Rezension über:

Dorothy Johnson (ed.): Jacques-Louis David. New Perspectives, Newark, DE: University of Delaware Press 2006, 178 S., ISBN 978-0-87413-930-3, EUR 59,00
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Rezension von:
Claudia Hattendorff
Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Claudia Hattendorff: Rezension von: Dorothy Johnson (ed.): Jacques-Louis David. New Perspectives, Newark, DE: University of Delaware Press 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/10982.html


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Dorothy Johnson (ed.): Jacques-Louis David

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Bei dem von Dorothy Johnson betreuten Band handelt es sich um eine Sammlung von Beiträgen, in denen die Karriere Jacques-Louis Davids nach ihren wesentlichen Stationen behandelt wird.

So soll in Robert Rosenblums Text die Beziehung Davids zu seinem Lehrer Vien neu gedeutet werden, und zwar in Anlehnung an die psychologisierende Betrachtung der Lehr- und Arbeitsgemeinschaft in Davids Atelier, wie sie Thomas Crow in seinem Buch "Emulation. Making Artists for Revolutionary France" von 1995 vorgetragen hatte. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass David in seinem Frühwerk mitnichten dem klassizistischen Vorbild seines Meisters folgte, sondern dieses Idiom erst später entscheidend weiterentwickelte, wird das Verhältnis des Schülers zu seinem Lehrer in den 1770er Jahren als aggressive Abgrenzung interpretiert, eine Abgrenzung, die die Grundlage für Davids Usurpation des klassizistischen Stiles in den 1780er Jahren gewesen sei.

Christopher Johns Aufsatz zu Davids römischen Erfahrungen streicht die Bedeutung des zeichnerischen Œuvres Davids aus dieser Zeit für den Nachvollzug seiner künstlerischen Entwicklung heraus und betont die Rolle, die eine ausgewogene, das heißt Kopf und Körper gleichermaßen berücksichtigende Darstellung des Menschen für die Entwicklung des Klassizismus David'scher Prägung besessen habe.

Hubertus Kohle betrachtet die kritische Phase in Davids Karriere nach dessen Rückkehr aus Rom und stellt die immer wieder kontrovers diskutierte Frage nach einer möglichen politischen Aussage der vorrevolutionären Werke des Künstlers. Im Falle des "Belisarius", der "Horatier" und des "Brutus" plädiert der Autor dabei für eine differenzierte Sicht, bei der "politisch" nicht notwendig als antimonarchisch verstanden und Patriotismus im Sinne Rousseaus, d.h. als vormodern und nunmehr ersetzt durch partikulare private Interessen, interpretiert wird.

Johnsons Beitrag zu Davids Verhältnis zur Literatur erläutert dessen selbstständige Verarbeitung literarischer Vorlagen und führt aus, dass David häufig Momente darstellt, die in diesen Vorlagen nicht erwähnt werden, die er vielmehr in Übereinstimmung mit der Aussage dieser Vorlagen hinzuerfunden hat. Mary Sheriffs Erörterung des Verhältnisses von David zu seinen zeitgenössischen Künstlerkolleginnen mit besonderer Berücksichtigung Elisabeth Vigée-Lebruns weist auf die Beziehungen hin, die eine Betrachtung der Porträtkunst beider Künstler erkennen lässt. David Carrier referiert und kommentiert neuere politische Interpretationen der "Horatier" und des "Brutus" und bezieht sich dabei insbesondere auf die Forschungen von Thomas Crow. Helen Weston beschreibt die Wichtigkeit des Zeugen und der Zeugenschaft für Konzeption und Ikonografie der revolutionären Bilder Davids. Ein zweiter Beitrag von Dorothy Johnson zeichnet Stationen von Davids Karriere unter der Herrschaft Napoleons nach.

Beth Wright schließlich analysiert das Bild Davids in der Kunstkritik der Restaurationszeit, das vor Davids Tod im Jahre 1825 in künstlerischer wie politischer Hinsicht von ausgesprochener Parteilichkeit gekennzeichnet gewesen sei. Nach 1825 seien Künstler und Werk dann zu Repräsentanten Frankreichs im Wandel der Zeiten vom Ancien Régime über die Zeit der Revolution und das Empire Napoleons I. mutiert.

In ihrer Einleitung zu dieser Sammlung von Beiträgen erklärt Johnson Zweck und Ziel der Publikation: "The current volume provides a further step in the direction of nuanced thinking about David's art and brings to light new evidence concerning the artist, his legacy, and the culture in which he lived and worked." (36) und: "These collected essays on David demonstrate that this dynamic figure can no longer be viewed within the limiting framework of a static neoclassicism, for he not only created modern political compositions for contemporary regimes from the Revolution to the end of the Empire, but also his vision of classical antiquity itself came to be informed by contemporaneous interest in scientific discoveries concerning human psychology and physiology." (36)

Nun sind die vorgetragenen Ergebnisse zum größeren Teil mitnichten neu, sondern wurden von den einzelnen Autoren vielmehr schon in anderen Zusammenhängen veröffentlicht. Die Sammelschrift ist also weniger eine Plattform, auf der "new perspectives" im Sinne von Novitäten präsentiert werden, als eine Zusammenfassung neuerer Forschungen zu diesem herausragenden Vertreter der französischen Schule. Damit bekommt das Buch den Charakter einer Einführung in das Werk Davids und die rezente Forschung zu diesem Künstler, eine Einführung, wie sie vor nicht allzu langer Zeit auch von Warren Roberts auf der einen und Simon Lee auf der anderen Seite vorgelegt wurde. [1] Gegenüber diesen beiden Büchern von 1989 respektive 1999 hat das von Johnson herausgegebene sicher den Vorteil, dass durch die Vielzahl der Beiträger unterschiedliche Perspektiven und Methoden präsentiert werden.

