Jens Foken: Im Schatten der Niederlande. Die politisch-konfessionellen Beziehungen zwischen Ostfriesland und dem niederländischen Raum vom späten Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert (= Historia profana et ecclesiastica. Geschichte und Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Moderne; Bd. 14), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, XII + 537 S., ISBN 978-3-8258-9428-3, EUR 49,90
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Im Zentrum dieser Kölner Dissertation steht das Territorium Ostfriesland im Spätmittelalter und der Frühmoderne, das in vieler Hinsicht eine untypische Verfassungsentwicklung genommen hat, wobei die Beziehungen zu den niederländischen Nachbarn im Westen nicht ursächlich für diesen 'Sonderweg' waren. Wichtiger war die Einbettung in den friesischen Kulturraum, der von Nordholland bis Schleswig reichte. Eine reguläre Feudalität bildete sich hier nicht aus, vielmehr erhielt sich bis in die Frühmoderne eine Clanstruktur, wie sie ähnlich auch im frühmodernen Schottland zu beobachten ist. Die Anführer großer Bauernsippschaften regierten das Land als 'Häuptlinge', der Aufstieg der Familie Cirksena im 15. Jahrhundert zur reichsgräflichen Würde und Landesherrschaft war eher ein Versehen und wurde weit weniger anerkannt als die fürstliche Herrschaft in anderen Reichsterritorien.
"Großfriesische Pläne" - so die Überschrift für Fokens ersten Hauptteil - konnten vor diesem Hintergrund nicht erfolgreich sein. Andere Landesherren brachten die westlichen (Bischof von Utrecht, später die Habsburger) und die östlichen friesischen Gebiete (Herzöge von Holstein) unter ihre Kontrolle. Eine Übernahme des ostfriesischen Mittelteils durch die Kurfürsten von Sachsen scheiterte zu Beginn des 16. Jahrhunderts nur knapp, trotz der kaiserlichen Unterstützung.
Die fragile Landesherrschaft wurde während der ersten drei Viertel des 16. Jahrhunderts durch den Konfessionskonflikt ebenso beeinträchtigt wie durch innerfamiliäre Streitigkeiten. Das lutherische Bekenntnis setzte sich demzufolge - wie Foken im zweiten Hauptteil zeigt - als Basisprozess im Lande durch, ohne dass die Grafen wirkungsvolle Gegenmaßnahmen hätten durchführen können. Sie traten selbst zum Luthertum über, ohne dadurch ihre Herrschaft verdichten zu können.
Die Zäsur des Jahrs 1571, mit dem Foken den dritten Hauptteil beginnen lässt, überzeugt nicht ganz. Vorher wie nachher war Ostfriesland zunächst mit protestantischen Glaubensflüchtlingen aus den Niederlanden konfrontiert; auch nach der Etablierung der niederländischen Republik blieb die Grafschaft auf das Engste in den Konflikt im Nachbarland einbezogen. Die Grafen waren den Drohungen aller Kriegsparteien ausgesetzt, die alle dort Soldaten warben und gelegentlich militärische Einheiten zur Rekreation ins Territorium einmarschieren ließen. Die Landesherrschaft verlor jegliche Glaubwürdigkeit nach innen und außen, konnte nichts zur äußeren Sicherheit beitragen und sah sich am Ende des Jahrhunderts einer von der Stadt Emden angeführten Ständerevolte ausgesetzt.
Im vierten Hauptteil analysiert Foken die Entwicklung des ständischen Konflikts, der durch die konkrete Infiltration durch die Republik der Vereinigten Niederlande für die Grafen ungewinnbar wurde. Der "Osterhusische Akkord" von 1611 stellte als Herrschaftsvertrag die Rechte der Stände sicher, zementierte die Beschränkung der Grafen auf kaum mehr als repräsentative Herrschaftsakte und sicherte Emden durch Einlegung einer Garnison, die erst 1744 abrückte. Die beiden folgenden Hauptteile schildern die Nuancierungen des politischen Dreiecksverhältnisses Landesherr - Stände - Niederlande, das fortgesetzt von den letzten beiden Teilnehmern bestimmt wurde, ohne der Cirksena-Dynastie eine Entwicklungschance zu lassen. Ostfriesland füllte damit seine Rolle als militärstrategisches Glacis für die niederländische Republik aus. Dies geschah übrigens nicht durchgängig zum Schaden der Untertanen: Vom Dreißigjährigen Krieg war die Grafschaft weit weniger betroffen als die meisten anderen deutschen Landstriche. Fokens Studie endet mit einem kurzen Blick auf die preußische Machtübernahme von 1744.
Die Dissertation von Jens Foken argumentiert auf der Grundlage einer klassischen landesgeschichtlichen Methodologie, bei der der zentrale Wert darin liegt, dass der Verfasser die einschlägigen Archivalien in Aurich und Den Haag ausgewertet hat. Dort konnte er vor allem Informationen zur Politikgeschichte und zur kirchenpolitischen Entwicklung finden. Von modischen kulturgeschichtlichen Überhöhungen nimmt der Verfasser Abstand. Leider hat er allerdings auch darauf verzichtet, eine Schlussreflexion hinzuzufügen, nach 479 Seiten Text hätte es dem Rezensenten gefallen, nicht direkt im Quellenverzeichnis zu landen, sondern das detailreiche Gesamtbild noch in einer systematisierenden Rückschau interpretiert zu finden. Auch Karten zu Ostfriesland bzw. zum großfriesischen Raum wären hilfreich gewesen: Nicht jedem Binnenländer ist der Verlauf der Lauwers geläufig. Das soll den Wert der Arbeit nicht schmälern: Die ostfriesische Geschichte der Frühen Neuzeit lässt sich ohne den beherrschenden niederländischen Einfluss nicht sinnvoll erklären, so legt Foken mit diesem Werk die gültige frühneuzeitliche Landesgeschichte für das mitunter als randständig verkannte Territorium im Nordwesten des Reiches vor.
Johannes Arndt