Walter S. Gibson: Pieter Bruegel and the Art of Laughter, Oakland: University of California Press 2006, xxi + 266 S., ISBN 978-0-520-24521-1, GBP 32,50
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Wie ein Webfaden begleitete die ältere Bruegelforschung das Urteil, dem gewitzten Maler das Lachen ausgetrieben zu haben. Motivische Herleitungen, stilistische Einordnungen, ikonographische Identifikationen und gelehrte Textexegesen sind nur unfreiwillig komisch, verstehen sich aber als ernste Wissenschaft - sprach- oder bildwitzigen Pointen zu Wirkung zu verhelfen, wäre darum ein Dekorumverstoß gewesen und wurde vermieden. Svetlana Alpers' Vorstoß 1972/73 zum comic mode bei Bruegel wurde von Hessel Miedema mit Hinweis darauf verworfen, es habe in der Modus-Lehre des 16. Jahrhunderts keinen Ort für das Komische gegeben. Alpers Anleihen bei Bachtins "Lachkultur des Mittelalters" oder seinen Kategorien des Karnevals gelten seitdem der Kunstgeschichte, die sich selbst nicht "allgemein und vergleichend" versteht, als anachronistisch. [1]
Walter S. Gibson hat mit Pieter Bruegel and the Art of Laughter basierend auf einem in Groningen 2003 gehaltenen und publizierten Vortrag [2] den bislang ausführlichsten Versuch unternommen, das Lachen in und über die Kunst Bruegels historisch zu fundieren und dafür eigene Forschungen überarbeitet: Nach einer Rückschau auf die frühe Bruegel-Rezeption und die Forschung des vergangenen Jahrhunderts (1-13) untersucht er das "Lachen als Ware im 16. Jahrhundert" (Kap. 1, 14-27) und "Bruegels Kunst des Lachens" (Kap. 2, 28-66). Dies sind die Hauptkapitel, denen das Buch seinen Titel verdankt. Es folgen Kapitel zu Niclaes Jonghelinck als einem wegen einer Bürgschaft gut dokumentierten Sammler Bruegels (Kap. 3, 67-76), eines über "Rustic Revels" (Kap. 4, 77-105), das eng an Gibsons letzte Monografie Pleasant Places. The rustic Landscape from Bruegel to Ruisdael von 2000 angelehnt ist, sowie über die Trink- und Esskultur, "Making good cheer" (Kap. 5, 106-123) und abschließend eines über Bruegels "Dulle Griet" (Kap. 6, 124-144). Das letzte, einzig werkmonografische Kapitel knüpft an einen Beitrag des Autors zum Berliner Symposium "Pieter Bruegel und seine Welt" von 1975 (1979) an.
Dem Literaturbericht ist nachzusehen, dass er das non liquet sehr betont und nur Autoren anführt, die Bruegel durch all-encompassing readings eine consistent philosophy nachzuweisen versucht haben, wie zuletzt Müller 1999, der Bruegel eng an Sebastian Francks Paradoxia von 1534 anlehnte (6f.). Die vorhandenen Versuche, bei Bruegel Witz und "komische" Verfahren der Bildfindung, wie etwa das gleichfalls bei Müller 1999 ausführlich thematisierte Wörtlichnehmen, nachzuvollziehen, werden nicht als Anknüpfungspunkt genommen; auch der erwähnte Alpers-Miedema-Disput wird nur berührt, aber nicht für den neuen Versuch genutzt (anders als bei Carroll 1987, 289).
