Rezension über:

Karlheinz Blaschke (Hg.): Moritz von Sachsen - Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internationales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni in Freiberg (Sachsen) (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; Bd. 29), Leipzig: Sächsische Akademie der Wissenschaften 2007, 335 S., ISBN 978-3-515-08982-1, EUR 84,00
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Rezension von:
Robert Rebitsch
projekt.service.büro und Institut für Geschichte und Ethnologie, Universität Innsbruck
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Robert Rebitsch: Rezension von: Karlheinz Blaschke (Hg.): Moritz von Sachsen - Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internationales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni in Freiberg (Sachsen), Leipzig: Sächsische Akademie der Wissenschaften 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 6 [15.06.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/06/13085.html


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Karlheinz Blaschke (Hg.): Moritz von Sachsen - Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich

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Anlässlich der 450. Wiederkehr des Todestages des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, der am Schlachtfeld von Sievershausen am 9. Juli 1553 seine tödlichen Verwundungen erlitt und zwei Tage darauf starb, fanden sich deutsche und österreichische Historikerinnen und Historiker im sächsischen Freiberg zu einem wissenschaftlichen Kolloquium zusammen, diesem Wettiner aus der albertinischen Linie und seinem historischen Umfeld zu gedenken. In der Tat war dieser Reichsfürst eine außergewöhnliche Erscheinung. Karlheinz Blaschke nennt ihn in seiner kenntnisreichen Abschlussbetrachtung (313-336) gar den "bedeutendsten Wettiner" und bringt auch Argumente für seine Einschätzung vor. Wie auch immer man zu einem Ranking nach Bedeutung, Größe und anderen Beurteilungskriterien stehen mag, die von Blaschke zusammengefassten Ergebnisse einer langjährigen Beschäftigung mit Moritz sind allemal interessante Anhaltspunkte zur Beurteilung dieses Reichsfürsten.

Nach den vorangestellten Begrüßungsworten der Ehrengäste zeigt Thomas Nicklas im ersten wissenschaftlichen Beitrag des Bandes "Das Wagnis reichsfürstlicher Außenpolitik. Moritz von Sachsen zwischen Habsburg und Frankreich" (25-41) die Schlüsselmomente des freilich nicht immer unproblematischen und friktionsfreien Bündnisses zwischen Moritz von Sachsen und dem Königreich Frankreich auf, das nachhaltige Wirkung auf die Westgrenze des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation hatte. Der Wiener Historiker Alfred Kohler, bestens ausgewiesener Kenner der Politik und der Lebenswege Karls V. und Ferdinands I., betrachtet in seiner Studie "Von Passau nach Augsburg. Zur politischen Emanzipation Ferdinands I. in den Jahren 1552 bis 1555" (42-56) die verschiedenen politischen Vorstellungen der beiden Habsburger Brüder. Tatsächlich galt ja der jüngere Ferdinand als wesentlich realistischer in der Einschätzung der reichs- und konfessionspolitischen Situation Deutschlands, ja er befand sich sogar nach Abschluss des Augsburger Religionsfriedens "auf dem Höhepunkt seiner Reichs- und Religionspolitik", wie Kohler abschließend in seinem Beitrag feststellt (56). Ernst D. Petritsch, Experte für osmanisch-habsburgische Beziehungen, schildert den Einsatz des Wettiners im Türkenkrieg und die Grundzüge der habsburgischen Osmanenabwehr in den 40iger und 50iger Jahren des 16. Jahrhunderts. Bemerkenswerterweise zog Moritz im Anschluss an die Passauer Verhandlungen ein zweites Mal und nun als Generalobrist nach Ungarn, ohne dabei jedoch dem Feldzug entscheidende Impulse zu verleihen. Auch diese Aktion des gewieften sächsischen Realpolitikers darf unter die Kategorie "Politischer Schachzug" eingeordnet werden.

Manfred Rudersdorf zeigt in seinem Beitrag "Moritz von Sachsen und die Landgrafschaft Hessen. Protestantische Politik im Zeichen des dynastischen Familienverbandes" (75-93) die enorme Bedeutung der Achse Sachsen - Hessen für die protestantische Reichspolitik auf, zumal die seit 1547 andauernde Gefangenschaft des Landgrafen und Schwiegervaters Moritzens, Philipp von Hessen, als einer der Kriegsgründe für den Fürstenaufstand von 1552 genannt werden darf. Die Beziehung der beiden Männer, die Rudersdorf als die "wohl profiliertesten und eigenständigsten Köpfe unter den evangelischen Territorialfürsten ihrer Zeit" (79) charakterisiert, war von den engen dynastischen Banden, von einer gewissen Vorbildfunktion des Schwiegervaters aber auch von unerwarteten politischen Brüchen geprägt. Enno Bünz analysiert das hochbrisante "familieninterne Klima" zwischen dem albertinischen und dem ernestinischen Familienzweig in den Jahren 1547 bis 1554 ("Eine Niederlage wird bewältigt. Die Ernestiner und Kursachsen 1547 bis 1554", 94-117). Ohne Zweifel bedeutete die Schlacht von Mühlberg, das Eintreten Moritzens auf Seiten der Habsburger und der Übertrag der Kurwürde auf die Albertiner eine tiefe Zäsur im innerdynastischen Verhältnis des Hauses Wettin, das wahrlich der Bewältigung bedurfte.

