Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien: Böhlau 2005, 389 S., 41 Abb., ISBN 978-3-205-77418-1, EUR 35,00
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In der Studie von Katrin Keller über Hofdamen am Wiener Kaiserhof des 17. Jahrhunderts treffen sich zwei neuere Tendenzen der Geschichtsforschung: Zum einen zieht der Adel in jüngster Zeit wieder verstärkt das Interesse der Historiker und Historikerinnen auf sich und zum zweiten hat die Frauen- und Geschlechtergeschichte inzwischen ihre Berührungsängste gegenüber der Erforschung von Eliten abgelegt und richtet ihren Fokus längst nicht mehr nur auf Frauen der unteren Schichten. Vom methodischen Ansatz her versteht sich die Arbeit als Teil der seit einigen Jahren florierenden Hofforschung. Sie ist entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts "Patronage und Klientel am Wiener Hof", dessen zeitlicher Schwerpunkt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts liegt.
Trotz zahlreicher Studien zum Hof der Frühen Neuzeit blieb die weibliche Seite des Hofes, deren Existenz selbstverständlich stets bekannt war, für das Reich und eben auch für den Kaiserhof - im Unterschied beispielsweise zu England oder Frankreich - bis jetzt unbeleuchtet. In diese Lücke stößt das vorliegende Buch. Keller untersucht die Hofmeisterinnen und Hofdamen in den Wiener Hofstaaten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Für diese Zeit ist sie tief in die archivalische Überlieferung sowohl der zentralen Hofarchive wie auch etlicher Familienarchive eingedrungen, insgesamt deckt die Arbeit aber, wenn auch ohne konsequente archivalische Studien, den Zeitraum von ungefähr 1580 bis 1740 ab.
Da kaum Vorarbeiten existieren, muss Keller erst einmal grundlegende Informationen bieten über den Umfang und die rechtliche Stellung der Frauenhofstaate in Wien. Diese waren rechtlich Teil des kaiserlichen Gesamthofstaates, existierten aber dennoch vergleichsweise selbständig nebeneinander. Je nach genealogischer Situation gab es einen Hofstaat der Kaiserin, der Kaiserin-Witwe und der Erzherzoginnen, an deren Spitze jeweils eine (verwitwete) Obersthofmeisterin stand, die über die (unverheirateten) Hofdamen und das sonstige Personal gebot. Diese beiden Gruppen von Frauen werden nun detailliert untersucht. Mit den im Untertitel genannten "Amtsträgerinnen" sind also die Inhaberinnen der hohen Ämter am Hof gemeint, nicht die wesentlich zahlreicheren Wäscherinnen, Näherinnen usw.
In den folgenden Kapiteln dient Keller der Lebenslauf ihrer Protagonistinnen am Hof als Gliederung. Kapitel 2 beschreibt den "Weg an den Hof", Kapitel 3 widmet sich dem "Anfang und Ende" des Lebens am Hof, wobei besonders "Herkunft und Eheschließungen" untersucht werden. Das weitaus umfangreichste Kapitel 4 gilt dem "Leben am Hof: Alltag, Fest und Zeremoniell". Das abschließende Kapitel 5 thematisiert unter der Überschrift "Kontakte und Karrieren" den "Hofdienst als Chance".
Dieser darstellende Teil umfasst aber nur gut die Hälfte des Buches. Ein Quellenanhang gibt fast ausnahmslos bisher ungedruckte (oder nur schwer greifbare) Quellen wider, die zentrale Aspekte der Darstellung aufgreifen. Bei der (nicht näher begründeten) Auswahl hat sich Keller offensichtlich darum bemüht, möglichst unterschiedliche Quellengattungen aufzunehmen: So stehen normative Texte wie Instruktionen neben Beschreibungen zeremonieller Akte und Korrespondenzen von Hofdamen oder Hofmeisterinnen. Nicht nur diejenigen, die schon einmal mühsam Quellen für eine Lehrveranstaltung über den Hof zusammengesucht haben, werden für diesen Quellenanhang dankbar sein. An den Quellenanhang schließen sich Kurzbiographien der behandelten Amtsträgerinnen an. Sie bilden die Grundlage der Auswertung und sind somit das Rückgrat der Arbeit. Zudem entlasten sie nicht nur auf angenehme Weise die Fußnoten, sie stellen auch einen äußerst wertvollen Fundus für alle diejenigen dar, die künftig prosopographisch über den Wiener Hof arbeiten wollen, zumal die Abschnitte jeweils genaue Hinweise über die benützten Archivalien enthalten. Im Inhaltsverzeichnis unverständlicherweise gar nicht ausgewiesen ist der Abbildungsteil, der wahre Schätze bietet: Neben Porträts von Hofdamen und Hofmeisterinnen sowie ihrer Dienstherrinnen, der Kaiserinnen und Erzherzoginnen, bilden die zahlreichen Bilder von Schlössern und Zeremonien eine anschauliche Ergänzung des im Darstellungsteil Ausgeführten. Da sich die Auswahl auf die bisher weitgehend unbekannte weibliche Seite des Hofes konzentriert, findet man hier nicht die üblichen Hofdarstellungen, sondern bisher nicht oder kaum je abgedruckte Bilder. Dankenswerterweise sind die Abbildungen relativ ausführlich beschrieben, auch wenn sie nicht hinreichend auf das Thema hin interpretiert wurden.
