeigende Band, der aus einem 2004 vom Kloster Ebstorf und vom Max-Planck-Institut für Geschichte, Germania Sacra, in Ebstorf veranstalteten Symposium resultiert, in erster Linie ein Beitrag zu den Forschungsproblemen um die 1943 im Original verbrannte Ebstorfer Karte. 14 Beiträge, in drei größere Einheiten zusammengefasst, beschäftigen sich ausschließlich oder zumindest teilweise mit den Fragen um die Struktur, Komposition, Konzeption und Entstehung der Weltkarte. Eine dem Buch beigelegte, allerdings sehr verkleinerte Farbreproduktion erleichtert dem Leser die Lektüre insbesondere der kunsthistorischen Beiträge.
Trotz der Vielzahl jüngerer Untersuchungen sind die bekannten Kontroversen um Datierung und Autorschaft der Karte nicht ausgeräumt; die Aufsatzsammlung ermöglicht einen schnellen Überblick über die divergierenden Interpretationsansätze und Forschungsergebnisse. Obwohl Armin Wolf (425-469) erneut versucht, seine Frühdatierung der Karte um 1235/39 als plausibelste Lösung darzustellen und eine Identität des Gervasius von Tilbury mit dem 1223 bis 1234 nachzuweisenden Ebstorfer Propst Gervasius nahe legt (425-469), vermittelt der Band den Eindruck, dass die Spätdatierer und 'Antigervasianer' sowohl unter den Kunsthistorikern als auch unter den Historikern inzwischen ein deutliches argumentatives Übergewicht besitzen; zumal durch Hartmut Kugler auch der konzeptionelle Bezug der "Otia imperialia" des Gervasius von Tilbury zur Ebstorfer Karte stark relativiert wird (497-512). Auch einige kleinere Beiträge zu Detailproblemen wie der von Folker Reichert zur Darstellung Österreichs auf dem Kartenwerk (513-521) machen eine Spätdatierung um 1300 wahrscheinlich.
Der Tagungsband enthält etliche anregende neue Überlegungen zur Struktur und Komposition der Bilder sowie zur Konzeption der Karte, die die Forschung sicher aufgreifen wird. Stellvertretend sei hier der Aufsatz von Brigitte Englisch genannt (523-545), die aus der Analyse der Kartenstruktur Gedanken über die Genese der Karte entwickelt und in einer mutigen These eine von Hermann von Reichenau verantwortete ursprüngliche Fassung ins Spiel bringt. Lohnenswert ist auch die Lektüre des Abschnitts, der dem Gervasius von Tilbury gewidmet ist. Mit James Binns und Shelagh Banks kommen die Herausgeber und zur Zeit wohl besten Kenner der Werke des Gervasius zu Wort und beschreiben dessen intellektuelle Entwicklung (347-354). Auch sie zeigen sich hinsichtlich der konzeptionellen Ähnlichkeit der "Otia imperialia" zur Ebstorfkarte skeptisch. Wie nützlich die 2002 erschienene Neuedition der "Otia" durch Banks/Binns der weiteren Forschung sein kann, ist dem Beitrag von Michael Rothmann (355-383) zu entnehmen. Er analysiert die Quellen des Gervasius und fragt nach Auswahlkriterien und Deutungsmethoden des Klerikers. Innerhalb der Gattung der Mirabiliensammlungen weist Rothmann den "Otia" einen besonderen Stellenwert zu, denn er sieht bei Gervasius "starke Ansätze eines neuen rationaleren und empirischeren Umgangs mit der Welt" (381).
Lediglich der erste Abschnitt der Aufsatzsammlung mit sechs Beiträgen ("Kloster und Bildung in Norddeutschland") ist thematisch so allgemein gehalten, wie es der Titel des Bandes suggeriert. Eingeleitet wird er von Eva Schlotheuber, die die intellektuelle Ausbildung der Nonnen im Spätmittelalter thematisiert (61-87). Wie schon in ihrer 2004 erschienenen Habilitationsschrift [2] greift sie überzeugend das Forschungsdiktum einer weitgehenden Einsprachigkeit von Frauenkonventen an und entwirft anhand verschiedener konventsinterner Aufzeichnungen ein differenziertes Bild von den Lateinkenntnissen der Nonnen. Ob ihr Befund, dass dem Latein als innerkonventuale Umgangssprache im Norden eine größere Bedeutung zukam als in süddeutschen Klöstern, weiteren Quellenstudien standhält, bleibt abzuwarten, zumal ihre Erklärungsansätze für dieses Phänomen nicht recht befriedigen (74). Die weiteren Beiträge dieses Abschnitts seien hier wegen ihrer unterschiedlichen Thematik kurz benannt: Stefan Pätzold legt eine Bestandsaufnahme der Schulen an den Männerkonventen der Diözesen Bremen und Verden vor (89-114); Helmar Härtel behandelt die im ausgehenden 12. Jahrhundert im Skriptorium des Benediktinerinnenklosters Lamspringe angefertigten Handschriften (115-131, 132-153 Abbildungen); Nathalie Kruppa gibt einen Überblick über die Bildung von Adligen im nord- und mitteldeutschen Raum vom 12. bis zum 14. Jahrhundert (155-176); Tanja Kohwagner-Nikolai beschäftigt sich mit gestickten Bildteppichen aus norddeutschen Frauenklöstern (177-196) und Bernd Ulrich Hucker mit der Mauritiusverehrung im Kloster Ebstorf (197-228).
Beschlossen wird der Band von zwei Beiträgen zur Entwicklung der klösterlichen Bildung während und nach der Reformation, eingeleitet wird er durch einen Aufsatz von Martin Kintzinger (15-47). Als einer der profiliertesten deutschen Bildungshistoriker entwirft dieser in dem essayistischen Text ein Panorama der monastischen Bildungs- und Wissenskultur des Mittelalters. Er benennt die Forschungsprobleme und knüpft immer wieder die Bezugspunkte zur Gegenwart, indem er einige Aspekte der mittelalterlichen Bildungskultur wie die "Akzeptanz einer ethischen Grenze für menschliches Handeln" (47) als Anregung für heutige Reformdiskurse sieht.
Das Buch ist durch ein von Judith Sänger sorgsam gefertigtes Namenregister hervorragend erschlossen.
Anmerkungen:
[1] Jürgen Wilke: Die Ebstorfer Weltkarte (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen; Bd. 39), Text- und Tafelband, Bielefeld 2001. Hartmut Kugler unter Mitarbeit von Sonja Glauch und Antje Willing: Die Ebstorfer Weltkarte. Kommentierte Neuausgabe in zwei Bänden, Berlin 2007.
[2] Eva Schlotheuber: Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des 'Konventstagebuchs' einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484-1507) (= Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe; Bd. 24), Tübingen 2004.
Christian Popp