Im ersten Kapitel werden sowohl die ambivalente Beurteilung des Lachens sowie poetologische und rhetorische Einordnungen des Komischen im 16. Jahrhundert als auch der Topos seines medizinischen Nutzens gegen die Melancholie behandelt. Letzterer kam häufig in Vorworten zu kluchtboeken oder fabliaux vor, die Sammlungen von Anekdoten enthielten (21ff.). Außerordentlich reich an literarischen Quellen, die häufig in modernen Ausgaben greifbar und alle von Gibson nachgewiesen und im Index erschlossen sind, bleibt The Commodity of Laughter aber nicht bei der Auflistung dieser Warengüter stehen, sondern geht auch Fragen ihrer Präsenz in zeitgenössischen Bibliotheken (23) und ihres Gebrauchswertes bei den Rederijkern und deren jährlichen Wettbewerben nach (24-27). Dazu hatte Gibson schon 1981 einen grundlegenden und heute noch lesenswerten Aufsatz vorgelegt.
Das zweite Kapitel lässt wegen seiner mit dem Buchtitel fast identischen Überschrift früh eine Synthese erwarten, doch bietet Bruegel's Art of Laughter (28-66) ein auf Drolerie und Groteske, expressive Physiognomien und tronies konzentrierte Untersuchung, deren Bilderbogen weitgefächert ist. Er umfasst Beispiele der Boschnachfolge von Jan de Cock, Jan Mandijn und Jan Verbeeck ebenso wie Werke der zeitgenössischen Italianisten Frans Floris und Sanders Hemessen, aber auch Holzschnitte von Weiditz und Brant sowie Wirtshausszenen Jan van Amstels, Quentin und Jan Massys' und nicht zuletzt Bruegels. Die Grundannahme, groteske Nebenszenen seien bei Bosch als decorative embellishments (29) zur Unterhaltung bestimmt gewesen, wird mit Richard Bretons Songes drolatiques de Pantagruel, Paris 1565, und der zeitnahen Aufwertung der Groteske untermauert. Christophe Plantins eigene Ergänzung des Titels der Bruegel-Serie der Tugenden und Laster um das Wort drolerie, "7 pechez droleries" (33), wird zum Angelpunkt für Gibsons Beurteilung des Humors bei Bruegel, dem in zahlreichen Details entgegen moralischer Deutungen früherer Forscher und sehr vieler Katalogeinträge nachgegangen wird. Für Bachtin-Leser wie für Freunde des guten Witzes bleibt freilich die von Kunsthistorikern gern postulierte Opposition von Belustigen und Moralisieren erstaunlich, da Karneval und Komik gerade die Verletzung der Grenze zwischen beiden Bereichen inszenieren und oft auf die Sottise die Frage nach der Moral folgt - ganz zu schweigen von der Rede- und Predigtkunst, deren exempla durchaus witzig sein konnten. Das künstlerische Interesse an Charakterschilderungen in der Tugenden und Laster-Serie leitet über zum Thema tronies, das in Bruegels Œuvre durch wenige kleinformatige Werke wie die Alte Bäuerin und in einigen Kopien nach verlorenen Werken vertreten ist. Falls Gibson diese Gemälde zu Recht als Studien für den eigenen Gebrauch bezeichnet (59), könnte das unterstellte, sich amüsierende Publikum klein gewesen oder ein Irrtum sein.
