Rezension über:

Catherine Mayeur-Jaouen / Bernard Heyberger: Le corps et le sacré en Orient musulman (= Revue des mondes musulmanes et de la Méditerranée; 113-114), Aix-en-Provence: Éditions Édisud 2006, 383 S., ISBN 978-2-7449-0624-4
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Rezension von:
Albrecht Fuess
Universität Erfurt / Université François Rabelais, Tours
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht Fuess: Rezension von: Catherine Mayeur-Jaouen / Bernard Heyberger: Le corps et le sacré en Orient musulman, Aix-en-Provence: Éditions Édisud 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10 [15.10.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/10/15054.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 8 (2008), Nr. 10

Catherine Mayeur-Jaouen / Bernard Heyberger: Le corps et le sacré en Orient musulman

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Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bestimmten schwülstige Haremsbilder samt Sarroti Mohr das Bild, das sich Europäer von der Körperlichkeit der Muslime machten. Heute jedoch zeichnet man sie als leibfeindlich. Männer mit langen Bärten und verschleierte Frauen geraten ins Blickfeld. Das öffentliche Image bestimmen daher momentan die Diskussion um Terrorismus und die angebliche gescheiterte Integration muslimischer Migranten.

Wie stehen gläubige Muslime aber nun wirklich zu ihrem Körper und welchen Richtlinien folgen sie dabei? Um diesen Themenkomplex umfassend darzustellen, haben Catherine Mayeur-Jaouen und Bernard Heyberger einen thematischen Sammelband zum Körper und dem Heiligen im islamischen Orient herausgebracht, zu dem vor allem französische Historiker und Anthropologen beigetragen haben.

Die Beiträge des Bandes gliedern sich unter vier Kapitelüberschriften. Im ersten Teil Défenitions, normes, modèles wird die Frage der Definitionen der Körperlichkeit im Islam vor allem aus historischer Perspektive und an Hand der normativen Texte diskutiert. Anschließend folgen Beiträge zu Ritualen und zum Umgang mit dem Tod, bevor im vierten und letzten Abschnitt dem Aspekt nachgegangen wird, wie sich der Umgang mit dem Körper in der Moderne vor allem in Hinsicht auf den sakralen Bereich verändert hat. Insgesamt finden sich sechzehn Beiträge in dem Buch, darunter zwei, die sich mit körperlichen Phänomenen bei orientalischen Christen befassen. Gerade diese beiden Beiträge von Bernard Heyberger zum Fasten der Christen im Orient (267-285) und von Chantal Verdeil zum Leidensmythos einer maronitischen Heiligen des 19. Jahrhunderts (247-264) schärfen den Blick dafür, dass neben religiösen Thematiken auch kulturgeschichtliche und regionalspezifische Fragen eine Rolle spielen. Verehrung des Körpers eines Heiligen, Verschleierung von Frauen, und ähnliche Phänomene finden sich bei orientalischen Christen ebenso wie bei ihren muslimischen Nachbarn.

Eine zentrale Rolle nimmt bei den Muslimen der Körper des Propheten Muḥammad ein. Viele Muslime wollten und wollen wie der Prophet aussehen und sich wie er verhalten, um Gott möglichst nahe zu sein. Annemarie Schimmel spricht in diesem Zusammenhang gar von einer imitatio Muhammadi.[1]

Folgerichtig beginnt der Band mit einem Beitrag von Denis Gril zum Körper des Propheten (37-57). Im Koran steht wenig zu körperlichen Eigenschaften der Propheten. Sie seien aber eindeutig Menschen, die essen und trinken würden wie andere Menschen auch und von Engeln deutlich unterschieden (39). Die besonderen Eigenschaften des Propheten Muḥammad spielen daher vor allem in den Hadithsammlungen eine Rolle. Dort wurde die Lebensführung (sunna, wörtl. Brauch) des Propheten wiedergegeben, bis hin zu den kleinsten Details seiner Zahnpflege und intimen Angewohnheiten aus seinem Schlafzimmer. Die Muslime der Frühzeit sammelten diese Auskünfte der Zeitgenossen über das Leben des Propheten, da sie dachten alles über ihn wissen zu müssen, um - sich an seinem Beispiel orientierend - ein gottgefälliges Leben zu führen. Den Körper des Propheten stellten sie in den Mittelpunkt einer Heiligenverehrung. Sein Grab in der Moschee von Medina ist bis heute ein bedeutender Kultort, auch wenn die saudischen Wahhabiten diese Venerationen heutzutage sehr stark einschränken. Laut der hagiographischen Literatur (41) zeigt sich die Auserwähltheit des Propheten auch schon zu dessen Lebzeiten, etwa durch das berühmte Lichtwunder, als er noch im Bauch seiner Mutter einen Lichtstrahl ausschickte, der die Schlösser Syriens illuminierte. (41) Sein Körperbau soll ziemlich genau den Durchschnitt repräsentiert haben, weder sei er klein noch groß, sein Hautfarbe weder hell noch dunkel gewesen sein. Seine Zeitgenossen versuchten seinen Segen (baraka) zu erreichen, indem sie ihn berührten oder Haare aufsammelten, worauf der Prophet verwundert reagiert haben soll.

