Barbara Perlich: Mittelalterlicher Backsteinbau in Europa. Zur Frage nach der Herkunft der Backsteintechnik (= Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege; 5), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2007, 271 S., ISBN 978-3-86568-202-4, EUR 59,00
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Wenn man den Nordosten Deutschlands bereist, trifft man auf imposante und eindrucksvolle Kirchenbaukunst der mittelalterlichen Zeit und damit unwillkürlich auch auf ihr Baumaterial: den Backstein.
Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert wird die mittelalterliche Backsteinarchitektur als selbständige Gattung der Baugeschichte angesehen. Schon die frühen wissenschaftlichen Beiträge der namhaften Bauforscher Otto Stiehl und Friedrich Adler lösten kontroverse Diskussionen über die Entstehung und Entwicklung der Backsteinbaukunst in Europa aus, die die Wissenschaft bis heute beschäftigen. In der Forschung bestand immer wieder Uneinigkeit über die Herkunft der norddeutschen Backsteinarchitektur, deren bauhistorische Ursprünge in nur einer Vorgängerregion, so etwa den Niederlanden, aber auch in Oberitalien, angesiedelt wurden.
Die Grundlage für die Vermutung, dass nur eine einzige Kunstregion Ausgangspunkt für die Entwicklung der Backsteinbaukunst in Europa gewesen sein könnte, war zum einen ihr plötzliches, nahezu schlagartiges Auftreten seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, zum anderen bildete auch die außerordentliche Qualität der ersten Backsteinbauten hinsichtlich ihrer Herstellung und Verarbeitung eine der Ursachen für diese Annahme.
Diesem Streit, der seit Beginn der Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Backsteinarchitektur über ihre Herkunftsregion entbrannt war, möchte Barbara Perlich nunmehr ein Ende bereiten. Durch detaillierte baumonografische Untersuchungen und gründliche Bauanalysen von knapp vierhundert Backsteinkirchen im mitteleuropäischen Raum überzeugt sie in ihrer Studie mit ihren Thesen und Argumenten über den Entwicklungsverlauf der Backsteinarchitektur seit ihrem unvermittelten Auftreten im 12. Jahrhundert.
Die von Barbara Perlich im Jahr 2005 als Dissertation an der TU in Berlin eingereichte Arbeit gliedert sich in vier Großkapitel, die wiederum in bis zu neun Unterkapitel aufgeteilt sind. Nach der Einleitung und der Darlegung der Geschichte der Backsteinforschung in Deutschland sowie der terminologischen Erklärungen des Materials Backstein widmet sich die Autorin in ihrem ersten Kapitel den Anfängen der Backsteinbaukunst, ihrem plötzlichen Erscheinen im 12. Jahrhundert und ihrer kontinuierlichen Ausbreitung in Europa bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Untersuchungen der Verfasserin kristallisieren folgerichtig und gut verständlich heraus, dass der Backsteinbau nicht nur innerhalb einer Kunstregion entstanden ist, sondern sich vielmehr polyzentrisch aus zahlreichen Kleinregionen heraus entwickelt hat, die teilweise isoliert blieben oder erst im Laufe der Jahrhunderte zusammenwuchsen, um dann sogenannte Cluster um die zeitgleich auftretenden Urzellen zu bilden. So wurden zahlreiche Backsteinbauten im 12. Jahrhundert auch unabhängig von der Ausdehnung des Römischen Reiches in teilweise weit voneinander entfernt liegenden Kunstlandschaften offenbar ohne Erprobungsphase parallel zueinander errichtet, so dass frühe gegenseitige architektonische Abhängigkeiten oder baukünstlerische Anlehnungen an antike Vorgängerbauten kaum anzunehmen sind.
Mit Hilfe ausführlicher Kartierungen des mitteleuropäischen Gebiets vor der Mitte des 12. Jahrhunderts und detaillierten Untersuchungen der Mauertechnik wie der Herstellungsart der Backsteine selbst weist Barbara Perlich nach, dass die ersten Backsteingebäude sowohl in Dänemark als auch der Lübecker Bucht, im nördlichen Sachsen-Anhalt, im Elb-Havel-Gebiet, im sächsischen Raum und im südlichen Brandenburg, vereinzelt an der Ostseeküste, in Friesland wie auch in Bayern und im Elsass annähernd im gleichen Zeitraum errichtet worden sind.