Im Bereich der commodities hat der Autor zwar einige Beispiele angeführt, die auf die Wertschätzung des Komischen im 16. Jahrhundert schließen lassen. Bei einem Werk wie der Kreuztragung bestehen aber Zweifel, ob Simon von Kyrenes Gesichtsausdruck als komisch verstanden werden sollte - auch nur durfte oder konnte. Gibsons Vorgehen im letzten Kapitel, das sich nach über 30 Jahren nochmals der Dulle Griet widmet, widerspricht außerdem seiner Deutung, seinem methodischen Umgang mit den Nebenszenen und ihrem Verhältnis zu den Hauptszenen in den vorangehenden Kapiteln. Ging es vorher oft um Clous, die von der Mischung, Neukombination und Verdichtung ausgingen, so plädiert der Verfasser nun im Rückgang auf Grauls' volkskundlich-literaturhistorische Untersuchung von 1957 für eine ikonologische Lektüre. Die Figur wird ohne den Bruegelschen Überschuss an Drolerie und Groteske in zwei nicht leicht gleichzeitig denkbare Aspekte dividiert: die Frau als misogyne Projektion aus dem "Streit um die Hosen" und jene femme fatale, die noch, oder gerade, im Angesicht der Hölle ihre Macht demonstriert. Vielleicht sollte umgekehrt die Dichte der Überlieferung respektiver Textbelege gegen die Annahme, Bruegel habe diese ins Bild gesetzt, verwendet werden. Ab einem gewissen Grad der Bekanntheit eines Stoffes erscheint es wahrscheinlich, dass Topikalität zum Spiel mit dem allgemeinen Wissen um die Figur führt und zur Aus- oder Umarbeitung und Überbietung zwingt (Freedberg 1989, 53-65; Vöhringer 2002) - womöglich auch dies eine Frage des Marktes, in welchem Bruegel als "neuer Bosch" und nicht nur als einer seiner Nachahmer bestehen wollte? Das Gesamtwerk ist, das belegen auch Gibsons Ausführungen, so reich an Umkehrungen, Übertreibungen und derben Verarschungen, dass nichts dafür spricht, ihn gerade hier zu einem wortgetreu lesenden pictor doctus zu machen.
In Gibsons Bericht des Kontextes der Bruegelschen Lachkunst, der auf eigenen Studien über die Rederijker, auf Buchanan 1990, Smolderen 1995 und Kavaler 1999 aufbaut, ist Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle der einzige, der zu kurz kommt. [3] Dabei ist im Umkreis Granvellas die gegen die moralorientierte ältere Forschung vorgetragene Vereinbarkeit von "High" und "Low", Laien und Klerikern, Vielsprachigkeit und kulturellem Austausch, sowie die abermals betonte Nähe Bruegels zu Rabelais plausibel darstellbar, zumindest bis zum erzwungenen Abzug Granvellas aus Brüssel und Mechelen 1564, das heißt für Bruegels Phase des Übergangs von der Druckgrafik für Cock, den Granvella förderte, zur Tafelmalerei.
Gibsons commodity of laughter ist die Beschreibung eines Marktes, auf den der Künstler mit einem Angebot reagiert, und erkennt keinen Bedarf, den Bruegel selbst geweckt oder fortentwickelt hat. Man kann das Buch zwar so lesen, als ergreife es Partei für Alpers und untermauere die historische Möglichkeit des Lachens in und über Bruegels Kunst - womit heute offene Türen eingerannt werden. Aber es ist ein erstaunlich einfältiges Lachen, das wenig mit pictorial wit und bildimmanenten Prozessen zu tun hat, also letztlich van Manders "Pier den Drol" zwar das Malen Immer-schon-für-lustig-gehaltener-Sachen zutraut, aber keine neuen Witze. Selbst angesichts des im Buch verfolgten literaturhistorischen Ansatzes ist das zu wenig, wenn man an die (Tragi)-Komödie und ihre Theorie(n) denkt (Westermann 2002, zu Jan Steen). Gerade aber weil Gibsons reich ausgebreitetes Wissen hier und an anderer Stelle noch weiter zu forschen erlaubt, sein Buch sowohl gut zu lesen als auch leicht darin nachzuschlagen ist, hat es den Regalplatz in Bibliotheken verdient und kann gleichzeitig allen englischlesenden Bruegelfreunden empfohlen werden. Es gibt aber schon lustigere Bruegel-Bücher, die dem Bildwitz näher kommen.
Anmerkungen:
[1] Die ausführlichen Literaturangaben finden sich, wie in allen anderen Fällen, wo hier nur Verfasser, Jahr und gegebenenfalls Seitenzahl genannt werden, im besprochenen Buch.
[2] Walter S. Gibson: The Art of Laughter from Bosch to Bruegel, Groningen 2003
[3] So fehlt in der Bibliografie Claudia Banz: Höfisches Mäzenatentum in Brüssel. Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle und die Erzherzöge Albrecht und Isabella, Berlin 1999, wie auch einige neuere deutschsprachige Sekundärliteratur.
Christian Vöhringer