Kritisch anzumerken bleibt, dass der einführende Charakter der Texte zwei Nachteile mit sich bringt: Es werden viele Umstände und Zusammenhänge referiert (aufgrund der Tatsache, dass sich mehrere Autoren mit ein und denselben Werken befassen, durchaus auch mehrfach), die dem schon eingeweihten Leser längst bekannt sind. Und: Die Autoren verweisen in ihren Fußnoten bevorzugt auf englischsprachige Literatur, während französisch- oder gar deutschsprachige Texte unterrepräsentiert sind (so findet etwa Jörg Traegers facettenreiche Untersuchung zum "Marat" von 1986 selbst in der Auswahlbibliografie keine Erwähnung).

Neben diesen grundsätzlichen Anmerkungen seien hier nur zwei konkrete Kritikpunkte zu einzelnen Beiträgen geäußert. Erstens: Dorothy Johnson ist durch ihre Monografie "Jacques-Louis David. Art in Metamorphosis" von 1993 zweifelsohne besonders ausgewiesen, für ein solches Unterfangen wie das hier vorliegende als Herausgeberin zu fungieren und neben den erwähnten zwei Beiträgen auch eine umfangreiche Einleitung zu diesem Werk beizusteuern. Es gilt aber anzumerken, dass die Autorin dabei von einer schon etwas zurückliegenden Beschäftigung mit dem Künstler zehrt und neuere, relevante Forschungen nicht inkorporiert. Dies zeigt sich insbesondere bei ihrem Beitrag mit dem Titel "David and Napoleonic Painting", in dem Napoleons Kunstadministrator Vivant Denon sicher eine zu kleine Rolle spielt. Die große Ausstellung "L'Œil de Napoléon" zu Denon in den Jahren 1999 und 2000 im Louvre sowie die gleichzeitige Publikation seiner inzwischen auch online zugänglichen administrativen Korrespondenz durch Marie-Anne Dupuy, Isabelle le Masne de Chermont und Elaine Williamson haben eine neue, in Johnsons Text nicht berücksichtigte Grundlage für die Beurteilung des offiziellen Wirkens Davids unter Napoleon geschaffen. [2] Diese macht deutlich, wie unglücklich David im Rahmen eines Kunstsystems operierte, das unter Führung Denons auf einheitliche Preise und die Mechanismen des Kunstmarktes setzte, die Sonderrolle eines "premier peintre" und schwerfällige Auftragskunst hingegen nicht privilegierte.

Zweitens: David Carriers Beitrag "Was David a Revolutionary before the Revolution? Recent Political Readings of The Oath of the Horatii and The Lictors Returning to Brutus the Bodies of His Sons" ist ein Ärgernis. Aus der ersten Fußnote des Beitrages geht hervor, dass der Aufsatz ursprünglich in anderer Form erschienen ist, und zwar unter dem Titel "The Political Art of Jacques-Louis David and his Modern-Day American Successors". In der vorliegenden Form spielt die Anwendung des historischen Falls David auf die amerikanische Gegenwartskunst verständlicherweise keine Rolle, doch sind die geäußerten Gedanken ohne diesen Ausblick wenig erhellend. Die allzu schlichten Ausführungen des Autors zum Modernismus (Modernismus sei die Darstellung zeitgenössischer Geschehnisse und Themen in der Kunst; der David des "Ballhausschwures" wäre also ein Modernist, derjenige der "Horatier" nicht) und zur möglichen Aktualität der Historienmalerei (in der die Vorstellung eines exemplum virtutis keine Rolle spielt) wären wohl besser dem Rotstift der Herausgeberin zum Opfer gefallen.

Was also bleibt? "Jacques-Louis David. New Perspectives" ist eine anglozentrische Einführung in die Beschäftigung der Kunstgeschichte mit Leben und Werk Davids. Nur vereinzelt werden neue Erkenntnisse und Funde präsentiert (so etwa die in einem Appendix edierten Notizen des Bildhauers und Autors Théophile Bra zu David, die Jacques de Caso in einem Epilog kommentiert). Der informierte Leser wird ob der versprochenen "new perspectives" sicher weitgehend enttäuscht, der Novize hingegen kann sich kompetent, wenn auch mit Abstrichen (siehe oben) informiert sehen. Auf jeden Fall aber wird er andere Werke zu David, etwa den Katalog der großen Ausstellung im Louvre zum Bicentennaire der Französischen Revolution 1989, zur Hand nehmen müssen, um sich die Werke des Künstlers vor Augen führen zu können - die Abbildungsqualität in dem vorliegenden Buch nämlich ist durchweg eher mittelmäßig.


Anmerkungen:

[1] Warren Roberts: Jacques-Louis David. Revolutionary Artist, Chapel Hill u.a. 1989; Simon Lee: David, London 1999.

[2] Ausst.-Kat. Dominique-Vivant Denon - l'œil de Napoléon, Paris, Musée du Louvre, 20. Oktober 1999 - 17. Januar 2000, Paris 1999; Vivant Denon, directeur des musées sous le consulat et l'Empire, Paris 1999.

Claudia Hattendorff