Christine Shaw (ed.): Italy and the European powers. The Impact of War, 1500 - 1530, Leiden / Boston: Brill 2006, xix + 317 S., ISBN 978-90-04-15163-5, EUR 109,00
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Traditionell gelten die Kriege um die Vorherrschaft in Italien, die im Jahr 1494 mit dem Vorstoß Karls VIII. von Frankreich auf die Apenninenhalbinsel begannen und im Grunde erst 1559 mit dem spanisch-französischen Frieden von Cateau-Cambrésis, der die unterdessen etablierte spanische Hegemonie für die nächsten eineinhalb Jahrhunderte besiegelte, zum Abschluss kamen, als Katalysator der Herausbildung eines europäischen Staatensystems und insofern als einer der Faktoren, die dafür sprechen, den Beginn der Neuzeit in Europa in den Jahren um 1500 anzusetzen. Von einer Geschichtswissenschaft, die sich von einer traditionellen Historiografie der Haupt- und Staatsaktionen abgewandt hat, ist diesem Aspekt in den letzten Jahrzehnten vergleichsweise wenig Gewicht beigemessen worden. Dementsprechend sind auch die italienischen Kriege lange von der Forschung wenig beachtet worden. Allerdings scheint sich hier seit jüngstem ein erneuter Wandel abzuzeichnen, der ein wieder erwachendes Interesse an den kriegerischen und staatlichen Verhältnissen Italiens um 1500 signalisiert, wobei die Jubiläen Karls V. und Philipps II. der letzten Jahre offenkundig stimulierend gewirkt haben.
Gleichwohl konstatiert die Herausgeberin des zu besprechenden Bandes in ihrem Vorwort zu Recht, dass noch viel Arbeit, und zwar Grundlagenarbeit, zu tun bleibt: "The new research that is being done and fresh interpretations that are being made are not picking over the architectural details of a well-known building; the basic plan and structure of the building are not yet agreed" (viii). Der Abschied von den gängigen alten Interpretationen, wie der von der Wahrnehmung eines durch die Dekadenz und den Zwist der italienischen Kleinstaaten heraufbeschworenen, für die Halbinsel fatalen Zeitalters der Fremdherrschaft - der Albtraum der vom Gedankengut des Risorgimento geprägten italienischen Historiografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts - ist vollzogen. Nun müssen neue Antworten auf die Fragen nach Ursachen und Auswirkungen der Invasionen in Italien gefunden werden.
Nach derartigen Antworten suchen auch die zum Großteil im angelsächsischen Raum tätigen Autoren dieses Sammelbandes, bei dem auffällt, dass die aufgeworfenen Fragen durchaus an traditionelle Problemstellungen anknüpfen, zugleich aber neue historiografische Tendenzen integrieren. Die Aufsätze sind in vier Sektionen gegliedert, von denen die erste, "Italy as a theatre of war", sich den im engeren Sinne militärgeschichtlichen Aspekten widmet - schließlich ist der Sammelband in der Reihe "History of Warfare" erschienen. Hier kommen in erster Linie Ansätze einer traditionellen Militärgeschichte zum Tragen, wenn Michael Mallett die "transformation of war, 1494-1530" beschreibt (3-21) und Simon Pepper die Rolle von Befestigungen und Belagerungen in den frühen italienischen Kriegen schildert (33-56). Eva Renzulli bezieht in ihre Skizze der gegen eine osmanische Invasion gerichteten Befestigungsmaßnahmen an der Adriaküste in der Zeit Leos X. die symbolische Bedeutung der "Santa Casa di Loreto" mit ein, die nach der Legende von Nazareth nach Italien transferiert worden war: Wer Loreto befestigte, nahm damit gleichzeitig den Status eines Beschützers des Heiligen Landes in Anspruch (57-65). Atis Antonovics integriert in seine Analyse der Ursachen für die (zweite) Vertreibung der Franzosen aus dem Königreich Neapel (1503/04) auch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte, wenn er unter anderem auf die Spannungen und das Misstrauen zwischen adeligen Truppenführern und den bürgerlichen Finanziers hinweist (23-32).
