Jens Hüttmann: DDR-Geschichte und ihre Forscher. Akteure und Konjunkturen der bundesdeutschen DDR-Forschung, Berlin: Metropol 2008, 472 S., ISBN 978-3-938690-83-3, EUR 24,00
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Wohl kaum ein Forschungsgebiet war in der Bundesrepublik vor und nach 1990 so heiß umkämpft wie die DDR-Forschung. Ursache dafür waren auch die öffentlichen Kontroversen um die bundesdeutsche Deutschland- und Ostpolitik: Vor 1990 ging es dabei um Anerkennung und Nichtanerkennung sowie um Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Wiedervereinigung bei gleichzeitigem Bemühen um menschliche Erleichterungen; danach unter anderem um die Frage, wer durch die Wiedervereinigung bestätigt worden sei - Adenauer mit seiner "Magnet-Theorie" und der Politik der Nichtanerkennung oder Brandt mit seiner "Politik der kleinen Schritte". Wer sich mit der DDR befasste, begab sich also auf ein politisch vermintes Gelände. Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass Jens Hüttmann mit seiner Dissertation "die DDR-Forschung und ihre Akteure selbst [...] historisieren" will (18).
Nach Hüttmann lässt sich die bundesdeutsche DDR-Forschung in drei Phasen aufteilen: In den Jahren 1949 bis 1967 entwickelte sich die SBZ- zur DDR-Forschung; die Zeit zwischen 1967 und 1990 bezeichnet er als "Blütezeit der 'alten' DDR-Forschung", auf die nach 1990 "die 'neue' DDR-Forschung" folgte. Seine Studie beruht vornehmlich auf dem gedruckten Material; darüber hinaus hat er die Nachlässe der DDR-Forscher Otto Stammer und Peter Christian Ludz sowie Interviews mit 22 DDR-Forschern herangezogen, "die die vorhandene Heterogenität des Feldes [...] abbilden sollten" (28). Aus letzteren zitiert er bisweilen ausführlich und verdeutlicht so, dass eine Reihe der vorgestellten Forscher Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten waren. Weite Teile des Buches werden darauf verwendet, Institutionen und Personen der DDR-Forschung vorzustellen und einzuordnen. Wie Hüttmann zutreffend darlegt, zeichnete sich die DDR-Forschung vor 1990 durch einen erheblichen Mangel an Originalquellen aus. Hinzu kam der starke Einfluss lebensgeschichtlicher Erfahrungen bei sehr vielen DDR-Forschern - Paradebeispiel dafür ist der bundesdeutsche Nestor der DDR-Forschung Hermann Weber - und schließlich die Tatsache, dass es sich bei der DDR-Forschung um eine "Sonderdisziplin" handelte, die nie richtig an den Universitäten etabliert war und nur lockeren Kontakt zu den "Mutterdisziplinen" wie Geschichte und Soziologie hielt.
Zwischen 1949 und 1967 entwickelte sich die DDR-Forschung vor allem im Zusammenhang der Planungen für eine möglichst baldige Wiedervereinigung; vieles wurde vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen finanziert. Freilich konstatiert Hüttmann schon in dieser Zeit die Entwicklung von einer vorwiegend politischen Zwecken dienenden hin zu einer seriösen, auf empirischer Grundlage arbeitenden Forschung. Besonders hebt er in diesem Zusammenhang Arcadius Gurland, Otto Stammer und Ernst Richert vom Institut für politische Wissenschaft (IfpW) der Freien Universität Berlin hervor, die vor allem Kritik am Totalitarismusmodell von Carl J. Friedrich übten: Sie wollten eine Globalsicht auf die DDR vermeiden, "Theorien mittlerer Reichweite" erproben und Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit analysieren.
