Rezension über:

Lyndal Roper: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung, München: C.H.Beck 2007, 470 S., ISBN 978-3-406-54047-9, EUR 26,90
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Rezension von:
Iris Gareis
Institut für Historische Ethnologie, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Iris Gareis: Rezension von: Lyndal Roper: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung, München: C.H.Beck 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/13118.html


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Lyndal Roper: Hexenwahn

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Das Buch der australischen Historikerin Lyndal Roper erschien 2004 in der englischen Originalfassung unter dem Titel "Witch Craze. Terror and Fantasy in Baroque Germany". Lyndal Roper setzt sich in ihrer Untersuchung das Ziel, in Geständnissen und Zeugenaussagen aus Hexenprozessen die Vorstellungen zum Hexenwesen, Ängste und Beweggründe der beteiligten Personen aufzuspüren. Der deutsche Untertitel "Geschichte einer Verfolgung" ist weniger zutreffend als das englische Original, da er eine historische Überblicksdarstellung der Hexenverfolgung erwarten lässt, was aber nicht dem Anliegen der Autorin entspricht. Ihr Interesse liegt vielmehr darin, eine Geschichte der Gefühle (10) während der Hexenverfolgung zu schreiben. Mit der Analyse ausgewählter Prozessakten versucht Lyndal Roper, unbewusste Aspekte zeitgenössischer Lebenswelten zu ergründen, die mit der Angst vor Hexerei verbunden waren.

Der Buchtitel "Hexenwahn", der dem englischen Original entspricht, ist etwas unglücklich gewählt. Er suggeriert einerseits eine mehr oder weniger uniforme Sichtweise der Zeitgenossen auf das Phänomen und unterstellt andererseits vor allem, dass es sich um eine wahnhafte, also krankhafte Vorstellung handelt, die der Grundlage entbehrt. Im Text verwendet Lyndal Roper dann jedoch häufig den weniger problematischen Begriff "Hexenpanik". Wie sie ja selbst darlegt, passte sich die Angst vor dem vermeintlichen Treiben der Hexen schließlich in die Vorstellungswelten der Beteiligten ein, kann deshalb nicht als Wahnvorstellung charakterisiert werden. Im Übrigen wäre einzuwenden, dass "Hexenwahn" einen Dauerzustand bezeichnet, d.h. konstant vorhanden ist, doch entsteht nicht aus jeder Hexenangst eine Verfolgungswelle.

Lyndal Roper beschreibt außerdem, wie erst allmählich während der Hexenverfolgung ein kongruentes Bild der Hexen und ihres Treibens entstand, das von Angeklagten und Anklägern im Zuge der Verhöre in Hexenprozessen gemeinsam entwickelt wurde, indem sich unbestimmte Ängste im gemeinsam ausgehandelten Hexenbild konkretisierten (89ff.). In dieser Hinsicht zeichnet Lyndal Roper eine zwar nicht identische, aber doch ähnliche Entwicklung nach, die Carlo Ginzburg schon für die Benandanti aufzeigte: Das Bild von ihnen veränderte sich unter dem Druck der Hexenprozesse. Von einer positiven Figur wandelten sich die Benandanti zu einer negativ konnotierten Vorstellung. [1]

Lyndal Roper gliedert ihr Buch in vier große Teile, die von einem Prolog und einem Epilog eingerahmt werden. Der erste Abschnitt befasst sich mit der Verfolgung, der zweite ist der Fantasie gewidmet. Ein dritter Teil diskutiert den Themenkreis Weiblichkeit und der vierte und letzte große Abschnitt trägt den Titel "Die Hexe". In ihrer Darstellung wechselt die Autorin immer wieder die Perspektive, wobei sie zwei Ebenen miteinander verbindet: Zum einen betrachtet sie die allgemeine zeitgenössische Diskussion der großen mit der Hexenverfolgung verbundenen Themen, zum andern wirft sie einen Blick auf Einzelfälle, die sie näher beleuchtet. Lyndal Ropers Untersuchung gewinnt durch diese Perspektivenwechsel von der Fern- auf die Nahsicht große Anschaulichkeit. Regionale Beispiele bilden vor allem die Reichstädte Augsburg und Nördlingen, die geistlichen Territorien Bamberg und Würzburg und das württembergische Marchtal. In allen diesen Gebieten fanden Hexenverfolgungen statt, die im Verhältnis zur jeweiligen Größe der Gebiete eine hohe Anzahl von Opfern forderten. Im Vergleich benachbarter Regionen treten die unterschiedlichen Entwicklungen der Hexenverfolgung in den verschiedenen Territorien hervor. Dennoch verliert sich die Autorin nicht in der Fülle der verschiedenen Aussagen und Ansichten zum Hexenwesen, sondern verbindet diese mit den größeren Themenkreisen.

