Ann Grünberg: Erich Mendelsohns Wohnhausbauten. Architekturkonzepte in den internationalen Tendenzen der klassischen Moderne (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 129), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2006, 255 S., 142 Abb., ISBN 978-3-422-06544-4, EUR 39,90
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Es ist offensichtlich, dass die historischen Leistungen berühmter Architekten häufig auf nur wenige ihrer Werke reduziert werden. So ist Andrea Palladio nolens volens der Architekt der Villa Rotonda, Peter Behrens der Architekt der AEG-Turbinenhalle und Erich Mendelsohn der Erschaffer des Einsteinturms. In einer 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität als Dissertationsschrift eingereichten Studie zu den Wohnhäusern Erich Mendelsohns wird jener nicht selten verbreitete Automatismus der Kunstgeschichte als Problem erkannt und zum Anlass genommen, ein bisher weniger beachtetes Tätigkeitsfeld Erich Mendelsohns näher zu beleuchten. Dies in der Hoffnung, es möge sich am Ende ein etwas anderes Bild des Architekten einstellen, das in der bisherigen Forschungsliteratur, von Bruno Zevi (1970) über James-Chakraborty (1997) bis zu Regina Stephan (1998), womöglich ein Schattendasein im Glanz der großen, öffentlichkeitswirksamen Bauten geführt haben könnte.
Legitimiert scheint jener Versuch allemal. Denn obwohl sich Mendelsohn über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren mit dem Thema Wohnungsbau auseinandergesetzt hat, liegt bisher nur in Ansätzen eine wissenschaftliche Beschäftigung mit jenem Aspekt seines Œuvres vor. Für Grünberg scheint sich damit die einmalige Gelegenheit zu bieten, die Entwicklung von Mendelsohns Architektur am Beispiel einer einzigen Bauaufgabe zu verfolgen. Ausdrücklich werden hierbei die zahlreichen späteren Projekte des Architekten in England, Palästina und den USA berücksichtigt. Hierin beschränkt sich die Verfasserin allerdings nicht allein auf die realisierten Projekte. Sie berücksichtigt auch Entwurf gebliebene Ideen. Dementsprechend setzt die Studie nicht mit Mendelsohns erstem Wohnhaus, der Berliner Doppelvilla am Karolingerplatz (1921/22), ein. Bereits aus den Jahren des Ersten Weltkrieges existieren Wohnhausskizzen, darunter der Entwurf zu einem eigenen Haus, dessen Darstellung Mendelsohns besondere Fähigkeit dokumentiert, in wenigen Strichen die expressive Plastizität eines Baukörpers vor Augen zu führen. Weitere Kapitel widmen sich der Zeit nach dem ersten Weltkrieg sowie Mendelsohns späterer durch die Emigration erzwungener Karriere im Ausland. Jedem Kapitel ist eine kurze historische Situationsbeschreibung vorangestellt, vor deren Hintergrund Mendelsohns Architektur in Deutschland, England, Palästina oder den USA zu interpretieren ist.
Während die Bauten und Projekte selbst zumeist detailliert und gut nachvollziehbar beschrieben werden, leiden die Versuche einer Einordnung in den größeren historischen Rahmen allerdings unter einem kunsthistorischen Zugriff, den Grünberg mit ihrer Kritik an der Konzentration auf einige wenige Inkunabeln des Neuen Bauens zuvor selbst zu vermeiden suchte. Zentral für diesen Zusammenhang ist ihre Verwendung des Begriffes "International Style". Im Sinne seiner Schöpfer Philip Johnson und Henry-Russell Hitchcock, die im Anschluss an ihre Ausstellung "Modern Architecture" (1932) ein gleichnamiges Manifest veröffentlichten, wird er gleichsam als naturwüchsige Zusammenfassung eines tatsächlich vorhandenen homogenen Gestaltwollens, denn als kunsthistorische Konstruktion einer bereits für die eigene Gegenwart konstatierten "New Tradition" erkannt. Dass Grünberg durch jene hiermit vorgegebene Ästhetik letztlich auch das Werk Mendelsohns interpretiert, wird anhand der Zusammenfassung deutlich. Einerseits wird festgestellt, dass Mendelsohns "Stil und Kreativität" (167) vor 1933 "noch nicht voll entwickelt" war, was mit Blick auf die bisherige Forschungsliteratur doch fragwürdig erscheint. Andererseits wird der Eindruck vermittelt, Mendelsohns Formensprache münde Ende der Zwanziger Jahre mit aller Konsequenz in den "International Style", den er noch in der Emigration weiter fortgeführt habe.