Im zweiten Kapitel über die Entwicklung der Backsteintechnik analysiert die Verfasserin neben den geologischen Voraussetzungen auch die technischen Details der Backsteinarchitektur wie etwa die Aufbereitung und Herstellung der Backsteine, das Trocknen und Brennen der Ziegel, die verschiedenen Steintypologien und Steinformate wie auch das offenbar regional geprägte Erscheinungsbild der Bauornamentik. Auch die Art der Bau- und Maurerarbeiten, etwa die Errichtung von Schalen- und Vollmauerwerk, der Bau diverser Steinverbände, verschiedene Stein- und Fugenmaße oder die Ausführung architektonischer Details, so z.B. der Ecklösungen, der Portale und Fenster, die Verwendung von Formsteinen oder der Einsatz von Schmuck am Bau, werden von Barbara Perlich präzise und umfassend analysiert. Sogar scheinbar unwesentliche Details wie Steinmetzzeichen, Sonnenuhren oder Weihekreuze bleiben nicht unerwähnt. So erläutert die Verfasserin mit plausiblen Argumenten, dass die ersten Backsteinbauten des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich in erster Linie von geschulten Steinmetzen aus dem Werksteinbau errichtet worden sind. Diese Tatsache erklärt laut Perlich auch die hohe Qualität der frühen Backsteinbauten, wie sie etwa in der Stiftskirche in Jerichow anzutreffen ist.
Im dritten Kapitel widmet sich die Autorin den einzelnen Backsteinregionen des mitteleuropäischen Raumes und kommt zu dem glaubhaften Ergebnis, dass sich im Laufe der Zeit ganz eigene individuelle Baumerkmale wie etwa landschaftstypische Bauornamentik, unterschiedliche Formsteine oder Glasuren und diverse subtile Farbfassungen in den verschiedenen Backsteinlandschaften ausgeprägt haben. Auch erlauben die jeweiligen kunstlandschaftlichen Entwicklungen Datierungseingrenzungen der einzelnen Sakralbauten und damit die Erkenntnis baukünstlerischer Zusammenhänge und eventueller typologischer und technischer Abhängigkeiten zwischen benachbarten Regionen. So gelangt die Autorin durch konzentrierte Bauanalysen mitteleuropäischer Kunstgebiete, in denen in mittelalterlicher Zeit mit dem Material des Backsteins gearbeitet wurde, zu dem folgerichtigen Ergebnis, dass einzelne Bauformen und Backsteintechniken sich offenbar nicht wie in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts unabhängig und parallel zueinander entwickelten, sondern sich zunehmend auch von Westen nach Osten sowie von der Küste bis ins Landesinnere hinein ausgebreitet und somit aktiv zum gegenseitigen Formenaustausch beigetragen haben dürften.
Die allmähliche Zunahme des Backsteins als Baumaterial rief im Laufe der Zeit nicht nur technische und wirtschaftliche Veränderungen hervor: mit der steigenden Massenproduktion, der Industrialisierung und der Rationalisierung verringerte sich auch die Qualität des Materials und seiner Verarbeitung. So resümiert Barbara Perlich treffend, dass der eigentliche innovative Aspekt in der Backsteinarchitektur des 12. und frühen 13. Jahrhunderts nicht die wohl bereits vor dieser Zeit übliche Herstellung, sondern vor allem die Verwendung, das Bauen und das Vermauern der Backsteine selbst betraf.
Die vorliegende Arbeit ist mit hervorragenden Bunt- und Schwarz-Weiß-Abbildungen versehen, auf denen auch Details und kleinste Feinheiten wie Kreisritzungen, Rillen und Maurerzeichen gut zu erkennen sind. Auch die Bildtitel referieren kurz und knapp den bereits im Text dargestellten Inhalt.
Trotz der konsequenten Präsentation der Entwicklung der mittelalterlichen Backsteinarchitektur in Europa hätte die Autorin dem Leser das Verständnis eventueller Fusionierungen der Backsteintechniken, etwa der Ornamente am Bau oder der verschiedenen Bauweisen in den jeweiligen Kunstlandschaften Europas, auch im zweiten und dritten Kapitel mit Hilfe von Landkarten oder auch Tabellen etwas erleichtern können, wie es beispielsweise im ersten Kapitel mittels der Kartierungen über die Ausbreitung der Backsteinkirchen in Europa oder der Verbreitung der wichtigsten mineralischen Massenrohstoffe gut verständlich und übersichtlich geschieht.
Insgesamt hat Barbara Perlich mit ihrem vorliegenden Band einen gelungenen Leitfaden für Bauhistoriker und Interessierte an der europäischen Backsteinarchitektur geschaffen, der umfassende, wissenschaftlich fundierte und innovative Erkenntnisse über die Entwicklung und Verbreitung wie auch die kunstlandschaftlichen Zusammenhänge der Backsteinarchitektur darbietet. Ihre verdienstvolle Neuerscheinung auf neuestem Stand leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Frage nach der Herkunft und Entwicklung der Backsteintechnik in Europa.
Ulrike Gentz