Rezension über:

Sven Rabeler: Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter. Wilwolt von Schaumberg (um 1450- 1510) und Ludwig von Eyb d.J. (um 1450-1521) (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX: Darstellungen aus der fränkischen Geschichte; Bd. 53), Würzburg: Gesellschaft für fränkische Geschichte 2006, 591 S., ISBN 978-3-86652-953-3, EUR 39,80
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Rezension von:
Steffen Krieb
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Steffen Krieb: Rezension von: Sven Rabeler: Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter. Wilwolt von Schaumberg (um 1450- 1510) und Ludwig von Eyb d.J. (um 1450-1521), Würzburg: Gesellschaft für fränkische Geschichte 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 6 [15.06.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/06/13749.html


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Sven Rabeler: Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter

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Der Zugang zu vergangenen Lebenswelten über die Auswertung autobiografischer Zeugnisse erfreut sich seit geraumer Zeit auch in der Erforschung des mittelalterlichen Adels großer Beliebtheit, ermöglicht sie doch etwa im Unterschied zu prosopografischen Arbeiten mit ihren auf zumeist spröden Quellen beruhenden Angaben über die Angehörigen einer größeren sozialen Gruppe auch einen Zugang zur Selbstdeutung adligen Lebens. Die subjektive Sicht von Selbstzeugnissen birgt jedoch auch die Gefahr, den erzählerischen Strategien der Verfasser auf den Leim zu gehen, weshalb eine Überprüfung an anderen Quellen methodisch geboten ist.[1] Sven Rabeler hat sich dieser Aufgabe in seiner Kieler Dissertation am Beispiel der beiden fränkischen Niederadligen Wilwolt von Schaumberg und Ludwig von Eyb unterzogen und eine sowohl quellengesättigte als auch methodisch reflektierte Studie vorgelegt.

Ausgangspunkt und wichtigste Einzelquelle der Untersuchung ist eine Lebensbeschreibung Wilwolts von Schaumberg, die bereits 1859 von Adelbert Keller in der "Bibliothek des Literarischen Vereins" unter dem Titel "Die Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumburg" im Druck zugänglich gemacht wurde. Da die Edition jedoch nur auf der schlechteren von zwei überlieferten Handschriften beruht, hat der Verfasser die bessere, im Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrte Handschrift als Textgrundlage verwendet. Als Verfasser der "Geschichten und Taten" ist Wilwolt von Schaumbergs Schwager Ludwig von Eyb d.J. identifiziert worden. Auf der Grundlage dieses Textes werden die Lebensläufe der beiden fränkischen Niederadligen mit großer Genauigkeit rekonstruiert und dabei geschickt mit Analysen der jeweiligen sozialen Netzwerke, der ökonomischen Situation sowie der kulturellen und symbolischen Dimension adliger Existenz verknüpft.

Ein einleitendes Kapitel stellt die beiden Familien und ihre soziale Vernetzung im fränkischen Adel vor. Entsprechend der historisch-anthropologischen Grundausrichtung, die den Werken von Arno Borst und Wolfgang Reinhard verpflichtet ist [2], orientiert sich die Gliederung im Folgenden an den Lebensphasen der beiden Protagonisten.

Die Jugendzeit verbrachten beide nach einer Phase der Erziehung im väterlichen Haushalt zunächst an einem Fürstenhof, zu dem bereits intensive Beziehungen bestanden, um anschließend an fremde Fürstenhöfe zu gehen. Zu dieser Lebensphase gehörten außerdem Reisen und Pilgerfahrten sowie die Teilnahme an Turnieren und die Beteiligung an Fehden. Während Ludwig von Eyb d.J. bereits 1478 heiratete und anschließend in den Dienst Ottos II. von Pfalz-Mosbach-Neumarkt eintrat, führte Wilwolts Weg im Dienst Herzog Albrechts von Sachsen bis in die Niederlande, wo er von 1487 bis 1500 als adliger Söldnerunternehmer Karriere machte und mit den Einnahmen seine ökonomische Lage entscheidend verbesserte. In der dritten Lebensphase, die in den "Geschichten und Taten" keine Rolle mehr spielt, weil diese mit der Hochzeit Wilwolts enden, rückt dann vor allem das ökonomische Handeln der beiden Adligen innerhalb sozialer Beziehungsnetze in den Blick.

