Johannes Süßmann: Vergemeinschaftung durch Bauen. Würzburgs Aufbruch unter den Fürstbischöfen aus dem Hause Schönborn (= Historische Forschungen; Bd. 86), Berlin: Duncker & Humblot 2007, 367 S., ISBN 978-3-428-12384-1, EUR 86,00
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In seiner Frankfurter Habilitationsschrift verfolgt Johannes Süßmann das Ziel, die politische Rationalität der Bautätigkeit des Fürstbischofs Johann Philipp Franz von Schönborn in der Stadt Würzburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Die Schönbornsche Baupolitik, so die zentrale These des Autors, habe sich nicht nur in Repräsentation von Macht und damit in symbolischer Politik erschöpft, vielmehr habe sich Johann Philipp Franz um eine Reformpolitik mit dem Ziel einer säkularen Gemeinschaftsbildung (18f.) bemüht. Barocke Bautätigkeit wird hier also nicht, wie es die Forschung bislang getan hat, im Hinblick auf inhaltliche Aussagen hinterfragt, sondern vielmehr erstmals soziostrukturell in den Blick genommen.
Im Kern versucht die Arbeit darzulegen, dass Johann Philipp Franz mit seiner Baupolitik eine Antwort auf die Krise der Stiftsherrschaft zu geben suchte, wie sie sich im Reich um 1700 darstellte. Dazu wird neben dem Ausbau der Stadt Würzburg zur Festung vor allem der Bau der fürstbischöflichen Residenz in seinen konkreten politischen und gesellschaftlichen Entstehungszusammenhang gerückt. Der Prozess der landesherrlichen Stadtplanung wird als entscheidender Schritt zur Egalisierung eines altständischen Untertanenverbandes aufgefasst, der in seiner Differenzierung von privaten und öffentlichen Bereichen wichtige Impulse für die Entwicklung moderner Staatlichkeit und die Etablierung einer bürgerlichen Gesellschaft gegeben habe.
Die Arbeit gliedert sich in drei inhaltlich aufeinander bezogene Fallstudien:
Im ersten Teil der Arbeit werden die "Handlungsbedingungen" eines Fürstbischofs in Form einer Strukturanalyse reichsritterschaftlicher Stiftsherrschaft ausgeleuchtet. Hier wird erörtert, worin die Probleme bestanden, auf die die fürstbischöfliche Baupolitik antwortete. Der zweite Teil, mit dem Titel "Handlungsgründe", widmet sich der Frage, warum es gerade ein Schönborn war, der über die Baupolitik eine für das Gemeinwesen zukunftsweisende Politik einleitete. Bilden die beiden ersten Teile der Arbeit das reichsrechtliche und familiengeschichtliche Fundament, so stellt der dritte Teil der Arbeit die Schönbornsche Baupolitik in Würzburg als exemplarisches "Handlungsfeld" dar. Hier wird der Deutungsansatz von Baupolitik als landesherrliche Antwort auf drängende soziale Probleme des Gemeinwesens am Einzelfall differenziert entfaltet. Davon ausgehend wird abschließend zur Frage der Tragfähigkeit der Stiftsherrschaft im 18. Jahrhundert Stellung bezogen.
Der Argumentationsgang der Arbeit ist über die drei Hauptteile hinweg konsequent auf die Schönbornsche Baupolitik ausgerichtet.
Im Sinne eines Problemaufrisses wird einleitend die politische Legitimationskrise der Stiftsherrschaft um 1700 skizziert. Der Autor macht deren Notlage vor allem an der sukzessiven Entwertung der Wahlkapitulationen fest: Aus ehemals umfassenden Selbstverpflichtungen auf das Gemeinwesen hätten sich die Kapitulationen zu eingeschränkten Verpflichtungen gegenüber einzelnen Ständen und Korporationen gewandelt; es kam zu einer Zersetzung der Stiftsherrschaft von Innen. Eide, auf denen die Stiftsherrschaft ursprünglich beruhte, wurden vertraglich säkularisiert. Dies habe seit Beginn des 18. Jahrhunderts zu einem Verlust der religiösen Legitimation geführt. Im Vordergrund habe seitdem das Austarieren wechselseitiger Herrschaftsansprüche zwischen Domkapitel und Fürstbischof gestanden.
Folglich seien die Handlungsoptionen, so das Fazit des ersten Teils, für einen Fürstbischof, der in seinem Wahlfürstentum blieb und dort aktiv werden wollte, verhältnismäßig klein geblieben. Der Wille, politisch innovativ zu werden, habe unausweichlich zu Konflikten mit dem Domkapitel als dem Hüter der Tradition geführt. Daher sei es für den Fürstbischof sinnvoller gewesen, Politikbereiche zu erschließen, die bis dahin wenig reguliert gewesen seien - so vor allem die Baupolitik.