Überhaupt stehen Darstellung, Quellenanhang, Kurzbiographien und Bildteil völlig isoliert nebeneinander. Dass die im Text vielfach erwähnte Fräuleinhofmeisterin Maria Maximiliana von Scherffenberg auch im Quellenanhang mit einigen Briefen und im Bildteil mit einem Porträt vertreten ist, erfährt nur, wer alle Teile durchsieht; hier wären Querverweise und ein entsprechender, gut sichtbarer Hinweis in der Kurzbiographie wünschenswert gewesen.
Die Darstellung kann angesichts der Forschungslage nicht mehr als eine erste Annäherung an das Thema bieten. In vorbildlicher Redlichkeit weist Keller immer wieder darauf hin, wenn die Datengrundlage nur sehr vorläufige Aussagen erlaubt; auf diese Weise enthält das Buch zahlreiche Anregungen für künftige Forschungen. Diese Einschränkung schmälert jedoch den Wert der hier vorgelegten Arbeit keineswegs. Denn über eine bisher weitgehend unbekannte Gruppe am Hof, und damit auch über den Kaiserhof insgesamt, wissen wir nun doch wesentlich mehr. Die Hofdamen und Hofmeisterinnen rekrutierten sich größtenteils aus dem dem Hof nahe stehenden erbländischen Grafen- und Herrenstand. Die Frauen traten in den Hofdienst ein, weil sie und vor allem ihre Familien sich davon ein gewisses Einkommen für die Frauen sowie Ehre und Ansehen für die ganze Familie versprachen. Für die künftigen Hofdamen im Speziellen erhofften sich die Familien eine angemessene Ausbildung und gute Heiratschancen. Darüber, ob sich diese Erwartungen erfüllten, geben "Besoldungstabellen" ebenso Auskunft wie die Analyse der Testamente der Fürstinnen hinsichtlich der Legate für die Hofdamen, die Auswertung der Heiraten (in der Tat erhöhte der Hofdienst die Chancen auf eine Heirat insgesamt wie auf eine gute Heirat) und die Nachzeichnung von "Karrieren". Ausführlich werden zudem die Pflichten der Hofdamen und Hofmeisterinnen beschrieben. Da diese, kurz gefasst, in der ständigen Begleitung der Fürstin bestanden, erfährt man dabei auch manches über die Aufgaben der Kaiserinnen und Kaiserin-Witwen.
Eine zentrale Rolle in der Darstellung spielt das Modell des "Netzwerks", was angesichts der Entstehung der Arbeit in einem Forschungsprojekt über "Patronage und Klientel" nicht verwundert. Sehr knappe methodische Ausführungen zum Netzwerk-Konzept findet man allerdings erst im Kapitel 5 in dem Abschnitt "Netzwerke: Zum Begriff" (180-185). Dieser Abschnitt erscheint in Benennung und Platzierung unglücklich. Enthielte er tatsächlich ausschließlich eine Begriffsdefinition und eine Verortung des Ansatzes in der Forschung, gehörte er an den Beginn der Darstellung. Tatsächlich enthält der Abschnitt aber überwiegend Ausführungen über die Handlungsspielräume der Frauen am Hof als Teile von Netzwerken. Dabei werden die Ergebnisse - angesichts des zuvor ausgebreiteten Materials - allerdings erstaunlich defensiv vorgetragen. Denn selbstverständlich kann "Familienpolitik nicht als 'Privatsache'" betrachtet werden, "sondern als Form der Gestaltung öffentlicher Belange" und zweifellos waren "politische Beziehungen in der Frühen Neuzeit stark persönlich geprägt" (184). Diese Annahmen, die letztlich ja diesem Buch wie dem ganzen Forschungsprojekt zugrunde liegen und die inzwischen auch unstrittig sein dürften, vorausgesetzt, verfügten die Frauen am Hof nämlich durchaus über Handlungsspielräume im Rahmen der höfischen Netzwerke. Die Überlegungen dieses Abschnitts gelten also zentralen Ergebnissen der Arbeit und hätten es verdient gehabt, pointierter und weniger versteckt präsentiert zu werden. Keller leistet mit ihrem Buch denn auch einen wesentlichen Beitrag, diese Spielräume, ihre Bedingungen, aber auch ihre Grenzen aufzuzeigen.
Bettina Braun