Die Frage nach der "libertà" Italiens, die insbesondere die italienische Historiografie schon immer intensiv beschäftigt hat, steht im Zentrum der zweiten und der dritten Sektion. Die zweite Sektion, "Independent Italy and the wars", nimmt dabei diejenigen italienischen Staaten in den Blick, die nicht unter die direkte Herrschaft einer auswärtigen Macht gelangten, die dritte Sektion "Occupation and foreign rule" die unmittelbaren Herrschaftsgebiete Frankreichs und Spaniens auf der Halbinsel. Am Beispiel des 1539/45 von der päpstlichen Kammer eingezogenen Herzogtums Camerino untersucht John Law, wie sich die veränderten politischen Rahmenbedingungen in Italien auf die kleinsten Akteure auswirkten (77-90). Zunehmend erschienen Zwergstaaten wie Camerino als ein Anachronismus auf der politischen Landkarte. Mit Recht aber warnt Law davor, hier von einem unausweichlichen Ende zu sprechen. Ein politisches "Überleben" Camerinos wäre durchaus nicht ausgeschlossen gewesen. Überdies war es ohnehin traditionelle Politik der Päpste, dynastische Krisen in ihren Vasallenstaaten zur Etablierung ihrer direkten Herrschaft zu nutzen. H.C. Butters greift in seinem Beitrag "Political allegiances and political structures in the writings of Niccolò Machiavelli and Francesco Guicciardini" ein durchaus etabliertes Thema der Geschichtsschreibung auf (91-106). Er stellt zahlreiche Gemeinsamkeiten in den Anschauungen der beiden Florentiner fest und kommt insbesondere zu dem Ergebnis, dass beide politischen "Strukturen" nur eine begrenzte Relevanz für die praktische Politik zuerkannt hätten. Christine Shaw zeigt in einem überzeugenden Überblick, wie sich die Position des Papsttums durch die italienischen Kriege und seine daraus resultierende Einbindung in das europäische Mächtesystem nachhaltig veränderte (107-126).
Durchaus unterschiedlich sind die Herangehensweisen in den Beiträgen der dritten Sektion: David Abulafia verfolgt die Politik Ferdinands des Katholischen gegenüber Neapel und stellt sie in eine lange aragonesische Tradition (129-158). Letizia Arcangeli untersucht die Einflüsse der französischen und kaiserlichen Besetzungen auf die inneren Verhältnisse Mailands, wo sich neben der erschütterten herzoglichen Gewalt auch andere politische Kräfte wie Adel und popolo als Vertreter der mailändischen Interessen gerierten (159-185). George L. Gorse zeigt an Hand von Text- und Bildquellen, wie unterschiedlich Franzosen und Genuesen in der Zeit der französischen Herrschaft über die Republik zwischen 1494 und 1528 die "question of sovereignty" (187-203) beantworteten. Deutlicher als die genuesische Konzeption, nach der die genuesische "libertà" durch die französische "signoria" unbeeinträchtigt zu bleiben hatte, akzentuiert er, wie sich Ludwig XII. insbesondere bei seinem zweiten Einzug in Genua 1507 (nach dem antifranzösischen Aufstand von 1506) als souveräner Herr der unterworfenen Stadt inszenieren ließ.
Die vierte und umfangreichste Sektion des Bandes ("Arms and letters: The crisis of courtly culture in the wars of Italy") ist der Kulturgeschichte gewidmet - Kulturgeschichte hier verstanden in einem eher traditionellen, auf die 'Hochkultur' bezogenen Sinn. John M. Najemy untersucht das Bild des idealen Hofmanns im "Cortegiano" Baldassare Castigiliones, der zugleich gebildet und ein Soldat sein sollte, der aber zusehends einem neuen, verweichlichten und dem Waffenhandwerk entfremdeten Typ des Höflings wich (207-238). Nicole Hochner beschreibt die Wahrnehmung Italiens als Kriegstheater in französischen Texten des frühen 16. Jahrhunderts (239-251), und Iain Fenlon schildert, wie die Krise Italiens in geistlicher und weltlicher Vokalmusik der Jahre 1527-1530, also unmittelbar nach dem Sacco di Roma, verarbeitet wurde (279-298). Der Band wird beschlossen von den knappen Ausführungen von Jonathan Davies zu den Folgen der Kriege für die italienischen Universitäten (299-307). In einem nur zeitlichen Zusammenhang zum Rahmenthema steht hingegen der Beitrag von William F. Prizer, der die wachsende Bedeutung der römischen Kurtisanen in der weltlichen Musik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schildert (253-277).
Der Band, der großenteils auf eine Tagung des AHRB Centre for the study of Renaissance Elites and Court Cultures am Centre for the study of the Renaissance der Universität Warwick zurückgeht, leistet insgesamt einen gewichtigen Beitrag zu der eingangs angesprochenen Neuinterpretation der italienischen Kriege, ohne bereits ein konsistentes Bild zu zeichnen - was ja auch gar nicht sein Anspruch ist. Ein im Alltag von Forschung und v. a. Lehre nicht zu vernachlässigender Pluspunkt des Bandes ist, dass er neue Erkenntnisse zur frühneuzeitlichen italienischen Geschichte in englischer Sprache präsentiert, sodass deren Rezeption auch den Nichtspezialisten offen steht. Erschlossen wird das Buch durch ein Personenregister. Von den zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen sind einige ein wenig verschwommen ausgefallen.
Matthias Schnettger