Loren J. Samons II (ed.): The Cambridge Companion to the Age of Pericles, Cambridge: Cambridge University Press 2007, xx + 343 S., ISBN 978-0-521-00389-6, GBP 17,99
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Zu den Autoren dieses Sammelbandes zählen weltweit anerkannte Repräsentanten ihrer Disziplinen. Das Buch ist aber offensichtlich primär als Handreichung für Leser aus englischsprachigen Ländern und Regionen konzipiert. Hinweise auf fachspezifische Publikationen in anderen Sprachen sind im Literaturverzeichnis und im Anmerkungsteil eine Seltenheit. Die Benutzer des Bandes werden daher nicht hinreichend über den internationalen altertumswissenschaftlichen Diskurs informiert. Dies wird bereits in der wohl vom Verlag zu verantwortenden kurzen Inhaltsangabe deutlich, in der von einer Radikalisierung der athenischen Demokratie Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. die Rede ist. Diese Wertung basiert auf einem alten Vorurteil, wonach eine angeblich negative Entwicklung der Demokratie vor allem auf die Bemannung der Flotte mit Theten im Zuge der maritimen Aufrüstung Athens zurückzuführen sei.
In der Einleitung skizziert der Herausgeber Entstehung und Grundzüge der athenischen Demokratie (1-23). Schwer verständlich ist hier sein positives Urteil über Peisistratos, dessen Tyrannis wohl kaum als bedeutende Vorstufe in der Entwicklung der Demokratie gelten kann. Demgegenüber bietet Samons eine insgesamt gute Zusammenfassung der Ereignisketten von den Reformen des Kleisthenes bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges. Allerdings wiederholt er die fragwürdige ältere These von der Entmachtung des Areopags durch Ephialtes.
Peter J. Rhodes erörtert in gewohnt meisterlicher Weise den Zusammenhang zwischen der Demokratie und der Machtpolitik Athens im Seebund (24-45). Er legt überzeugend dar, dass ohne ein Engagement vieler Bürger in den athenischen Polisinstitutionen die Kontrolle Athens über die Mitglieder des Seebundes gar nicht möglich gewesen wäre, das Bündnissystem aber auch die Konstituierung neuer Gremien und Ämter erforderte, so dass hierdurch eine Erweiterung der demokratischen Strukturen erfolgte. Wichtig war nicht zuletzt auch die Präsenz vieler Athener in ihrer Ekklesia, die faktisch zum Entscheidungsorgan für den gesamten Seebundbereich wurde. Eine Ergänzung zu dieser Thematik sind die Ausführungen von J. P. Sickinger zur Bürokratie sowie zur Herrschaft Athens im Seebund (196-214). Er bezeichnet als "bureaucracy" nicht eine Verwaltung im modernen Sinne, sondern skizziert Grundzüge der schriftlichen Fixierung öffentlicher Aktionen und die Kompetenzen der mit der Ausführung der Volksbeschlüsse beauftragten Funktionsträger.
Deborah Boedeker behandelt kultische Aktivitäten und Götterverehrung in der Zeit des Perikles im Rahmen einer Skizze polytheistischer Religionen (46-69). Sie betont, dass in antiken Gemeinwesen auch die Götter anderer Völker respektiert wurden und die athenische Demokratie ihre religiösen Verpflichtungen sehr ernst nahm.
Lisa Kallet legt dar, dass die athenische Wirtschaft ihren Erfolg im 5. Jahrhundert einer damals einzigartigen Kombination der Nutzung der Ressourcen Attikas, der Einkünfte aus dem Seebund und der Vorteile ihres Handelsnetzes verdankte (70-95). Zudem nimmt sie zu der bereits im 19. Jahrhundert beginnenden Kontroverse Stellung, ob die Wirtschaft Athens einem sogenannten primitivistischen Modell entspricht oder bereits proto-moderne Strukturen aufweist. Sie betont mit Recht, dass derart strikte Klassifizierungen nicht zutreffen, im 5. Jahrhundert aber bereits bedeutende Impulse für ökonomisches Handeln erkennbar sind.
Kurt A. Raaflaub leitet seine Ausführungen über "Warfare and Athenian Society" (96-124) mit Überlegungen zum Kriegsplan des Perikles ein und stellt die Frage, inwiefern die Athener 431 bereit waren, das Wagnis eines großen Krieges einzugehen. Nach einem Vergleich der Ressourcen Athens und Spartas und einer Analyse der Strategie des Perikles kommt er zu dem Schluss, dass die Athener aus ihrer Sicht allen Grund hatten, mit Zuversicht den Kampf aufzunehmen. Das Urteil des Thukydides, dass der Krieg anders verlaufen wäre, wenn Perikles länger gelebt hätte, sei vermutlich zutreffend. Allerdings sei ohne Perikles der Krieg wohl nicht oder nicht schon 431 ausgebrochen. Dies ist der springende Punkt. Perikles ging ein unkalkulierbares Risiko ein, als er seine These von der "Notwendigkeit" eines Krieges gegen Sparta vertrat. Hingegen bestreitet J. E. Lendon die Auffassung des Thukydides, Spartas Furcht vor der wachsenden Macht Athens sei die Ursache des Peloponnesischen Krieges gewesen (258-281). Als "transcendent cause" sei "the competitive principle" in der Außenpolitik griechischer Poleis zu sehen (276). Dies habe Sparta und Athen in den Krieg getrieben. Die Erfindung einer transzendentalen Ursache impliziert indes eine monokausale Erklärung.
Weitere Beiträge enthalten einen gelungenen Überblick über Kunst und Architektur im perikleischen Athen von Kenneth Lapatin (125-152), eine sozialgeschichtliche Analyse der Stellung der Frauen, Fremden und Sklaven in dieser Epoche von Cynthia Patterson (153-178) und eine feinsinnige Studie zur Bedeutung des Dramas in der athenischen Demokratie von Jeffrey Henderson (179-195), der betont, dass man sich die Blüte des klassischen Dramas kaum in einer anderen Polis vorstellen kann. Einen originellen Essay zur Geistesgeschichte von etwa 450 bis Platon liefert Robert W. Wallace (215-237), der den konventionellen Begriff "Sophisten" in Frage stellt, weil der Terminus nicht einer Reihe von brillanten Intellektuellen gerecht werde. Platons Verdikt der Demokratie und der Sophistik habe sich allzu lange negativ ausgewirkt. Man darf aber nicht übersehen, dass die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert weiterentwickelt wurde. Dass vor allem die Organe des damaligen Gerichtswesens in Athen Respekt verdienen, betont mit Recht R. Sealey in seinem Aufsatz zur demokratischen Theorie und Praxis in Athen (238-257).
In seiner Schlussbetrachtung kritisiert Samons die politischen Konzeptionen und Ziele des Perikles (282-307). Er verwendet mehrfach Begriffe, die für einen breiteren Leserkreis irreführend sein können. So betrachtet er die Reden des Perikles im Werk des Thukydides als Zeugnisse für einen "glühenden Nationalismus" (291). Zu beachten sind natürlich die spezifischen Situationen der Krise und des Krieges, in denen Thukydides den "ersten Mann" Athens zu Wort kommen lässt. Wenn Samons Perikles als "leader of Athens's most progressive and militaristic faction" (301) charakterisiert, so wird die offenbar intendierte Ikonoklase faktisch ein Fehlurteil, da die Kriterien des 5. Jahrhunderts nicht beachtet werden.
Die teilweise stark divergierenden Wertungen in diesem Band lassen lebhafte Diskussionen erwarten.
Karl-Wilhelm Welwei