Guido Metzler: Französische Mikropolitik in Rom unter Papst Paul V. Borghese (1605-1621). Vorgelegt von Wolfgang Reinhard (= Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Bd. 45), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2008, 165 S., ISBN 978-3-8253-5427-5, EUR 24,00
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Seit Ende der 1990er Jahre erscheinen in erfreulich rascher Folge grundlegende Studien zur römischen Mikropolitik im Pontifikat Pauls V. Sie entstammen der Schule von Wolfgang Reinhard und fußen teilweise auf den vom Meister schon seit 40 Jahren gesammelten Quellenmaterialien, die in Form von etwa 60 000 Zetteln seit 2005 als Depositum im Archiv des Deutschen Historischen Instituts in Rom aufbewahrt werden. Aber Reinhards Schüler gingen durchaus noch viel weiter, unterzogen sich selbst umfangreichen Archivstudien und legten die Frucht ihrer Reflexionen in einer beeindruckenden und überzeugenden Reihe von Publikationen vor, die vom Sammelband bis zur Habilitationsschrift reicht. Neben der grundlegenden Untersuchung von Birgit Emich über "Bürokratie und Nepotismus unter Paul V." [1] und Martin Fabers Monographie zur Mikropolitik des Kardinalprotektors Scipione Borghese [2] wurden so die mikropolitischen Beziehungen Roms unter anderem zu Spanien, Mailand, Genua, Perugia, Florenz, Ferrara und Bologna detailliert erforscht.
Es ist zuzugestehen, dass die Voraussetzungen durchaus günstig waren und die Zeit Pauls V. nicht nur durch die Reinhard-Schule nun zu den am besten erforschten Pontifikaten der Papstgeschichte gehört. Ihre Forschungen zur Verflechtung und zur Mikropolitik bilden jedoch unzweifelhaft ein Kernstück unserer Kenntnisse über den Kirchenstaat unter Paul V. und illustrieren darüber hinaus die Bedeutung dieser Forschungskonzepte für die frühneuzeitliche europäische Geschichte, auch jenseits seiner Grenzen. Wolfgang Reinhard selbst definiert Mikropolitik als den "mehr oder weniger planmäßige[n] Einsatz eines Netzes informeller persönlicher Beziehungen zu politischen Zwecken, wobei die Besetzung einer Stelle oder der Rang ihres Inhabers in der Regel sehr viel wichtiger ist als das, was diese Person anschließend treibt".[3] Daraus resultiert ein überaus komplexes Verhältnis zwischen Mikro- und Makropolitik, das ein zugleich schwieriges wie wichtiges Untersuchungsfeld der vorgelegten Studien bildet.
Dieses Problems nimmt sich auch Guido Metzler in seiner soliden kleinen Monographie zur französischen Mikropolitik in Rom unter Paul V. an. Metzler ist auf diesem Feld ein erfahrener Spezialist, denn ihm verdanken wir bereits die gelungene Untersuchung der römischen Mikropolitik gegenüber Neapel. Frankreich bildet einen mikro- wie makropolitisch gleichermaßen hochinteressanten Gegenpart zu Spanien und seiner Herrschaftssphäre in Italien, zu der Neapel gehörte. Es handelte sich um die beiden Hauptkontrahenten im bourbonisch-habsburgischen Antagonismus, der für das europäische Mächtegefüge im 17. Jahrhundert prägend war. Die strukturellen mikropolitischen Voraussetzungen, von denen Frankreich und Spanien gegenüber dem Heiligen Stuhl in Italien ausgehen konnten, hätten dabei kaum unterschiedlicher sein können. Spanien vermochte von einer soliden Basis aus zu operieren und konnte seinen Gefolgsleuten in Rom, gemäß dem Prinzip 'do ut des', Vieles anbieten. Frankreichs Möglichkeiten waren gering, im Grunde genommen war es aus römischer Sicht mikropolitisch ein wenig attraktiver Partner. Dennoch versuchte es sich am erfolgreichen spanischen Vorbild zu orientieren.
Metzler folgt methodisch der oben zitierten Definition Reinhards und betrachtet dabei die mikropolitischen Beziehungen zwischen Paris und Rom vorwiegend von der französischen Perspektive ausgehend, weil es eine römische Mikropolitik in Frankreich aufgrund der geringen dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen nur fragmentarisch gegeben habe. Im Mittelpunkt des ersten Kapitels stehen die "Akteure der französischen Rompolitik", das heißt die französischen Monarchen, ihre Minister und Diplomaten sowie die französischen Kardinäle und Kurialen. Das zweite Kapitel befasst sich mit den Mitteln, welcher sich die französische Patronage bedienen konnte. Im Wesentlichen handelte es sich um (bereits zeitgenössisch hinsichtlich ihrer politischen Wirksamkeit umstrittene) Pensionen, Orden und Ämter, daneben auch Heiraten und familiäre Bindungen.
