Rezension über:

Jürgen Elvert / Michael Salewski (Hgg.): Historische Mitteilungen (HMRG). Band 18 (2005), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 300 S., ISSN 0936-5796, EUR 66,00

Rezension von:
Andreas Kilb
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Kilb: Rezension von: Jürgen Elvert / Michael Salewski (Hgg.): Historische Mitteilungen (HMRG). Band 18 (2005), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/12342.html


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Jürgen Elvert / Michael Salewski (Hgg.): Historische Mitteilungen (HMRG)

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Die öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland für den Siebenjährigen Krieg, dessen Ausbruch sich 2006 zum zweihundertfünfzigsten Mal gejährt hat, hält sich in Grenzen. In den vergangenen zwei Jahren ist nur eine Handvoll Bücher zum Thema erschienen, darunter Sven Externbrinks Studie zur französischen Diplomatie in den Kriegsjahren und René Hankes Untersuchung zur Außenpolitik des sächsischen Hofs vor 1756, vor allem aber Eberhard Kessels verloren geglaubtes und spektakulär wiedergefundenes zweibändiges Werk über die Schlacht von Torgau und die beiden letzten Kriegsjahre, das infolge der Zerstörung des Potsdamer Heeresarchivs im Januar 1945 inzwischen den Rang einer Originalquelle hat. [1] Im Frühherbst dieses Jahres schließlich gab es in Potsdam in kurzem Abstand zwei Tagungen zum Thema, die eine vom Forschungszentrum Europäische Aufklärung, die andere vom Haus der Brandenburgischen Geschichte veranstaltet. Doch das war alles.

Dabei ist der Siebenjährige Krieg, als Faktum wie als Gegenstand der Historiographie, ein Schlüssel zum Verständnis nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen und sogar der kolonialen Geschichte im Zeitalter des Imperialismus und der Weltkriege: ein Krieg nicht nur um Europa, sondern auch um die Herrschaft auf den Weltmeeren, um die Handelszentren in Asien und die weiten Räume Nordamerikas, ein Kampf um jenes "empire", das bei seinem Ausbruch als Begriff noch gar nicht existierte (in England bezeichnete das Wort noch immer das Heilige Römische Reich), doch nach seinem Ende als britisches Weltreich reale Gestalt anzunehmen begann, und zugleich ein "war of attrition", ein Auszehrungskrieg zwischen den Kronen (und Staatsschätzen) von Österreich, Frankreich, Russland und Preußen, der mit allseitiger Erschöpfung und der Bewahrung des Status quo durch den "moralischen Sieger" Preußen endete.

Wer die Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts (mindestens bis 1945) verstehen will, muss ins achtzehnte zurückschauen, in dem der Siebenjährige Krieg einen epochalen Wendepunkt markiert, den Übergang von der kontinentalen zur transeuropäischen und (jedenfalls im Verständnis vieler Zeitgenossen) von der dynastischen zur nationalen Machtpolitik. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass die "Historischen Mitteilungen" in ihrer jüngsten Ausgabe dem Siebenjährigen Krieg einen Schwerpunkt gewidmet haben. In sieben Aufsätzen, von denen drei eher von Detail-, vier dagegen von Grundsatzfragen handeln, wird das Thema aufgeschlüsselt.