Mit der Anlage des Buches als vergleichende Parallelbiografie soll der Gefahr begegnet werden, dass von einem Einzelfall unzulässig verallgemeinernde Schlüsse gezogen werden. Diese Funktion erfüllen auch die jeweils am Ende der Kapitel zu den einzelnen Lebensphasen stehenden Passagen, in denen die gewonnenen Ergebnisse in einen größeren historischen Kontext gestellt werden. Dennoch ließ es sich angesichts der Eigenart der Hauptquelle nicht vermeiden, dass es zu einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen den Biografien kommt. So überschreitet der Umfang der Kapitel zu Wilwolt von Schaumberg diejenigen zu seinem Biografen Ludwig von Eyb d.J. um nahezu das Vierfache. Dieser Effekt wird noch durch eine der großen Stärken der Studie verstärkt. Rabeler hat in umfangreichen Archivstudien eine solche Menge an Material zu Wilwolt zu Tage gefördert, dass er die Angaben in den "Geschichten und Taten" nicht nur überprüfen, sondern in vielen Fällen erheblich erweitern konnte.

Da das Leben Ludwigs von Eyb d.J. genauer nachgezeichnet werden kann als für einen Niederadligen am Ende des Mittelalters üblich, ist der biografische Vergleich dennoch fruchtbar. Neben zahlreichen Parallelen werden auch markante Unterschiede benannt, die zwei Modelle adliger Lebenswelten erkennen lassen. Während Ludwig von Eyb zeitlebens innerhalb ausgesprochen stabiler sozialer Beziehungen agierte, war das Beziehungsgeflecht Wilwolts erheblich größeren Veränderungen unterworfen. Ähnliches gilt auch für das ökonomische Handeln, doch gehörten beide in dieser Hinsicht zur Spitzengruppe des fränkischen Niederadels. Voraussetzung für die Teilnahme an Turnieren und höfischen Festen, denen seit einiger Zeit verstärkt das Interesse der Forschung gilt, war neben der Einbindung in ein soziales Beziehungsgeflecht eben der ökonomische Erfolg, der für den Niederadel um 1500 am besten in fürstlichen Diensten - sei es in der Verwaltung oder im Krieg - zu erreichen war. Daher können die "Geschichten und Taten" auch nicht als Zeichen einer allgemeinen Krise des Adels aufgefasst werden. Vielmehr liefern sie "die Rechtfertigung eines gegenwärtigen 'Karrieremodells', das sich in Vielem als richtungsweisend für die Zukunft des Adels in der frühen Neuzeit erweisen sollte" (425).

Das nicht nur ausgesprochen gründlich gearbeitete, sondern auch sprachlich gelungene Buch wird durch einen instruktiven Anhang ergänzt, der die Grundlage der präsentierten Ergebnisse noch besser nachvollziehbar macht als es die ohnehin schon sehr dichte Belegpraxis des Autors vermag. Der Anhang enthält neben Stammtafeln und Karten auch eine Reihe von Grafiken und Tabellen zu den sozialen Netzwerken sowie den Vermögensverhältnissen und die Edition des Testaments Wilwolts von Schaumberg aus dem Jahr 1500.

Rabelers Buch ist zweifellos ein maßgeblicher Beitrag zur Geschichte des Niederadels im Spätmittelalter, da er die bisher meist nebeneinander her laufenden Stränge der Forschung aufnimmt und auf höchst gewinnbringende Weise miteinander verknüpft. Es gelingt ihm souverän, die neueren kulturhistorischen Forschungsinteressen mit sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen zu kombinieren und unser Wissen über den spätmittelalterlichen Niederadel zu erweitern. Auch wenn nicht alle Befunde neu sind, sondern teils bekannte Thesen bestätigen, ist zu wünschen, dass dieser Ansatz in der historischen Adelsforschung eine ebenso steile Karriere macht wie die beiden fränkischen Niederadligen im Fürstendienst.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Werner Paravicini: Georg von Ehingens Reise vollendet, in: Jacques Paviot / Jacques Vergier (eds.): Guerre, pouvoir et noblesse au Moyen Age. Mélanges en l'honneur de Philippe Contamine (Cultures et civilisations médiévales; 22), Paris 2000, 547-588.

[2] Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter, Frankfurt a.M. / Berlin 1973; Wolfgang Reinhard: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, München 2004.

Steffen Krieb