Bis heute wird in der islamischen Welt heiß diskutiert, was Mann oder Frau von seinem Körper öffentlich herzeigen darf. Der Prophet selber soll sich seinen Frauen auch privat nicht nackt genähert haben. Muslimische Gelehrte streiten schon lange um das richtige Auftreten in der Öffentlichkeit. Mit diesem Thema setzt sich der Beitrag (109 - 123) von Eric Chaumont auseinander. Konsens scheint zu sein, dass sich Männer zwischen Nabel und Knien zu bekleiden haben. Frauen sollten sich komplett verhüllen, Ausnahmen sind dabei nur das Gesicht, die Hände und die Füße, deren Verhüllung frei gestellt wurde.

Weitere Themen des Bandes drehen sich um die teils blutigen schiitischen Trauerzeremonien am Gedenktag des Martyriums des Prophetenenkels Ḥusayn in Geschichte und Gegenwart und um die Rolle die Tanz und Körperbeherrschung im Islamverständnis der Sufis spielen. Zentraler Aspekt ist dabei die Heiligenverehrung der Sufis, die meist früheren Sufimeistern gilt. Dabei gehen sowohl vom lebenden als auch vom toten Heiligen Wunderkräfte aus. Integraler Bestandteil ist dabei die Verehrung der Gräber, die in zahlreichen Prozessionen begangen wird. Orthodoxe sunnitische Muslime lehnen diese rigoros ab und stützen sich dabei auf die Schriften des syrischen gelehrten Ibn Taymīya (gest. 1328).

Es wurden aber nicht nur Körper von Sufi-Heiligen verehrt. Nicolas Vatin beschreibt in seinem Artikel (213 -227) den Kult um den Osmanischen Sultan. Dessen Körper wurde zuweilen lebend stärker verehrt als nach seinem Tod.

Wesentlich sind für den Band anthropologische Fragestellungen, die das islamische Körperverständnis in regionale Kontexte einordnen. Beispielsweise beschreibt Hanne Schönig die Schönheitspraktiken jemenitischer Frauen (167-177). Sehr wichtig sind diese bei Hochzeiten und Geburten. So wird die Schmückung der Frau mit Henna als rite de passage beim Umzug vom Elternhaus ins Haus des Ehegatten eingesetzt. Tatoos dienen bei Bedouinenfrauen als Zeichen der erwachsenen ehrbaren Frau und ersetzen den Schleier. Interessant ist dabei auch zu beachten, dass Tatoos von orthodoxen islamischen Gelehrten eigentlich als Körperverstummelung abgelehnt werden.

Abgeschlossen wird der Band durch Beiträge, die sich mit ändernden Einstellungen zum Körper im sakralen Bereich beschäftigen. Catherine Mayeur-Jaouen setzt sich mit der Reform der Pilgerpraktiken im zeitgenössischen Ägypten auseinander. Die islamischen Reformer ab dem 19. Jahrhundert lehnten die Pilgerfahrten zu Heiligengräbern rundweg ab und setzten sich für eine klare Trennung des Heiligen vom Profanen ein. "L'idée dominante qui caractérise la pensée de 'Abduh, de Riḍâ et de leurs nombreux épigones est une volonté de rationalisation du sacré. Il faut dissocier sacré et profane, dissocier le Coran et les cheikhs de la danse et des tavernes, séparer les tombes de la vie, les hommes des femmes" (315). Um diesen immer lauter werdenden Kritiken zu begegnen, stellen die Veranstalter von Pilgerfahrten heutzutage immer mehr Verhaltensregeln für das korrekte islamische Benehmen während eines Pilgerfestes auf. Zunehmend werden Frauen ausgeschlossen, um die oft kritisierte Mischung der Geschlechter zu verhindern. Mayeur-Jaouen sieht hier vor allem eine Übernahme der Normen der urbanen Mittelschicht durch die ungebildete Landbevölkerung, die Träger dieser Feste ist. Sie führt weiterhin aus, dass diese modernen Normen sich vor allem während der europäischen Kolonialzeit entwickelt haben. So beschreibt eine französische Quelle des 19. Jahrhunderts, dass die schlimmsten Bräuche der Heiligenfeste jetzt verschwinden würden, seit sich Ägypten der europäischen Zivilisation geöffnet habe. Insofern ist eine zunehmende rigorose Einstellung zum Körper in der islamischen Welt auch ein Produkt des europäischen Puritanismus des 19. Jahrhunderts.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Herausgeber hier einen sehr guten thematischen Sammelband zusammengestellt haben, der den aktuellen Wissenstand enthält und dem auch außerhalb Frankreichs viele Leser zu wünschen sind.


Anmerkung:

[1] Annemarie Schimmel: Und Muhammed ist Sein Prophet. Die Verehrung des Propheten in der islamischen Frömmigkeit, 2. Aufl. München 1989, 50.

Albrecht Fuess