Der Autor liefert im zweiten Teil der Arbeit mit der Konstituierung eines Schönbornschen "Familienhabitus" eine kultursoziologisch fundierte analytische Kategorie für die fürstbischöfliche Baupolitik. Im Kern werden die weitgesteckten künstlerischen Ambitionen der Schönborn damit nicht aus einem Willen zur freigebigen Kunstförderung heraus gedeutet, sondern aus dem Bewährungsdruck von Familienangehörigen, die der Herkunft nach in den rheinfränkischen Hochstiften Neuankömmlinge waren und sich als soziale Aufsteiger gegenüber den Etablierten erst durchsetzen mussten. Bereits die ersten beiden Teile der Arbeit machen deutlich, dass Bauen seinerzeit mehr war, als bloße Statusrepräsentation; es war vielmehr gleichermaßen der Lösungsversuch einer verfassungsrechtlichen Krise wie auch Movens aktiver familiärer Herrschaftssicherung.
Der dritte und letzte Teil der Arbeit bezieht diese Erkenntnisse konkret auf das Würzburger Bauschaffen. Er stellt nichts geringeres als eine moderne Kulturgeschichte der fürstbischöflichen Stadtplanung Würzburgs unter Johann Philipp Franz von Schönborn dar. Wer die bisherige (kunst-)historische Forschungsliteratur, insbesondere zum Residenzbau, kennt, wird hier überrascht durch einen gänzlich neuen Blickwinkel: Die barocke Neugestaltung des urbanen Raums wird nicht mehr lediglich in der absolutistischen Lesart als Akt der Sozialdisziplinierung und Demonstration landesherrlicher Größe verstanden, sondern als rationales politisches Handlungskonzept zum Umbau der altständischen Gesellschaftsordnung. Dazu geht Süßmann über das bis dato gängige Interpretationsmuster von der Residenz als Denkmal der Schönborn-Familie hinaus und konturiert den Schlossbau als Dreh- und Angelpunkt zur Neuordnung des Gemeinwesens.
Dazu präsentiert der Autor als Schlüsselquellen neben einem schriftlichen Gutachten Balthasar Neumanns zur Würzburger Stadtplanung und einer landesherrlichen Bauordnung, welche die Gestalt der neuen Fassaden und Straßen zu regulieren suchte, mit einer großformatigen Stadtansicht in Form eines Thesenblattes auch eine herausragende bildliche Quelle, welche im Sinne einer Huldigung den Landesherrn als Planer und Bauherrn feiert.
Kunstwissenschaftlich versiert und stilistisch elegant führt der Autor den Leser durch seine Argumentation und kann aufzeigen, dass die fürstbischöfliche Baupolitik aus dem Bedürfnis Johann Philipp Franzens entsprang, eine "schädliche Deformität" (280) von seinem Fürstbistum abzuwenden. Gegen den Zerfall im Inneren suchte er das Gemeinwesen architektonisch, rechtlich und sozial auf eine neue Grundlage zu stellen. Sicherheit, Gemeinwohl und öffentlicher Nutzen waren die Prämissen staatlicher Bauaufgaben und behördlicher Normierungen. Die Sorge um die gestalterische Einheitlichkeit der neuen Stadthäuser war dabei nicht nur dem Bedürfnis nach barocker Regularität geschuldet. Sie erwuchs vielmehr aus dem Willen, die aufkommenden gesellschaftlichen Konflikte zwischen der altständischen und der neuen höfischen Elite der Stadt zu harmonisieren.
Unter dem Strich ging es dem Fürstbischof damit weniger um eine absolutistische Machtgeste oder barocke Prachtentfaltung, als vielmehr um eine Versachlichung und Professionalisierung der Baupolitik im Dienste des Gemeinwesens und damit letztlich um eine Rationalisierung von Herrschaft. Diese habe, so Süßmanns abschließende Überlegung, durch eine Normierung und Ausdifferenzierung des öffentlichen und privaten Stadtraums sogar erste Impulse für das Entstehen einer bürgerlichen Gesellschaft enthalten und damit über ihre Zeit hinausgewiesen.
Auch wenn der Autor im Fazit konstatiert, dass die zukunftsweisende Baupolitik die Stiftsherrschaft letztlich nicht retten konnte, da es dem Gemeinwesen dazu an politischer Selbstständigkeit gefehlt habe (311), so zeigt die auf einen gesamtgesellschaftlichen Wandel zielende Baupolitik, welche die Schönborn in Würzburg nach 1700 ins Werk setzten, doch die ausgesprochene Reformwilligkeit und die politische Gestaltungskraft, die in den geistlichen Territorien des Reichs - entgegen aller damaligen und späteren Abgesänge - vorhanden war.
Dies detailliert und quellengesättigt herausgearbeitet zu haben, ist Süßmanns Verdienst. Es gelingt ihm anschaulich und klar über die bislang verengten und revisionistischen Deutungsmuster vom rückständigen, aber dennoch kulturell "blühenden" geistlichen Staat hinauszugehen und der fürstbischöflichen Baupolitik jenseits pauschaler Werturteile vom "Himmel auf Erden oder Teufelsbauwurm" eine klare politische Rationalität zu verleihen. Damit ist eine Fallstudie entstanden, welche die sozialstrukturelle Perspektive herrschaftlichen Bauens zum ersten Mal aus fürstlichem Blickwinkel - also von oben herab - konkret konturiert. Sie dürfte für weitere Bemühungen in dieser Hinsicht wegweisend sein.
Lars Reinking