Das dritte Kapitel bildet das Kernstück der Arbeit: Hierin werden die französischen Beziehungsnetze in Rom entschlüsselt. Der Verfasser steigt in den acht überzeugend strukturierten Unterkapiteln dabei von der Papstfamilie über die Klientel und die Mitarbeiter des Papstes sowie des Kardinalnepoten, die Faktionen Aldobrandinis und Montaltos, die ehemaligen Nuntien, die italienischen Kardinäle und Prälaten bis zum stadtrömischen Adel hinab. Dadurch, dass diese Gruppen strikt getrennt voneinander behandelt werden, wirkt die Darstellung teilweise monoton, sie gewinnt jedoch an Klarheit und Überzeugungskraft. Formen, Ziele, Möglichkeiten und Ergebnisse der französischen Mikropolitik werden dergestalt im Hinblick auf jede einzelne Gruppe minutiös nachgezeichnet. Gerade dadurch wird auch das Novum deutlich, dass sich Frankreich erst unter Paul V. auch dem römischen Adel zuwandte.
Kapitel 4 behandelt schließlich die einzelnen Phasen der Rompolitik Frankreichs zur Zeit Pauls V. und dabei namentlich das Verhältnis zwischen Makro- und Mikropolitik. Beides, so betont Metzler schon einleitend, sei selbstverständlich nicht scharf voneinander zu trennen. Zur Untersuchung dieser Fragen zieht er hauptsächlich die Korrespondenzen der französischen Botschafter in Rom und der Nuntien am Königshof heran. Welche Bedeutung den mikropolitischen Beziehungen zukam, belegt schon die von Metzler recherchierte Tatsache, dass diese Korrespondenzen mehrheitlich personale Verflechtungen betrafen.
Die Studie setzt zu einer Zeit ein, als die innere Konsolidierung Frankreichs nach den Religionskriegen unter Heinrich IV. seine Rückkehr unter die europäischen Großmächte ermöglichte. In diesem Kontext war die Kurie - und dabei der Aufbau einer frankophilen Klientel in Rom - ein wichtiger Faktor. Die politischen Hoffnungen, die man von französischer Seite auf die eigenen Pensionäre in Rom setzte, wurden freilich oftmals enttäuscht. Viele wollten sich bei öffentlichen Anlässen nicht einmal als Frankreich verbunden zu erkennen geben. Selbst Maffeo Barberini, von 1604-1607 Nuntius in Paris, ließ Zurückhaltung walten und lehnte eine französische Pension sogar ab, obwohl Heinrich IV. seine Kardinalspromotion gefördert hatte. Im Nachhinein konnte dieser Schachzug jedoch noch Früchte tragen, als Barberini 1623 selbst zum Papst gewählt wurde (Urban VIII.). Zu Begin des Pontifikats Pauls V. vermochte Frankreich seine strukturellen Nachteile gegenüber Spanien teilweise auszugleichen und seine Klientel in Rom deutlich auszubauen. Sein Einfluss erodierte jedoch im Verlauf der Herrschaftszeit dieses Papstes. Dennoch habe Paul V., so urteilt Metzler, Spanien makropolitisch keineswegs ebenso deutlich bevorzugt wie hinsichtlich der Patronageleistungen. Metzler vermutet, dass dabei auch die französische Mikropolitik eine Rolle gespielt haben "dürfte" (159).
Am Ende des Buches hätte man vielleicht in dieser Hinsicht ein dezidierteres Urteil des Verfassers erwartet. Dieser punktuelle Einwand wiegt jedoch wenig, wenn man bedenkt, welch sauber recherchierter und überzeugend formulierter Beitrag hier als Baustein des von Reinhard geleiteten DFG-Projekts "Das europäische System römischer Mikropolitik 1605-1621" vorgelegt wurde. Der Vergleich mit den Untersuchungen Hillard von Thiessens zu Spanien verdeutlicht, welch eklatanten mikropolitischen Vorsprung in den ersten beiden Dekaden des 17. Jahrhunderts Spanien vor Frankreich in Rom besaß.
Anmerkungen:
[1] Birgit Emich: Bürokratie und Nepotismus unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Rom, Stuttgart 2001 (Päpste und Papsttum 30). Vgl. die Rezension von Nicole Reinhardt, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 3; URL: http://www.sehepunkte.de/2002/03/2904.html
[2] Martin Faber: Scipione Borghese als Kardinalprotektor. Studien zur römischen Mikropolitik in der frühen Neuzeit, Mainz 2002 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 204). Vgl. die Rezension von Sven Externbrink, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12; URL: http://www.sehepunkte.de/2006/12/9540.html
[3] Wolfgang Reinhard: Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 76 (1996), 308-334, hier 312.
Guido Braun