Der spannendste Essay stammt vom Mitherausgeber Michael Salewski, der sich, ausgehend von der Begründung Friedrichs II. für den Einfall in Sachsen, mit dem berühmten "praevenire quam praeveniri", also mit dem Konzept des Präventivkriegs in der Moderne befasst. Besonders in Preußen und im preußisch geprägten Deutschen Reich, das sich nach dem Scheitern der Bismarckschen Diplomatie auf allen Seiten umzingelt sah, galt der militärische Überfall auf den Gegner nicht nur als legitimes, sondern geradezu als historisch notwendiges Mittel der Kriegführung. Seit den 1880er Jahren verlangte etwa die deutsche Generalität mit zunehmender Dringlichkeit einen Präventivkrieg gegen die wachsende Militärmacht Russland, bevor es "zu spät" sei. Sogar der katastrophale Ausgang des Ersten Weltkriegs schien für die Bellizisten nur zu beweisen, dass man den "rechtzeitigen" Angriff versäumt habe. Salewski kann zeigen, dass eine einseitige, von nationalstrategischen Interessen geprägte "Blitzkriegs"-Interpretation der Feldzüge Friedrichs des Großen schon bei den preußisch-deutschen Einigungskriegen Modell stand. Während aber Bismarck aus der Erfahrung des Volkskriegs gegen das nachnapoleonische Frankreich den Schluss zog, dass mit Waffengewalt zukünftig nichts mehr zu gewinnen war, steigerte sich der deutsche Generalstab unter Moltke, Waldersee und Schlieffen immer mehr in die Idee eines "unvermeidlichen" Präventivkriegs gegen Frankreich und das Zarenreich hinein. "Weltmacht oder Untergang" hieß die Devise, mit der das deutsche Militär in den Ersten Weltkrieg zog.

Ein Gewinn für den Leser ist auch Heinrich Walles Aufsatz über die Rezeptionsgeschichte des Siebenjährigen Kriegs in Deutschland. Beginnend mit den Anekdoten über Friedrich den Großen, wie sie Archenholtz und Tempelhoff wiedergeben, spannt Walle einen weiten Bogen bis zu den Schulbüchern nach 1945, in denen der Existenzkampf Preußens oft nur noch als Marginalie auftaucht. Dabei zeigt sich, dass der Preußenkönig von Anfang an nicht nur ein Gegenstand der Geschichtsschreibung, sondern auch eine Figur der populären Bildmythologie war, die in den Farbtafeln von Carl Röchling und Richard Knötel einen ersten und in den "Fridericus"-Filmen der 1920er bis 1940er Jahre einen zweiten, fragwürdigen propagandistischen Höhepunkt erreichte. In heutigen Darstellungen der Nachkriegszeit tritt die Gestalt des Königs dagegen hinter allgemeine Betrachtungen der Struktur- und Epochengeschichte zurück. Die Kritik am preußischen Militär als Zwangssystem, exemplifiziert im Bericht des Schweizers Ulrich Bräker über seine Dienstzeit in der preußischen Armee, ersetzte den Heldengesang von der Bewahrung Preußens gegen die Übermacht der großen Koalition.

Die übrigen Aufsätze des Bandes runden das Bild ab. Mike Kortmann malt sehr überzeugend das Tableau des globalen englisch-französisch-spanischen Kolonialkriegs, von den ersten Scharmützeln zwischen amerikanischen Milizen und französischer Infanterie im Ohio-Tal im Frühjahr 1754 bis zur Eroberung Havanas und Manilas durch britische Flottenverbände in den letzten Kriegsmonaten. Guntram Schulze-Wegener zeichnet die Vorgeschichte und den Verlauf der Schlacht bei Leuthen nach, die bis zum Schlieffenplan und zur Marneschlacht das Ideal der preußisch-deutschen Militärstrategen war. Dabei fährt sich Schulze-Wegener gelegentlich selbst in die Parade, wenn er einerseits die "überlegene kriegerische Leistung" der Preußen und die "mathematische Genauigkeit" ihrer Truppenbewegungen preist, andererseits durchaus überzeugend die zahlreichen Kontingenzen des Schlachtverlaufs schildert, etwa den Kampf um den Leuthener Kirchhof und den Überraschungsangriff der preußischen Schwadronen gegen die österreichische Kavallerie, die unter anderen Umständen durchaus das Gefecht noch hätte wenden können.

