Erdmut Jost: Wege zur weiblichen Glückseligkeit. Sophie von La Roches Reisejournale 1784 - 1786 (= Kaufbeurer Schriftenreihe; Bd. 7), Thalhofen: Bauer 2007, 192 S., ISBN 978-3-934509-68-9, EUR 15,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Georg Eckert: "True, Noble, Christian Freethinking". Leben und Werk Andrew Michael Ramsays (1686-1743), Münster: Aschendorff 2009
Peter Robert Campbell (ed.): The Origins of the French Revolution, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006
Hans-Jürgen Lüsebrink (ed.): Enlightenment, revolution and the periodical press, Oxford: Voltaire Foundation 2004
Die Gründe der Intensivierung der Reisetätigkeit im 18. Jahrhundert in Deutschland und die damit einhergehende Entwicklung einer breiten Reiseliteratur ist bereits in den 1980er Jahren strukturell und theoretisch eingehend untersucht worden (vgl. exemplarisch die Arbeiten von W. Griep, H.-W. Jäger oder M. Maurer). [1] Dabei lassen sich zwei Phasen unterscheiden: Zunächst beruhte die Reiseliteratur auf dem Postulat der "objektiven Wahrheit des Berichteten" für den Autor und den Leser. Seit den 1780er Jahren lässt sich allerdings eine Befreiung der Reiseliteratur vom Zwang der Objektivität feststellen: "Die Aufwertung des Subjekts führte schließlich dazu, dass Reiseberichte mehr und mehr zu Medien der Selbstdarstellung beziehungsweise der Darstellung der eigenen ästhetischen Position wurden" (27). Zu letzterem Typus gehört das Werk Sophie von la Roches, dem Erdmut Jost eine sehr gut dokumentierte und illustrierte Studie gewidmet hat.
Bereits ab 1960 und vor allem nach 1980 haben insbesondere Vertreterinnen der Genderforschung ihre Aufmerksamkeit auf die geschlechtliche Spezifizität der Reisen Sophie von La Roches gerichtet (vgl. die Gesamtbetrachtungen des Werkes La Roches von I. Wiede-Behrendt und G. Loster-Schneider). [2] Nicht zuletzt dank der Arbeiten Monika Nenons, die in der Einleitung zum vorliegenden Band eine erhellende Gesamtdarstellung des Schaffens von la Roche unter dem Motto "Zwischen Autonomie und Anpassung" liefert (8-23), ist mittlerweile die eminente Bedeutung von Reisen als Freiraum des Erlebens und des Schreibens für Frauen deutlich geworden.
Erdmut Jost ordnet sich in diese Tradition ein, indem sie für ihre Studie folgende vier Thesen formuliert: 1. Die drei Reisejournale von Sophie von La Roche sind als Lehrbücher für Frauen konzipiert; 2. Sie vermitteln das Bild einer idealen weiblichen Lebensführung; 3. Sie sind der Ort, an dem die Autorin sich bemüht, eine "vergessene und unbekannte weibliche" Kultur und Geschichte sichtbar zu machen; 4. Das Reisen stellt für Sophie die Möglichkeit zur Konstituierung eines weiblichen Kommunikationszusammenhanges dar (30). Eines der Verdienste der Studie Josts ist, dass sie bei ihrer Untersuchung nicht ausschließlich textimmanent arbeitet, sondern auch die pragmatische Dimension des Reisens der Autorin darstellt (Kapitel 1, Reisemodalitäten, 37-62) und die Probleme der Finanzierung der Reisen Sophies, ihre Vorbereitung, die zu ihrer Durchführung notwendigen Kontaktaufnahmen und ihre Reiseroute präzise beschreibt. Dabei wird deutlich, dass die drei Reisen, die die Autorin in die Schweiz, nach Frankreich und nach Holland und England unternahm, sich bezüglich der Vorbereitung, der Finanzierung und der Reiseroute kaum von Reisen männlicher Zeitgenossen unterschieden.
Allerdings verfügte Sophie von la Roche als Frau (Kapitel 2, Als Frau Unterwegs, 62-77) nur über eine begrenzte Reisefreiheit. So war es ihr angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie lebte, unmöglich, ohne einen männlichen Begleiter zu reisen und sie musste in jedem Fall 'berüchtigte' Orte vermeiden. Und auch wenn sie sich über diese Verbote hinwegsetzte, um sich allein in Cafés oder Restaurants zu begeben, so hinterließen diese Besuche keine literarischen Spuren. Diese Technik des Verschweigens wendet sie wiederholt an, um einen einheitlichen, den Frauen zugänglichen sozialen Raum zu suggerieren, der in Wirklichkeit noch nicht existierte. Nicht nur die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die sich im Entstehen befindende bürgerliche Gesellschaft bot Frauen kaum reale (Frei-)Räume. Mittels Korrespondenzen unter Freunden beziehungsweise Freundinnen sollte ein Ort geschaffen werden, den sie allein für sich in Anspruch nehmen konnten.
Gerade diese Spannung zwischen realen Verhältnissen und erwünschter Emanzipation bildet den Kern des Schaffens der Autorin (Kapitel 3, Alte Tugend und neue Kenntnis, 77-93). Einerseits wurde Sophie von La Roche von dem traditionellen Grundsatz geleitet, dass die Frau ihrer Bestimmung nach Hausfrau, Gattin und Mutter sein sollte, andererseits akzeptierte sie nicht bedingungslos die oft als entfremdend empfundene soziale Stellung der Frau. Daher strebte sie eine Neudefinition der Beziehungen von Mann und Frau an und vertrat konsequent die Meinung, dass Freundschaft und der damit einhergehende Verzicht auf Leidenschaft ein unabdingbares Element der Entwicklung der Frau sei. Diese Entwicklung setzte auch eine Erweiterung der Kenntnisse voraus, zu der sie beitragen wollte.