Dass sich Mendelsohn bis zuletzt nur bedingt den neuen Raumlösungen eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier annäherte und sich im Gegenteil sogar höchst klassischer Grundrisslösungen bediente, wird zwar im Zusammenhang mit der Analyse der Einzelbauten durchaus erkannt. Allerdings münden jene Erkenntnisse nicht in eine erhellende Einordnung jenes Faktums in den größeren Horizont der zeitgenössischen Architekturdiskussion. Im Gegenteil, Grünberg kommt zu dem widersprüchlichen Schluss, dass sich Mendelsohn wegen der Wandelbarkeit seines Stils nicht in den Kontext seiner Zeit einordnen lasse, obwohl seine Architektur zugleich die jeweils zeitgenössischen Tendenzen widerspiegle. Die Frage etwa, warum Mendelsohn nicht zu den Auserwählten gehörte, die einen Beitrag zur Weißenhofsiedlung liefern durften, muss daher auch weiterhin unbeantwortet bleiben.
Darüber hinaus wird nicht ganz deutlich, was Grünberg im Zusammenhang mit Ludwig Mies van der Rohes Architektur als "kühle Funktionalität" oder "Maschinenästhetik" (101) versteht. Ersteres ist zwar integrativer Bestandteil modernistischer Selbstbegründungsstrategien. Die Betrachtung von Mies van der Rohes Bauten belehrt den Betrachter allerdings eines Besseren. Das von Grünberg im Vergleich mit Mendelsohns Haus am Rupenhorn zitierte Haus Tugendhat könnte wohl kaum unzweckmäßiger sein und entzieht sich daher derartiger Etikettierungen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich hierbei noch um eine funktionalistische Ästhetik, die von Funktionalität spricht, aber eigentlich Architektur als Kunst meint. In diesem Sinne unterschied bereits der Architekturkritiker Adolf Behne in "Der moderne Zweckbau" (1923) zwischen dem Funktionalismus als Zweckrationalismus und dem Rationalismus als spielerischer Ästhetik.
So verpflichtet sich Grünberg am Ende einem Stilbegriff, dessen Kritik schon längst zu einer Neubewertung der Moderne und ihrer Protagonisten geführt hat. Dafür sprechen nicht nur die zahlreichen Ausstellungen und Publikationen zu einer anderen Moderne, in denen über das Klischee des "International Style" und des Funktionalismus hinaus die Vielfalt der ästhetischen Konzepte - von Rudolf Schwarz bis Hans Scharoun - Berücksichtigung findet. Davon abgesehen ist es die Architekturdiskussion selbst, die seit den 1960er-Jahren jenen Begriff zu Recht als willkürliche Setzung einer ästhetischen Norm und nicht als Ausdruck funktionaler Rationalität zu betrachten beginnt. Die hiermit verbundenen Vorurteile, zu denen neben Johnson und Hitchcock insbesondere Siegfried Giedions modernistisches Heilsversprechen in "Raum, Zeit, Architektur" (1941) einen Beitrag lieferte, gilt es ebenso wie die programmatischen Schriften früherer Epochen im Sinne einer kritischen Quellenlektüre zu analysieren. Dies ist gerade dann notwendig, wenn man wie Grünberg den wissenschaftlichen Versuch unternimmt, das Werk Mendelsohns einer neuen Interpretation zuzuführen. Da Grünberg die hierzu notwendige Dekonstruktion ästhetischer Mythen nicht unternimmt, bleibt die Studie inhaltlich und methodisch hinter denjenigen Beiträgen zurück, die sie eigentlich zu überwinden sucht. Ein neuer Mendelsohn vermag sich hierin jedenfalls nicht zu zeigen.
Carsten Ruhl