Donna Harsch: Revenge of the Domestic. Women, the Family, and Communism in the German Democratic Republic, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2007, xvi + 350 S., ISBN 978-0-691-05929-7, GBP 22,95
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Die an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania, lehrende Historikerin Donna Harsch hat mit ihrer Studie über Frauen, Familie und Kommunismus in der DDR ein wichtiges Buch geschrieben. Zugleich aber verspricht der Titel mehr, als das Werk zu halten vermag. Zwar versucht Harsch in Einleitung und Schluss in essayhafter Form die gesamten viereinhalb Jahrzehnte der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1989 zu umgreifen, doch der Hauptteil ihrer Arbeit beschränkt sich klar auf die Ära Ulbricht, den Zeitraum bis 1971, während die Honecker-Jahre bis 1989 allenfalls gestreift und kaum empirisch vertieft werden.
Der Titel der Studie ist programmatisch: Harsch geht davon aus, dass die DDR an der Beharrungskraft des Häuslich-Privaten gescheitert sei, das auf diese Weise "Rache" an den ideologisch-diktatorischen Umformungsversuchen des vierzigjährigen SED-Regimes genommen habe. Wer die Bedeutung dieses Sektors für die Implosion der SED-Diktatur um 1989 derart hoch veranschlagt, muss zwangsläufig die einfachen Frauen in der DDR als zentrale Agenten dieser Rache herausstellen (10 und 318f.). Diese Thesen sind gut formuliert und unkonventionell, werden jedoch im Hauptteil des Buches keineswegs überzeugend belegt. Zumal für den dort behandelten Zeitraum des Ulbricht-Regimes lässt sich keine systemzerstörerische "Rache" des Häuslich-Privaten konstatieren, sondern eher ein nicht widerspruchsfreies Zusammenwirken aus lebensweltlicher Beharrung und transformierender SED-Frauenarbeitspolitik, das nicht nur neue Zwänge und Doppelbelastungen schuf, sondern auch neue Freiräume und Lebensentwürfe - und namentlich nach 1965 eine größere Selbstbestimmung von Frauen in der DDR ermöglichte. Diese Dialektik politischer Transformation von oben und privat-politischen Eigensinns veränderte die DDR-Gesellschaft und die SED-Politik in bestimmten Sektoren erheblich, aber sie unterminierte und zerstörte beides gerade nicht.
Im ersten Kapitel skizziert Harsch die Überlebenskrisen der Nachkriegszeit, u. a. die Notlagen der (oft weiblichen) Flüchtlinge und Vertriebenen, das Problem der Massenvergewaltigungen und der daraus resultierenden Massenabtreibungen (deren rassistischer NS-Hintergrund freilich nur ungenügend berührt wird). Harsch verdeutlicht die grundlegende Spaltung der aus Kommunisten und Sozialdemokraten (zwangs-)vereinigten SED in der Frage einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts, doch die gleichwohl 1947 auf Länderebene durchgeführten liberalisierenden Reformen werden nur in einem Nebensatz berührt (41). Das knappe zweite Kapitel ist der Transformationsagenda der SED und den Konsequenzen dieses Programms für die Frauen in der frühen DDR gewidmet. Die SED-Frauenpolitik, die auf eine arbeitsgesellschaftliche "Emanzipation zur gesellschaftlichen Nützlichkeit" hinauslief und dabei bestimmte Freiräume für Frauen schuf oder erweiterte, die in Westdeutschland erst viel später entstanden, wird überzeugend skizziert. Hingegen werden dieser Modernisierung feindlich oder kritisch gegenüberstehende Sozialmilieus gar nicht oder - wie im Falle der ländlich-kirchlichen Milieus - nur schematisch berührt, ohne nach alternativen Rollenmodellen und Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen jenseits der SED-Modelle unvoreingenommen zu fragen. Die ephemere Berücksichtigung bürgerlicher, kirchlicher und blockparteilicher Differenz in der auf die Bipolarität zwischen SED-Politik und DDR-Frauen reduzierten Darstellung muss als Defizit der Darstellung vermerkt werden - zumal sich diese auf die 1950er- und 1960er-Jahre konzentriert, in der solche Milieudifferenzen verbreiteter und folglich wichtiger waren als in der fast ausgeblendeten Spätphase der DDR. Dass bei weitem nicht von allen weiblichen Soziallagen die Rede ist, wenn Harsch von "den Frauen" spricht, verdeutlicht auch das dritte Kapitel, das sich mit der Ausweitung einer für die DDR-Wirtschaft schon damals unverzichtbaren weiblichen Arbeiterschaft befasst. Dabei wird deutlich, dass weibliche Berufstätigkeit in den 1950er-Jahren häufig noch gering qualifiziert und stark geschlechtsspezifisch segmentiert erfolgte. Harschs Konzentration auf die Sozialfigur des "Female Proletarian" im industriellen Sektor blendet jedoch andere Typen weiblicher Lebensläufe weitgehend aus - insbesondere die Lebensbedingungen der vielen in der Landwirtschaft tätigen Frauen spielen kaum eine Rolle.