Sven Externbrink untersucht die Wahrnehmung des Krieges durch die Beteiligten am Beispiel zweier französischer Offiziere auf dem deutschen Kriegsschauplatz, des Kavalleriemajors und späteren Militärschriftstellers Antoine-Rigobert Mopinot und des Grafen von Montazet, der als eine Art Berater an den Feldzügen Dauns und Laudons in Schlesien und Böhmen teilnahm. Während der bürgerliche Mopinot sehr lebendig die Leiden der Soldaten und der Bevölkerung schildert, beschränkt sich Montazet auf die Analyse der militärischen und politischen Ereignisse. "Was ist der Mensch doch grausam und böse!", ruft Mopinot nach dem französischen Sieg bei Lutterberg aus, während Montazet die Katastrophe von Leuthen kühl als "unglückliches Ereignis" bezeichnet. Es sind zwei Betrachtungsweisen, die in der Kriegsliteratur immer wiederkehren, der Blick des Kämpfers im Getümmel und die Perspektive des Feldherrnhügels. Ebenso kehren auch die Geschlechterstereotypen, von denen Marion Kobelt-Grochs Aufsatz handelt, in der Politik immer wieder; nur bekommen sie in der epochalen Auseinandersetzung zwischen Friedrich dem Großen und Maria Theresia einen besonderen Akzent. Friedrich, der "Frauenfeind", scheint zum Antagonisten der habsburgischen Landesmutter wie geschaffen, und entsprechend überschütten sich die beiden in Briefen an Dritte und offiziellen Pamphleten mit Schmähungen: "ehrgeizige und rachsüchtige Feindin", "böses(s) Tier", "Ungeheuer". Dennoch kann Friedrich der Kaiserin-Königin, anders als der innig gehassten Zarin Elisabeth, seine Achtung nicht versagen; in seinem Nachruf auf Maria Theresia bilanziert er: "ich habe mit ihr Kriege geführt, aber nie war ich ihr Feind."

Beatrice Heusers Text über den französischen Militärschriftsteller Jacques-Antoine Hippolyte de Guibert liegt sowohl sprachlich als auch inhaltlich unter dem Niveau der übrigen Beiträge. Die Autorin will eine Linie von den Strategiebetrachtungen des Friedrich-Verehrers Guibert zu den Angriffsschlachten des Überwältigungsstrategen Napoleon ziehen, der an der Militärschule von Brienne die durch Guibert vermittelten Taktiken des Preußenkönigs kennenlernte. Leider referiert Heuser die Thesen Guiberts in Formulierungen, die nicht selten unfreiwillig komisch sind. Schwerer wiegen inhaltliche Schieflagen. So gehörte der Autorin zufolge Friedrich zu den Monarchen, "bei denen sich puritanische Ideen einiger Philosophen der Antike mit dem protestantischen Puritanismus vermischten". Dass Guibert, der Autor eines "Elogs auf Leben und Tod des Monarchen", der preußischen Armee eine Feuergeschwindigkeit von "sechs Schüsse(n) in der Minute" zuschrieb, hätte der Autorin, die an der Bundeswehr-Universität München lehrt, wenigstens einen Augenblick kritischen Nachdenkens wert sein müssen. Insgesamt hat sie auf die Ausarbeitung ihres Essays weder sprachlich noch gedanklich besondere Mühe aufgewendet. So liest man bei ihr über die "französisch-deutsche Dialektik" der Militärgeschichtsschreibung: "Carl von Clausewitz, ein Preuße, wurde der wichtigste Interpret der Kriegskunst Napoleons und inspirierte die großen preußischen Reformen in seinem Lande, nicht nur kurzfristig nach 1806, sondern langfristig, in der Bildung ihrer Offiziere. Diesem Faktor wiederum wird häufig der preußische Sieg über Frankreich 1870/71 zugeschrieben." Man kann nur hoffen, dass solche Sätze nie den Weg in ein Schulbuch finden.

Gleichwohl bietet der Band insgesamt wertvolle Anregungen zur Geschichte und Rezeption des Siebenjährigen Krieges.


Anmerkung:

[1] Sven Externbrink: Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006; René Hanke: Brühl und das Renversement des alliances. Die antipreußische Außenpolitik des Dresdener Hofes 1744-1756, Münster / Hamburg / Berlin / London 2006, siehe dazu die Besprechung von Frank Göse in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/05/11574.html (26.10.2007); Eberhard Kessel: Das Ende des Siebenjährigen Krieges 1760 bis 1763. Teilband 1: Torgau und Bunzelwitz. Teilband 2: Schweidnitz und Freiberg, Paderborn 2007, siehe dazu die Besprechung von Jürgen Luh, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/11/12841.html

Andreas Kilb