Rezension über:

Gun-Dagmar Helke: Deckelterrinen des 18. Jahrhunderts aus Fayence und Zinn. Die Sammlung auf Gut Hohen Luckow, München: Hirmer 2007, 144 S., 141 Abb., ISBN 978-3-7774-3865-8, EUR 29,90
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Rezension von:
Silvia Glaser
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Silvia Glaser: Rezension von: Gun-Dagmar Helke: Deckelterrinen des 18. Jahrhunderts aus Fayence und Zinn. Die Sammlung auf Gut Hohen Luckow, München: Hirmer 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/13982.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Gun-Dagmar Helke: Deckelterrinen des 18. Jahrhunderts aus Fayence und Zinn. Die Sammlung auf Gut Hohen Luckow

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Keramiksammler, die ihr Interesse speziell einem Material aus dem Spektrum der "irdenen Kunst" zugewandt haben, etwa dem Steinzeug, dem Porzellan oder der Fayence, widmen sich meist einem speziellen Gefäßtypus, dem sie ihr besonderes Augenmerk schenken. Im Falle von Porzellansammlern sind es oft Tassen, bei Fayencesammlern meist Walzenkrüge. Im vorliegendem Fall hat sich die Sammlerin auf den Gefäßtypus "Terrine" konzentriert - eine ungewöhnliche Wahl, gestaltet sich doch die Suche nach geeigneten Objekten weitaus schwieriger und fordert gleichzeitig mehr Präsentationsraum als dies etwa bei Porzellantassen der Fall ist. Die von Ruth Merckle inzwischen zusammengetragene Kollektion ist eindrucksvoll und dürfte in dieser Form wohl einzigartig sein. Auslöser für deren Entstehung war nach Merckles eigenem Bekunden ein prachtvoll stuckierter Raum mit großem Fayenceofen auf Gut Hohen Luckow, einem alten Rittergut in Mecklenburg, unweit von Bad Doberan, das seit 1994 in ihrem Besitz ist. Ein großer norddeutscher Spätbarockschrank mit verglasten Türen und Seitenflächen bot u. a. den entsprechenden repräsentativen Platz und Rahmen für eine Sammlung von Terrinen in Fayencetechnik, die von einigen Beispielen aus Zinn ergänzt wird.

Bereits 2005 hatte die Sammlerin 32 ihrer Terrinen fotografieren lassen und in Form einzelner Klappkarten (Format DIN A 5 quer) zusammen mit einem Beiheft in einem Schuber herausgebracht. Die damals von Micha Wolfson erstellten, sehr guten Farbfotos bilden nun die Grundlage für das hier anzuzeigende, solide und gut ausgestattete Buch. Weitere 17 Fayencegefäße und 32 Zinnobjekte sind inzwischen hinzugekommen. Die Geschirre umspannen geografisch gesehen den gesamten europäischen Raum. Ihre Entstehungszeit reicht vom frühen 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die Sammlerin erläutert am Beginn ihre Beweggründe für das Sammeln von Terrinen. "Wer sammelt denn schon Terrinen und Deckelschalen?" Diese mit einem leicht abschätzigen Unterton gestellte Frage war möglicherweise die Reaktion von Kunst- und Antiquitätenhändlern, Auktionatoren, Bekannten u. a. auf Merckles Spezialinteresse. Wie die Kollektion zeigt, hat sie sich glücklicherweise nicht davon beeindrucken lassen und wird dies hoffentlich auch in Zukunft nicht tun. Entsprechend dem Stellenwert einer Kanne als Schau- und Prunkstück eines Kaffee- bzw. Teeservices bildet eine Terrine diesen Akzent beim Speiseservice. In ihr kulminiert gewissermaßen das formale und dekorative Können einer Manufaktur. Kaum ein anderer Gefäßtypus hätte besser in den Rahmen von Gut Hohen Luckow gepasst.

