Gregor Rohmann (Hg.): Bilderstreit und Bürgerstolz. Herforder Kirchen im Zeitalter der Glaubenskämpfe (= Herforder Forschungen; Bd. 20), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2006, 152 S., ISBN 978-3-89534-640-8, EUR 14,90
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Zu diesem Sammelband trugen unter der Leitung des Herausgebers sowohl junge als auch ältere Studierende bei, die den Radius ihrer historischen Entdeckerlust über die Fachbücher hinaus auf die Herforder Regionalgeschichte, näherhin auf zwei Kirchen (die Radewiger Jakobi-Kirche und die Neustädter Johannis-Kirche) und deren Geschichte richteten. Intendiert waren Brückenschläge zwischen diesen heute noch zugänglichen architektonischen und ikonografischen Zeugnissen auf der einen Seite und der Reformationsgeschichte des Herforder Raumes auf der anderen Seite. Während das Projekt also lokal auf Herford konzentriert ist und der zeitliche Schwerpunkt auf der Reformationszeit liegt (freilich immer wieder ergänzt durch Längsschnitte zwischen dem 16. Jahrhundert und den Folgejahrhunderten), orientieren sich die Beiträge in methodischer Hinsicht an sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Interpretamenten: die Wechselwirkungen von Frömmigkeit und Ökonomie, die Interdependenzen zwischen Frömmigkeit und Sozialleben, die gegenseitigen Abhängigkeiten von Frömmigkeit und (Lokal-)Politik.
Um es vorweg zu sagen: Tatsächlich vertieft die Lektüre des Sammelbandes erstens das grundlegende Verständnis der reformatorischen Anliegen im 16. Jahrhundert. Zweitens wird exemplarisch anschaulich, welche Spuren die Reformation orts- und alltagskonkret hinterließ. Drittens dienen die im Band zahlreich dargebotenen Bildzeugnisse nicht einfach der Illustration der sonstigen Textpassagen, sondern sind vielmehr allzumeist die entscheidenden Ausgangspunkte für die jeweils nebenstehend angeordneten Textinterpretationen.
Indem der Sammelband 16 Aufsätze auf ca. 150 Seiten bietet, ist Langatmigkeit für den Leser/die Leserin keine Bedrohung. Vielmehr bleiben die gut lesbaren, nicht selten sogar spannend geschriebenen Präsentationen streng auf das Wesentliche konzentriert. Dieser konzise Eindruck wird dadurch unterstützt, dass die Beiträge ohne Fußnoten auskommen; stattdessen wird der Gesamtband sowohl durch ein fülliges Literaturverzeichnis als auch durch ein Abbildungsverzeichnis abgerundet. Gleichermaßen dient es der Orientierung des Lesers/der Leserin, wenn die Einzelbeiträge vier Rubriken zugeordnet werden. So folgen unter der Rubrik "Einleitung" der Beitrag von Gregor Rohmann zu "Bilderstreit und Bürgerstolz. Glaubenskämpfe und Machtkämpfe in Herford und Westfalen" sowie jeweils eine Einführung von Andreas Kamm zur Baugeschichte der Jakobi-Kirche und der Johannis-Kirche.
Unter der Rubrik "Die Stadtgesellschaft in der Kirche" beantworten Maike Bartsch und Nina Koch die Frage "Warum stifteten die Stifter?" anhand der Schenkungen in beiden Kirchen. Horst Paul beschäftigt sich mit den Kirchweihgedenktafeln sowie mit den Amtsstühlen und Priechen in der Jakobi-Kirche. Die Amtsstühle der Johannis-Kirche werden im vierten Beitrag dieser Rubrik von Andreas Kamm und anderen untersucht.
Unter der Überschrift "Konfessionalisierung im Kirchenraum" stellen Anna-Gesa Leuthardt und Christian Joachimmeyer die "Verwendung und Ausstattung der Chöre der Johannis-Kirche und der Jakobi-Kirche" vor. Bernardett Fischer untersucht "Lutherische Heilsgewissheit im Kirchenraum" am Beispiel des in der Johannis-Kirche befindlichen Gemäldes 'Der Zinsgroschen'. Sandra Schultze nimmt unter der Überschrift "Im Wort liegt das Heil" die Kanzeln der Jakobi-Kirche und der Johannis-Kirche in den Blick, während sich Michael Zozmann den Ratsemporen beider Kirchen zuwendet.
Die letzte Sektion bietet einen Beitrag Horst Pauls zum Taufbecken in der Jakobi-Kirche, das er als "Sakramentales Ausstattungsstück und Zeichen der Treue zum Luthertum" interpretiert. Michael Zozmann analysiert die Passionsdarstellungen auf den Emporen der Jakobi-Kirche und der Johannis-Kirche. Andreas Kamm untersucht die ehemalige Credo-Empore in der Johannis-Kirche. Abschließend stellt Henning Damm die Wandvertäfelung im Norden und Nordosten der Jakobi-Kirche vor, deren zentrale Bildaussage er in der Überschrift seines Beitrags mit "Die Herforder als neues Volk Israel" zusammenfasst.
Dieser Band darf als eine 'ortskonkrete Reformationsgeschichte' mit interdisziplinärem Charakter und ausgreifenden Perspektiven herausgestellt werden: Ergebnisse der Architekturgeschichte und Bildforschung finden ebenso Eingang wie Erkenntnisse aus der Wirtschaftsgeschichte und der Frömmigkeitsgeschichte. Ja, geradezu wegweisend ist es, wie die Einzelbeiträge den Faktor 'Religion' als Schlüssel zum Verständnis der Stadtgeschichte herausarbeiten. Damit korrespondiert das tiefenscharfe theologische Wissen der Autorinnen und Autoren, das oftmals sogar mit konfessionenvergleichenden Perspektiven dargeboten wird (das Verhältnis von Altgläubigen, Lutheranern und Reformierten zu Bildern, zu Stiftungen, zur Totensorge etc.). Auch in liturgiegeschichtlichen Hinsichten wirkt der Sammelband orientierend, in der Verbindung von Spätmittelalter- und Frühneuzeitforschung auf der Höhe der Forschung (Kontinuitäten zwischen Mittelalter und Reformation, Konfessionalisierungsparadigma etc.).
So präsentiert der Sammelband die beiden Kirchen einerseits im Sinne einer sorgsam ausgeleuchteten 'Bühne', anhand deren Kulisse mit all ihren jeweils interpretierten Einzelstücken (Bestuhlung, Gemälde, Kanzel etc.) das vormalige Handeln der Akteure (Bürgermeister, Bruderschaften, Zünfte, Geistliche, Bürger) rekonstruiert wird. Tatsächlich vermitteln die Aufsatz-Miniaturen in ihrer Gesamtheit einen sehr lebendigen Eindruck vom Leben im Herforder Raum im 16. Jahrhundert - mit all den Umbrüchen und Kontinuitäten, mit all den Konflikten und Allianzen.
Kurzum: Der informative und inspirierende Band überzeugt in der zugrundegelegten Methodik, in der auch didaktisch ansprechenden Anlage und in der stringenten Durchführung. Wer sich für die Geschichte der Reformation interessiert, womöglich auch zusätzlich illustrierendes Material mit guten Interpretationen für Forschung und Lehre oder für Schule und Unterricht sucht, sollte zum reichhaltigen Angebot dieses Sammelbandes greifen.
Hubertus Lutterbach