Das vierte Kapitel thematisiert die 1950 erfolgte Wende der SED zur geburtenfördernden Politik, die nicht nur in diversen Förderangeboten für "Mutter und Kind" ihren Ausdruck fand, sondern auch in einer gegenüber den Reformen von 1947 massiven Verschärfung des Abtreibungsrechts. Hintergründe dieses Entscheidungsprozesses werden kaum erhellt, die Konsequenzen der neuen pronatalistischen Politik für den Frauenalltag in der DDR werden hingegen recht gut deutlich. Das gilt auch für die negativ-eugenische Komponente dieser sozialistischen Geburtenförderung. Zudem wird herausgestellt, dass dieser Pronatalismus ein "kulturelles Band" zwischen SED-Regime, Bevölkerungsmehrheit und Kirchen zu knüpfen vermochte. Gleichzeitig aber zeigte sich eine unterschiedliche Haltung von Frauen zu dieser SED-Politik: Die Förderangebote wurden akzeptiert, die restriktiven Forderungen oder Verbote hingegen als Einmischung in Privatangelegenheiten abgelehnt. Im Laufe der Zeit, so Harsch, habe diese Abwehrhaltung der weiblichen Basis einen Teil der kommunistischen Funktionäre - insbesondere Frauen - beeindruckt und zu einer Modifikation der SED-Politik motiviert (153f.). Das fünfte Kapitel ist dem frauenspezifisch zugespitzten Modethema heutiger Kulturhistoriker gewidmet - der Konsumgeschichte der 1950er-Jahre. Diese wurde in den letzten Jahren derart intensiv erforscht, dass Harschs kurzer Streifzug wenig Überraschendes zu bieten vermag. Das gilt weitgehend auch für das sechste Kapitel, das sich der neuen SED-Familienpolitik und -gesetzgebung ab 1965 und ihrem Ziel der Funktionalisierung der Familie für Staat und Wirtschaft widmet. Dabei betont Harsch die praktisch sehr begrenzte Auswirkung dieses normativen Zugriffs: "Given the hyperbolic rhetoric of West German commentators at the time, it surprises [...], that the [SED] state interfered in the family as little as it did. Interviewees recall their domestic lives as largely private." (234).
Die 1960er-Jahre beschreibt Harsch im gehaltreichen siebten und letzten Kapitel als Spannungsfeld zwischen obrigkeitlicher Modernisierung und Unzufriedenheit der Basis. Zu Recht wird auf die Stagnation des Aufstiegs von Frauen in politische Führungspositionen verwiesen, doch zugleich werden angeführte Daten unterschätzt - etwa dass fast ein Viertel der Richter am Obersten Gericht der DDR um 1965 Frauen waren, was auch für jeden fünften leitenden Funktionär des Kulturministeriums galt und immerhin für 17% der Leitung des Ministeriums für Gesundheitswesen - nicht unwichtig für spätere Reformen im Abtreibungsrecht. Auch die Rolle der Frauenorganisation der DDR, des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands, bleibt unterbelichtet. Zwar registriert Harsch Forderungen der DFD-Basis nach Lockerung des Abtreibungsrechts, doch in ihrer These von der anhaltenden Entpolitisierung des DFD lässt sie sich davon nicht erschüttern (244). Die nur wenig später erfolgte geheime Reformverordnung des Gesundheitsministeriums von 1965 wird mit diesen Entwicklungen gar nicht erst in Zusammenhang gebracht. Angemessen differenziert bewertet sie hingegen die Entwicklung der Frauenerwerbsquote der 1960er-Jahre. Doch weshalb Harsch den damals rapide wachsenden Teilzeitarbeitssektor als Rückschritt beurteilt (250), obwohl bekannt ist, dass diese Expansion dem SED-Regime von der Frauenbasis regelrecht abgetrotzt worden ist, bleibt unerfindlich.
Wichtige Details bietet Harsch für die Vorgeschichte der Lockerung der DDR-Abtreibungspraxis im Jahre 1965: Das gilt nicht nur für ein Bündel von Motiven, sondern auch für die begünstigende Rolle einer neuen Ärzte- und Funktionärsgeneration mit höherem Frauenanteil. Sie zeigt, dass die SED-Führung dieses Abrücken von der restriktiven Gesetzgebung von 1950 - die man gleichwohl formell beibehielt - unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen lassen wollte (265f.). Was sie aber offenbar nicht kennt, ist die der SED unerwünschte öffentliche Konflikteskalation gegen Jahresende 1965, die durch kirchliche Stellungnahmen sowie durch Veröffentlichungen der westdeutschen Presse bewirkt wurde. Überhaupt begegnet Harsch kirchlichen Positionen nicht immer sachlich: Die Haltung der katholischen Kirche wird als "absolutist" (268) abqualifiziert, und dass beide Konfessionen durch das SED-Zugeständnis der Exemtion kirchlicher Einrichtungen und Angestellter in der Abtreibungspraxis nach 1965 "largely appeased" worden seien (269, Anm. 164), ist angesichts des schwer beeinflussbaren Diktaturkontextes sowie anders gearteter kirchlicher Grundsatzpositionen in mehr als einer Hinsicht ergänzungsbedürftig. Enttäuschend ist schließlich, dass der Schlussstein der DDR-Reformentwicklung - die Einführung der Fristenregelung 1972 - nicht angemessen berücksichtigt, sondern nur gestreift wird (272f.). Dadurch bleiben die bis heute unerforschten Motive und Entscheidungsabläufe dieser in ganz Deutschland Aufsehen erregenden Reform weiter im Dunkeln.
Wie sich im Übrigen gerade die von vielen Frauen lange geforderten Abtreibungsreformen von 1965/72, die noch weit nach 1990 den Beifall "emanzipierter" Frauen in Ost wie West gefunden haben, in Harschs Deutungskonzept von der Unterminierung des SED-Regimes durch eigensinnige Rache des Häuslich-Privaten einfügen soll, bleibt völlig unklar. Doch auch wenn dieses übergeordnete Interpretationsraster wenig überzeugt, bietet Harschs Buch eine Fülle neuer oder besser fundierter Einsichten über das komplexe Verhältnis von Frauen, Familie und SED-Politik in der Ära Ulbricht.
Michael Schwartz