An eine kurze Übersicht zur Verbreitung von Fayencen, zur Formenvielfalt und zum Dekor in einzelnen Manufakturen schließt die katalogartige Darstellung von insgesamt 49 Fayenceterrinen und 32 Zinnexemplaren an, für die Gun-Dagmar Helke verantwortlich zeichnet. Jedes Objekt wird auf einer Doppelseite mit Gesamt- und Detailaufnahme vorgestellt, mitunter ergänzt durch ein kleines Markenfoto. Unter einem bestimmten Schlagwort gibt ein kurzer Begleittext Informationen zum abgebildeten Objekt oder erläutert andere kulturgeschichtliche Zusammenhänge. Die Reihe beginnt mit einer Brüsseler Terrine aus der Zeit um 1750/1760 (13), übrigens auch das erste in die Sammlung gelangte Objekt. Unter der Überschrift "Reizvolles Rokoko" wird kurz auf die entsprechende Manufaktur und die formalen Besonderheiten des Objektes eingegangen. Sie weist zudem auf den Ursprung des Wortes "Rocaille" (Muschelrand) und die davon abgeleitete Epochenbezeichnung "Rokoko" hin. 14 Objekte weiter beschäftigt sich der Text zu einer Terrine aus Italien (41) neuerlich mit den Begriffen "Rokoko" und "Rocaille" unter der Überschrift "Rocaille - Lieblingsmotiv einer Epoche". In diesem Text wird erklärt, woher sich der Begriff Rokoko ableitet. Überschneidungen dieser Art oder Redundanzen hätten sich vermeiden lassen, wenn eine übersichtliche Strukturierung entweder nach Herstellungsländern oder nach Entstehungszeiten vorgenommen worden wäre. Die zusätzlich zu den Basisdaten der Terrinen gegebenen Hinweise sind interessant und aufschlussreich, hätten aber sinnvoller platziert werden müssen. Der Text zur Terrine auf Seite 27, der unter der Überschrift "Was ist eine Terrine?" folgt, hätte sinnvollerweise an den Beginn des Kataloges gesetzt werden müssen, der sich explizit mit "Terrinen" beschäftigt.

Abgesehen von diesen strukturellen Schwächen der Publikation sind einige Zuschreibungen problematisch. Die auf Seite 120/121 abgebildete Wöchnerinnenterrine ist ein Nürnberger Formstück, dessen Bezeichnung "E" als "écuelle" zu deuten ist und mit der Zahl "30" eine Modellnummer in der Manufaktur trägt. Für die Bemalung dieses Gefäßes Johann Andreas Marx (1690-1776) in Anspruch zu nehmen, ist angesichts einer fehlenden Marke sehr problematisch. Das Schaugericht in Form einer Melone auf einem Teller auf Seite 86/87 ist sicher kein Ansbacher Stück. Die AB-Marke in der hier verwendeten Form kommt sowohl auf Erzeugnissen der Amberger Fayencemanufaktur (gegründet 1759) vor - Beispiele hierzu gibt es im Würzburger Mainfränkischen Museum - oder auf Erzeugnissen Thüringens, und hier speziell Dorotheentals. Eine genauere Recherche hätte hier Aufschluss gebracht.

Die Beispiele aus Zinn variieren entweder den Typus der "écuelle" oder spiegeln die bauchige Form der Fayencestücke in eindrucksvollen Beispielen wider. Eine Ausnahme bildet dabei die Terrine auf Seite 129 (oben). Hier lässt sich gut erkennen, dass die Zinngießer mitunter auf ganz einfache Weise Terrinen herstellten, indem sie einem Teller einen steilen Rand und zwei Griffe anlöteten und einen weiteren Teller einfach zum Deckel umfunktionierten, indem sie einen Knauf anbrachten.

Wie eingangs von der Sammlerin bereits angemerkt, wird sich die Zahl der Terrinen auf Gut Hohen Luckow weiterhin erhöhen. Dies ist umso erfreulicher, als sich in den letzten Jahrzehnten der Kreis der Fayenceliebhaber eher reduziert als vergrößert hat. Schön wäre es dann, wenn in den zukünftigen Publikationen mit hoffentlich genauso gutem Bildmaterial die hier angemerkten strukturellen Mängel beseitigt werden könnten.

Silvia Glaser