In den beiden Unterpunkten des ersten Teils, die "barocke Landschaft" und "Verhör und Folter" betitelt sind, führt Lyndal Roper zunächst eine Reihe von Faktoren an, die bei den Verfolgungswellen vom Ende des 16. und Beginn des 17. Jahrhunderts eine Rolle spielten, wie zum Beispiel die politische Zersplitterung der betreffenden Regionen oder die klimatischen Verschlechterungen als Folge der "Kleinen Eiszeit". Im Unterkapitel über das Verhör und die Anwendung der Folter in Hexenprozessen bemüht sich Lyndal Roper die unterschiedlichen Gesichtspunkte aufzuführen, die hier zusammenfließen und die Positionen der Ankläger und Angeklagten zu untersuchen. Im Blick auf einige Einzelschicksale gefolterter Frauen erschließt sich das Grauen und die Eigendynamik der Hexenprozesse.

In den nächsten beiden großen Teilen widmet sich Lyndal Roper verschiedenen Elementen des Hexenbegriffs, wie dem Kannibalismus (Kap. III), der Teufelsbuhlschaft (IV) und dem Hexensabbat (V).

Fruchtbarkeit und Greisinnen sind die Themen der beiden Kapitel des dritten Teils. Sowohl die Vorstellung von der kannibalischen Hexe als auch die Figur des Teufels und die Ideen zur Hexenversammlung entwickelten sich erst allmählich zu dem ausgefeilten Bild, das am Ende einer Verhörserie aus den Bruchstücken verschiedener Befragungen zusammengefügt wurde. Die Vorstellung vom Teufel speiste sich offensichtlich aus unterschiedlichen Quellen. Häufig nahm seine Werbung in den Aussagen der Angeklagten märchenhafte Züge an (125ff.). Das Thema der Fruchtbarkeit steht für Lyndal Roper im Zentrum der Hexenvorstellung. Insbesondere die Ängste, die junge Mütter im Kindbett befielen, bildeten nach Roper den Kern des Hexenwahns (177). Tatsächlich befanden sich unter den Angeklagten überproportional viele alte Frauen, die nicht mehr gebären konnten. Das Merkmal der Unfruchtbarkeit verband sich in den Augen der Zeitgenossen mit der Hexenvorstellung (220ff.).

Im vierten Teil untersucht Lyndal Roper zunächst Kinderhexenprozesse und schließlich im letzten Kapitel einen Hexenprozess gegen eine schon betagte Frau um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Zeitalter der Aufklärung.

Bedauerlicherweise fehlt ein Verzeichnis der immerhin 66 Abbildungen, die zwar untertitelt sind, jedoch im Buch aufwändig gesucht werden müssen. Davon abgesehen ist die Ausgabe sehr sorgfältig gearbeitet. Ein ausführlicher wissenschaftlicher Apparat vervollständigt das Werk.

Manche Schlussfolgerungen Lyndal Ropers sind nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, wie zum Beispiel die Gefühle, die sie bei einer jungen Angeklagten auszumachen glaubt (262). Überzeugender wirkt ihre Darstellung, wenn die historische Untersuchung nicht von psychologischen Überlegungen verdrängt wird. Sehr aufschlussreich und gelungen sind die detailgenauen Schilderungen von Einzelschicksalen in Zeiten von Hexenverfolgungen. Insgesamt bietet das materialreiche Buch von Lyndal Roper eine Fülle von anregenden Gedanken und Interpretationen zu diesem immer noch erschütternden Kapitel unserer Geschichte.


Anmerkung:

[1] Carlo Ginzburg: Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert. Aus dem Italienischen von Karl Hauber, Frankfurt am Main 1980 (italien. Original 1966), 8-9, 11.

Iris Gareis