Rezension über:

Karl-Ulrich Gelberg (Bearb.): Das Kabinett Ehard II (20.9.1947 - 18.12.1950). Band 2: 5.1.1949 - 29.12.1949 (= Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1954), München: Oldenbourg 2005, CXVI + 501 S., 14 Abb., ISBN 978-3-486-57566-8, EUR 59,80
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Rezension von:
Thomas Schlemmer
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Schlemmer: Rezension von: Karl-Ulrich Gelberg (Bearb.): Das Kabinett Ehard II (20.9.1947 - 18.12.1950). Band 2: 5.1.1949 - 29.12.1949, München: Oldenbourg 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/11/9227.html


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Karl-Ulrich Gelberg (Bearb.): Das Kabinett Ehard II (20.9.1947 - 18.12.1950)

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Das Jahr 1949 war für Westdeutschland das vielleicht wichtigste, seitdem Hitlers Wehrmacht vier Jahre zuvor die Waffen gestreckt und der preußisch-deutsche Nationalstaat mit der Besetzung des Landes und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die Alliierten sein Ende gefunden hatte. Zwischen Mai und September 1949 konstituierte sich nämlich mit der Bundesrepublik Deutschland ein neuer Staat - in seinen Souveränitätsrechten zwar stark eingeschränkt, aber doch ein mit großen Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung befrachteter Nukleus. Es wäre jedoch stark übertrieben zu behaupten, die Gründung der Bundesrepublik habe in allen Ländern der drei Westzonen ein positives Echo gefunden oder gar ungeteilte Freude ausgelöst. Dies traf vor allem auf Bayern zu. Hier hatten 1945 antipreußische Affekte zusammen mit radikal-föderalistischen oder sogar partikularistischen Ideen fröhliche Urständ gefeiert, und spätestens mit der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat sahen sich all jene enttäuscht, die erwartet hatten, das Rad der Geschichte ließe sich zumindest hinter das Jahr 1866 zurückdrehen. Errungenschaften wie der Bundesrat, der vor allem auf Initiativen aus München zurückging, erschienen vor dem Hintergrund überzogener Hoffnungen auf eine weitgehende bayerische Eigenstaatlichkeit kaum etwas wert zu sein.

Dies ist der Hintergrund, vor dem der bayerische Ministerrat - seit September 1947 ein von der CSU gestelltes Kabinett unter der Führung des Bamberger Juristen Hans Ehard - über aktuelle Tagesfragen und richtungweisende politische Entscheidungen beriet. Allein deshalb kommt dem Band für das Jahr 1949 in der Edition der Protokolle des bayerischen Ministerrats zwischen 1945 und 1954 eine herausgehobene Rolle zu. Allerdings spiegeln die 38 für das Jahr 1949 dokumentierten Sitzungen sowohl die politische Bedeutung der Beratungen über das Grundgesetz als auch die zuweilen heftige öffentliche Auseinandersetzung im Vorfeld der Gründung des Weststaats nur ansatzweise wider. Dies liegt zum einen daran, dass Ministerpräsident Ehard - gestützt auf die Ministerialbeamten seiner Staatskanzlei - die "Außenpolitik" des Freistaats zu monopolisieren suchte und sein Kabinett nur begrenzt in den Entscheidungsprozess einbezog, was nicht zuletzt dazu diente, gefährliche Spannungen zwischen gemäßigten Föderalisten wie Justizminister Josef Müller oder Wirtschaftsminister Hanns Seidel und monarchistischen Radikalföderalisten wie Kultusminister Alois Hundhammer zu vermeiden. Zum anderen fehlen gerade die Protokolle von drei Ministerratssitzungen im Mai 1949, als Ehard die kontroversen Standpunkte auf eine Linie bringen musste und in denen zugleich die weitere Strategie der Staatsregierung festgelegt wurde. Diese Strategie lief darauf hinaus - sollte der föderalistische Gehalt des Grundgesetzes nicht noch in letzter Minute entscheidend gestärkt werden -, dem Landtag zu empfehlen, die Verfassung abzulehnen, aber ihre Rechtsverbindlichkeit zu bejahen, sollte sie von zwei Dritteln der künftigen Bundesländer gebilligt werden.

Vermutlich sind diese Protokolle nicht verloren, sondern man hat seinerzeit darauf verzichtet, Niederschriften anzufertigen, um den kontroversen Charakter der Debatten zu verschleiern. Überhaupt erscheinen die Protokolle betont sachlich und abgehoben von den Niederungen des "Parteiengezänks". Dies entsprach dem Naturell des Ministerpräsidenten, der sich vor allem als bayerisch-gouvernmentaler Staatsmann und nicht als Parteipolitiker verstand, obwohl er im Mai 1949 den Vorsitz der CSU übernommen hatte. Dies entsprach aber auch der wachsenden Bedeutung der verbeamteten Experten aus der Staatskanzlei und den Fachressorts für die Beratungen des Ministerrats, die noch zunahm, als nach der Konstituierung der Bundesrepublik regelmäßige Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten auf Referentenebene unter der Federführung eines Abteilungsleiters der Staatskanzlei etabliert worden waren.

Eben diese herausgehobene Rolle einer nicht durch Wahlen legitimierten Funktionselite rief die amerikanische Besatzungsmacht auf den Plan, die zunächst in Form des Office of the Military Government for Bavaria, dann ab Sommer 1949 in Form des Office of the Land Commissioner for Bavaria um die Demokratisierung des Freistaats bemüht war und der bayerischen Staatsregierung noch 1949 trotz der veränderten Rahmenbedingungen verschiedentlich die Zähne zeigte, wenn sie wichtige eigene Projekte wie die Reform des öffentlichen Dienstes oder die Schulreform bedroht sah. Das Verhältnis zu den Besatzungsbehörden war also auch vier Jahre nach Kriegsende noch von zentraler Bedeutung. Dies traf auch auf die Bewältigung der Kriegsfolgen zu, angefangen von der Versorgung der Witwen, Waisen und Invaliden über den Wiederaufbau der zerstörten Städte und die Integration der zahllosen Heimatvertriebenen bis hin zum Abschluss der Entnazifizierung und zum Umgang mit den Opfern der NS-Diktatur. Dagegen scheint die Teilung Deutschlands und die Gründung der DDR für den bayerischen Ministerrat nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben; hier war den Kabinettsmitgliedern offenbar das Hemd näher als die Hose.

Der fünfte Band der Ministerratsprotokolle liefert für die politische Geschichte Bayerns auf dem Weg in die Bundesrepublik zweifellos wichtige Quellen und lässt auch, was die Präsentation, Aufbereitung und Erschließung der edierten Dokumente betrifft, kaum Wünsche offen. Neue Impulse für die Historiografie sind freilich kaum zu erwarten. Die Besatzungszeit ist zumindest derzeit kaum mehr von Interesse, und selbst die Fünfziger Jahre gelten als weitgehend "abgeforscht". Dagegen geraten vor allem die Siebziger Jahre verstärkt in den Blick der Geschichtswissenschaft, die auch, was Bayern betrifft, dringend neuer Quellen bedürfte. Die Herausgeber der Protokolle des bayerischen Ministerrats wären also gut beraten, über eine zweite Serie nachzudenken, die etwa mit dem Amtsantritt Alfons Goppels Ende 1962 einsetzen könnte.

Thomas Schlemmer