Die Zäsur von 1967 wird insbesondere an zwei Ereignissen festgemacht: An einem Artikel Richerts aus diesem Jahr in der "ZEIT" und an der 1. DDR-Forschertagung. Beides verstärkte den Trend zur Verwissenschaftlichung der DDR-Forschung. Es ist sicher kein Zufall, dass aus der Zeitschrift "SBZ-Archiv" damals das "Deutschland Archiv" wurde, in dem die Redaktion ebenfalls explizit wissenschaftliche Standards einforderte. Die nun anbrechende Ära der DDR-Forschung war die große Zeit von Peter C. Ludz, der in gewisser Weise an die Arbeiten des IfpW anknüpfte und 1968 mit seiner Arbeit zur "Parteielite im Wandel" die erste Habilitationsschrift auf dem Gebiet der DDR-Forschung vorlegte. Hüttmann erläutert nochmals dessen Hauptthese, der zufolge unter dem Druck der industriegesellschaftlichen Notwendigkeiten angesichts der Interessen der technischen Intelligenz das DDR-System zunehmend offener und rationaler werde. Aufgrund des zunehmenden Gewichts der Berater werde sich der "konsultative Autoritarismus" in einen "partizipativen Autoritarismus" wandeln. Hüttmann hebt indes auch die wenig bekannte Tatsache hervor, dass Ludz sich später wieder der Totalitarismustheorie angenähert habe, wobei er von einem gesellschaftlichen Prozess der "Entdifferenzierung" gesprochen habe. Doch bleibt Hüttmann nicht bei der Theorie stehen, sondern wendet sich auch der Beratertätigkeit von Ludz und anderen, insbesondere Hartmut Zimmermann, für die Bundesregierung zu, in deren Zuge die "Materialien zur Lage der Nation" sowie das "DDR-Handbuch" entstanden. Bei aller Wertschätzung für die "kritisch-immanenten" Ansätze, die nicht über einen Kamm zu scheren seien, verweist Hüttmann jedoch auch auf die bei diesem Ansatz entstehende Fehlstelle: die weitgehende Ausblendung der repressiven Dimension der DDR. Das Ministerium für Staatssicherheit wurde lediglich von einem "etablierten Außenseiter", Karl Wilhelm Fricke, erforscht. Diese Marginalisierung wird zum einen auf die Entspannungspolitik, zum anderen vor allem auf die schlechte Materiallage sowie darauf zurückgeführt, dass das MfS nicht in den theoretischen Horizont der Forschungen gepasst habe. Es ist letztlich diese Ausgewogenheit und Differenziertheit, die Hüttmanns Arbeit auszeichnet.
Die bundesdeutsche DDR-Forschung der 1980er Jahre, die sich sehr viel stärker zeithistorisch ausrichtete und trotz Quellenmangels beachtliche Resultate hervorbrachte, wird sehr stiefmütterlich behandelt. Symptomatisch dafür ist, dass das von Hermann Weber und Martin Broszat herausgegebene SBZ-Handbuch zwar erwähnt wird, nicht jedoch die Tatsache, dass dieses nicht nur im Arbeitsbereich Geschichte und Politik der DDR an der Universität Mannheim, sondern auch im Institut für Zeitgeschichte München entstand. Im letzten Teil geht Hüttmann auf die Zeit nach 1990 ein, an deren Beginn zunächst einmal der "alten" DDR-Forschung Versagen vorgeworfen wurde, da sie den Untergang der DDR nicht vorhergesagt und "Schönfärberei" betrieben habe. Auch das Kritikerlager, so der zutreffende Hinweis Hüttmanns, sei nicht homogen gewesen. Was die Forschungsgegenstände betrifft, so konstatiert der Autor zu Recht eine gewaltige Verschiebung gegenüber der Zeit vor 1990: Die Stasi wurde von einem Randphänomen zum "Boomthema". Nicht zuzustimmen ist Hüttmann indes, wenn er behauptet, dass "seit 1992 kontinuierlich die SED und das MfS erforscht" würden (352). Für die SED trifft dies nur für die Zeit bis in die 1950er Jahre zu und auch die Stasi-Forschung hat trotz wesentlicher Forschungsfortschritte noch nicht die "zahlreiche[n] Hand- und Organisationshandbücher" hervorgebracht, von denen an anderer Stelle die Rede ist (360). Des Weiteren behandelt er die Neuordnung der Forschungslandschaft sowie die Deutungskontroversen, welche die DDR-Forschung auch nach 1990 beherrschen.
Auf eine Reihe kleinerer Mängel sei eher am Rande verwiesen. Der lexikalische Eindruck, den das Buch bei der Aufzählung der DDR-Forschungseinrichtungen vermittelt, trügt. So wird etwa über die Abwicklung des Erlanger "Instituts für Gesellschaft und Wissenschaft" berichtet, nicht aber über dessen Gründung und Tätigkeit. Des Weiteren unterlaufen Hüttmann bei den immer wieder eingeflochtenen Passagen zur Deutschland- und Ostpolitik unnötige Fehler: Die "Hallstein-Doktrin" wurde nicht im September, sondern im Dezember 1955 verkündet (56), und, sehr viel wichtiger, im Zusammenhang mit den deutsch-deutschen Verhandlungen zwischen 1970 und 1972 ging es nie um "die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR" (232). Insgesamt handelt es sich jedoch um eine verdienstvolle Studie, die in der nötigen Differenziertheit die bundesdeutsche DDR-Forschung im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft präsentiert.
Hermann Wentker