Johannes Herrmann, Verfasser der neuesten Moritz-Biographie, stellt in seinem Aufsatz die Persönlichkeit und die politischen Entscheidungen des Herzogs und Kurfürsten dar (118-122), wobei er natürlich als Bearbeiter der politischen Korrespondenzen des Albertiners aus dem Vollen schöpfen kann. Anhand der persönlichen, teils auch privaten Korrespondenzen gelingt es ihm, den Menschen Moritz in den Mittelpunkt zu stellen. Uwe Schirmer hingegen nähert sich dem Thema aus finanz- und strukturgeschichtlicher Perspektive, in dem er "Umfang, Strukturen und Funktionen der albertinischen Staatsfinanzen - Untersuchungen zum Haushaltsjahr 1549/1550" (133-162) beleuchtet und dabei auf die Ressourcen der albertinischen Politik in entscheidenden Jahren eingeht. "Es war dem Herzog und Kurfürsten Moritz", so resümiert Schirmer, "in relativ kurzer Zeit gelungen, das Volumen der albertinischen Gesamteinnahmen kräftig zu steigern." (161)

Günther Wartenberg, ebenfalls exzellenter Kenner der sächsischen Geschichte der Frühen Neuzeit und Bearbeiter der fürstlichen Korrespondenzen, geht in aller gebotenen Kürze auf die albertinische Kirchen- und Religionspolitik unter Moritz von Sachsen ein (163-172), Winfried Müller ausführlich auf die Neugestaltung des Bildungswesens (173-301), Christian Winter, ebenfalls erfahrener Bearbeiter der Korrespondenzen des Kurfürsten, auf die engsten Räte in der albertinischen Bündnispolitik der Jahre 1551 bis 1553 (202-224), und Reiner Gross auf die Gestaltung der sächsischen Landesverwaltung unter Herzog und Kurfürst Moritz (225-234). Die Beiträge von Schirmer, Wartenberg, Müller und Gross unterstreichen die Bedeutung Moritzens gerade auch für die innere Gestaltung der albertinischen Territorialherrschaft.

Gabriele Haug-Moritz nimmt sich in ihrem Aufsatz "Judas und Gotteskrieger. Kurfürst Moritz, die Kriege im Reich der Reformationszeit und die 'neuen' Medien" (235-259) der in der medialen Propaganda seiner Gegner kreierten dunklen, also der "verräterischen" Seite des Reichsfürsten an. Da der Albertiner nicht nur in den "neuen" Medien, sondern auch in Literatur und Historiographie lange Zeit unter der Bezeichnung "Judas von Meißen" firmierte, zeichnet Haug-Moritz den propagandistischen Weg wie auch den Symbolcharakter dieser und anderer Beschreibungen des Sachsen nach. Der mit 18 Abbildungen versehene Beitrag von Heinrich Magirius, "Die Monumente für Kurfürst Moritz an der Festung in Dresden und im Freiberger Dom" (260-283), Martina Fuchs, "Moritz von Sachsen und Karl V. in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhundert" (284-297) und Helmar Junghans, "Moritzrezeption und Moritzeditionen" (298-312), gehen auf die rezeptionsgeschichtliche Perspektive zu Moritz von Sachsen ein und runden somit vor der abschließenden informativen Bewertung Karlheinz Blaschkes ("Moritz von Sachsen - der bedeutendste Wettiner", 313-336) auf äußerst anschauliche Art und Weise die Themenschau zum albertinischen Kurfürsten ab.

Die verschiedenen hier abgedruckten, sich allesamt auf dem neuesten Stand der Forschung befindlichen Kolloquiumsbeiträge zu Moritz von Sachsen verdeutlichen ohne Zweifel die keinesfalls zu unterschätzende Bedeutung dieses Reichsfürsten, der sich auf eine äußerst ungewöhnliche Weise gestalterisch in der Reichspolitik bemerkbar gemacht hat, und stellen wertvolle Perspektiven zur weiteren Beurteilung des Albertiners in seiner Zeit dar. Neben den Impulsen, die er der sächsischen Landesverwaltung zu geben vermochte, hat dieser Wettiner eben eine maßgebliche Rolle in einer von Umbrüchen geprägten Epoche gespielt. Als Reformationsfürst der zweiten Generation nahm er den Kampf gegen den scheinbar zu dieser Zeit übermächtigen, noch im Schmalkaldischen Krieg siegreichen Kaiser Karl V. auf, arrangierte sich mit dessen Bruder Ferdinand und ging ein von militärischer Zweckrationalität getragenes, reichspolitisch jedoch folgenreiches Bündnis mit der Krone Frankreichs ein. Dennoch wird man sich gerade mit der Reichspolitik Moritzens nach seiner Erhöhung zum Kurfürsten weiterhin beschäftigen müssen.

Robert Rebitsch