Und in der Tat kann Sophie von La Roches gesamtes Werk als ein weit gespanntes, die Verbindung zwischen "alter Tugend" und neuen Erkenntnissen zum Ziel habendes Bildungsprogramm für Mädchen und Frauen aus dem bürgerlichen Mittelstand betrachtet werden. Dieses Bildungsprogramm analysiert Erdmut Jost konsequent von den pädagogischen Grundprinzipien Sophie von La Roches über die Inhalte ihrer Pädagogik bis hin zu deren Grenzen, wobei sie ihre sehr differenzierte Rezeption der philanthropischen Pädagogik sehr klar herausarbeitet.
So impliziert für Sophie die wahre Bildung der Frau immer das Zusammenwirken von Vernunft und Tugend, wobei sie - und dies bedeutet einen bedeutenden Unterschied zu den Philanthropen - eine Gleichrangigkeit von Frauen und Männern in Bezug auf die Entwicklungsfähigkeit dieser beiden Eigenschaften postuliert. Eine harmonische Ausbildung dieser Fähigkeiten dient nicht nur der eigenen der Vervollkommnung der Frau, sondern auch "dem besseren Funktionieren" der Ehe und Familie sowie einem wohltätigen Einfluss auf den Kreis der Freunde und Verwandte. Somit ist die Erziehung der Frau dem Primat des Nutzens (im Sinne der philanthropischen Pädagogik) untergeordnet.
Aus dieser fundamentalen Überzeugung leitet Sophie von La Roche ein systematisches, akkumulatives und standesgemäßes Programm ab (Lesen, Schreiben, Mathematik, Naturkunde, Geografie, Geschichte und Fremdsprachen), das anfangs weitgehend autodidaktisch realisiert werden sollte. Und sollte ein Erzieher herangezogen werden, so propagiert die Autorin im Zuge der Neopädagogik des 18. Jahrhunderts eine Erziehung ohne Zwang, in der der Nachahmung des guten Beispiels eine große Rolle zukommt.
Wichtiger Bestandteil des von Sophie von La Roche entwickelten Erziehungsprogramms sind ihre Reisebeschreibungen (94-121). Auch hier greift sie auf traditionelle Vorgaben der Apodemik zurück, indem sie beispielsweise das Nützliche mit dem Angenehmen ("prodesse"/"delectare") zu kombinieren versucht. Gleichzeitig orientiert sie sich am aufklärerischen Wahrheit/Nutzen-Postulat. Diese Prinzipien überträgt die Autorin auf die Erziehung von Mädchen und Frauen.
Auch hier gelingt es Erdmut Jost, sowohl die pragmatische als auch programmatische Dimension der Reisejournale präzis darzulegen, indem sie beispielsweise zeigt, wie die Sorge um eine zweckmäßige Erziehung der Frauen zu einer klaren Definition dessen führt, was in einer Reisebeschreibung nützlich ist: "Das 'wahre Nützliche' ist für Sophie von La Roche die Kenntlichmachung jeglicher Form historischen und zeitgenössischen Verdienstes" (123). Mittels dieses Bewusstwerden einer weiblichen Tradition und der Steigerung des Selbstbewusstseins sollen die Frauen 'animiert' werden, ihre intellektuellen Fähigkeiten zu entwickeln und sich somit sowohl als Frau als auch als Mitglied der Gesellschaft zu verwirklichen. Wie innerhalb dieser Gesellschaft eine Frau als Frau leben kann, demonstrieren ebenfalls die Reisejournale. Nicht nur dadurch, dass sie weibliche Lebensentwürfe von Frauen dokumentieren, die sich als solche behaupten, sondern auch durch die Darstellung von Freundschaft, die die Autorin mit Gastfreundinnen schließt, bis hin zur Beschreibung einer "idealen Gesellschaft", die sie in Frankreich entdeckt. Hier verifiziert Erdmut Jost die vierte Hauptthese ihrer Studie, die mittels einer sehr geglückten Kombination von Makro- und Mikroperspektive einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Reise- und Frauenliteratur im 18. Jahrhundert darstellt.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Griep: Reiseliteratur im späten 18. Jahrhundert, in: Rolf Grimminger (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Band 3: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789, München 1980, 739-764; Wolfgang Griep/Hans-Wolf Jäger (Hgg.): Reisen im 18. Jahrhundert. Neue Untersuchungen, (= Neue Bremer Vorträge; Bd. 3), Heidelberg 1986; Michael Maurer: Neue Impulse der Reiseforschung. Aufklärung und Europa, Beiträge zum 18. Jahrhundert, Berlin 1999.
[2] Ingrid Wiede-Behrendt: Lehrerin des Schönen, Wahren, Guten. Literatur und Frauenbildung im ausgehenden 18. Jahrhundert am Beispiel Sophie von La Roche, Frankfurt/M. 1987; Gudrun Loster-Schneider: Sophie La Roche. Paradoxien weiblichen Schreibens im 18. Jahrhundert, (= Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft; 26), Tübingen 1995.
Christophe Losfeld