Karl Christian Führer / Corey Ross (eds.): Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany (= New Perspectives in German Studies), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006, ix + 254 S., ISBN 978-0-230-00838-0, GBP 50,00
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Es gibt viele Wege, sich der deutschen Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts anzunähern. Der vorliegende Band wendet sich - ganz zu recht - gegen eine isolierte Medienanalyse und plädiert für einen sozial- und kulturgeschichtlich orientierten Zugang. Wie die Herausgeber in ihrer Einleitung betonen, sind die sozialen und kulturellen Prägungen der Medienproduzenten und der Mediennutzer ebenso zu berücksichtigen wie generationelle, geschlechtsspezifische, regionale und bildungsbezogene Differenzen beim Umgang mit den Medien. Der Band soll Medienwirkungen und den Diskurs darüber historisch fassen. Er vereint 13 Beiträge, die vielfach den Charakter einer Einführung haben und von ausgewiesenen Experten verfasst wurden. Dabei zeichnet sich der Band durch eine gute Mischung aus Aufsätzen mit originellen Schwerpunkten und Aufsätzen mit Überblickscharakter aus, die sehr ausgewogen unterschiedliche Medien abdecken. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf den Jahrzehnten zwischen 1920 und 1960, in denen sich das massenmediale Ensemble des kurzen 20. Jahrhunderts etablierte.
Drei Aspekte des Bandes seien positiv herausgehoben: Erstens der Blick auf einen von Historikern bislang wenig beachteten Aspekt der Medialisierung - den der Schallplattenindustrie. Corey Ross behandelt den Boom der Schallplatte in der Weimarer Republik. Während die Zeitgenossen das Ende der selbst gespielten Musik befürchteten, zeigt Ross, dass es im Gegenteil zu einer Zunahme von Live-Musikaufführungen kam, insbesondere bei Tanzveranstaltungen. Obgleich die Plattenindustrie international agierte und etwa rund die Hälfte der 1929 in Deutschland produzierten 30 Millionen Platten ins Ausland ging, trug die aufgenommene Musik doch zur Nationalisierung des populären Musikgeschmacks bei. Zu Recht weist Ross darauf hin, dass trotz der vielfach beschriebenen Kontroverse über amerikanische Musikstile wie den Jazz die Dominanz deutscher Genre wie Märsche, Volksmusik oder Walzer gewahrt blieb. Die Nationalsozialisten förderten diesen populären Musikgeschmack im Radio zwar, wie auch Konrad Dussel unterstreicht, das Jahr 1933 bedeutete aber auf diesem Feld nicht unbedingt eine Zäsur. Im Anschluss daran untersucht Detlef Siegfried die Musikindustrie in den 1960er-Jahren und konstatiert einen Wandel in der Musik- und Jugendkultur, da um 1970 junge Musikmanager Produzenten wurden, die selbst Erfahrungen in innovativen musikalischen Gegenkulturen gesammelt hatten und so den Mainstream wirkungsmächtig herausfordern konnten.
Zweitens thematisieren einige Beiträge die grenzübergreifende Zirkulation von Medien. So zeigt Karl Christian Führer, dass Hollywood-Filme im nationalsozialistischen Deutschland eine wichtige Rolle in den Großstädten spielten, während sie auf dem Land auf wenig Interesse stießen. Pointiert stellt er heraus, dass amerikanische Filme von der NS-Presse mitunter gefeiert wurden und Vorbildcharakter zugewiesen bekamen, wobei die Filme bereits vor ihrer Aufführung durch die Übersetzungen und Schnitte "eingedeutscht" worden waren. Wie er an ausgewählten Beispielen erläutert, feierte die Filmkritik 1937 etwa Hollywood-Filme als wahre "Volkskunst", die die Volksgemeinschaft fördere (107). Umgekehrt reagierten amerikanische Filmfirmen auf die neuen Erfordernisse des deutschen Marktes und verzichteten etwa auf erkennbar jüdische Rollen. Bei den Zuschauern konnten die amerikanischen Filme unterschiedliche Assoziationen auslösen: Sie konnten Anhängern des Regimes dessen Anschlussfähigkeit an die globale Moderne suggerieren, für Gegner hingegen einen Fluchtpunkt bilden. Grenzübergreifende Interaktionen im Filmgeschäft zeigt auch Thomas Lindenberger, der das mediale Zusammenspiel von Abgrenzung und Verflechtung zwischen den beiden deutschen Staaten skizziert. Während die DEFA-Filme bekanntlich auf die Bundesrepublik fixiert blieben, fand der bundesdeutsche Film umgekehrt wenig Interesse an der DDR.
Drittens setzen viele Aufsätze den Wandel der Medien in eine produktive Beziehung zur Veränderung des gesellschaftlichen Selbstverständnisses und sozialer Praktiken. So betont Bernhard Fulda für die Weimarer Republik die starke Politisierung der Boulevardpresse. Eine gleichzeitige Politisierung der Fotografie macht Habbo Knoch bei den radikalen Blättern aus, an die die Nationalsozialisten dann nach 1933 anknüpfen konnten. Wie sehr der Wandel sozialer Praktiken und der Medien zusammenhing, zeigte sich besonders beim Sport. Judith Keilbach und Markus Stauff verdeutlichen, wie eng die Geschichte des Fernsehens mit der des Sports verbunden war, von den ersten Ausstrahlungen im Zuge der Olympischen Spiele in Berlin 1936 über die Etablierung mit der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 bis hin zum Ausbau des dualen Rundfunks. Die Modernisierungsschübe durch das Fernsehen betont auch Knut Hickethier und verbindet sie mit der politischen Kultur. So wurde das Fernsehen Anfang der 1970er-Jahre politisch aufgeladen, zog sich aber dann gegen Ende des Jahrzehnts auf eine neue Innerlichkeit zurück und thematisierte verstärkt Probleme des privaten Lebens.
Wie bei den meisten Sammelbänden finden Kenner der Materie auch hier einige vertraute Aufsätze oder bekannte Inhalte, die aber für ein englischsprachiges Publikum noch weitgehend neu sein dürften. Obwohl nicht alle Beiträge im gleichen Maße den Anspruch einlösen, mediale und gesellschaftliche Prozesse in eine enge Beziehung zueinander zu setzen und die divergenten Aneignungsformen zu untersuchen, so ist der Band doch eine gelungene Einführung in die deutsche Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts.
Frank Bösch