Krijn Thijs: Drei Geschichten, eine Stadt. Die Berliner Stadtjubiläen von 1937 und 1987 (= Zeithistorische Studien; Bd. 39), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, 378 S., 42 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-14406-7, EUR 44,90
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Repräsentationen politischer und gesellschaftlicher Systeme geraten in jüngster Zeit vermehrt in den Blickwinkel historischer Forschung. Als bevorzugter Untersuchungsraum hat sich "die Stadt" erwiesen. Stadtjubiläen und Stadtfeste werden - auch im diachronen Vergleich - daraufhin analysiert, welche Bilder Städte von sich entwerfen und welche Intentionen sie damit verfolgen. Stadtgeschichtsschreibung nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Wer schreibt was, wie und warum? Die Studie von Krijn Thijs reiht sich in dieses Themenfeld ein. Der von ihm gewählte Untersuchungsgegenstand Berlin und seine Jubiläumsfeiern bietet eine einzigartige Chance: Den Vergleich dreier unterschiedlicher Systeme in einer Stadt. 1937 feierte die Reichshauptstadt des nationalsozialistischen Deutschlands das 700-jährige Stadtjubiläum. 1987 folgte das in Ost und West zweifach gefeierte 750. Jubiläum in der geteilten Stadt.
Thijs greift nicht explizit auf die Kategorie "Repräsentation" zurück, sein Erkenntnisinteresse ordnet sich aber durchaus in den genannten Fragenkomplex ein. Ihn interessieren "Form und Inhalt der dominanten lokalhistorischen Narrative", deren systemlegitimierende Strategien, Symbole und Kontinuitätsansprüche sowie die mit diesen transportierten Identitätsangebote (22). Für sein theoretisches Konzept wählt er als zentrale Forschungskategorien die Begriffe "Geschichtsdiskurs" (in Anlehnung an Michel Foucault) und "historische Erzählung". Der Diskursbegriff ziele auf die "Produktionsmechanismen" und "Wahrnehmungskategorien", die wiederum die "Aneignung der Vergangenheit" in den Berliner Stadtgesellschaften regulieren. Die stadthistorischen "Erzählungen" seien dann Ergebnisse der diskursiven Praktiken. Der Autor verfolgt nicht den Anspruch, die unterschiedlichen "Erzählungen" auf Fakten oder Wahrheitsgehalt zu prüfen oder sie einer Hierarchie in "gut" oder "schlecht" zu unterwerfen.
Thijs geht zunächst an die Schilderung der städtischen Geschichtsdiskurse. Er greift dabei auf die Vorgeschichten zurück und dies völlig zu Recht. Denn bereits in den Weimarer Jahren wurden im stadtgeschichtlichen Diskurs Ansätze formuliert, die sich in der 1937 präsentierten Stadtgeschichte wiederfanden. Die weiteren Entwicklungen in der Reichshauptstadt bestätigen Befunde, die aus anderen Städten vorliegen. Die 700-Jahrfeier kam eher im provisorisch geschneiderten Kleide daher, ohne deutliche Einflussnahme zentraler Partei- und Staatsstellen. Der "Führer" glänzte durch Abwesenheit und Goebbels weilte nur einen Tag bei der Festwoche. Thijs verweist auf Asymmetrien des Vergleichs, bestand doch das nationalsozialistische System bei der 700-Jahrfeier erst vier Jahre, während die 750-Jahrfeiern 1987 von etwa vierzig Jahre bestehenden politischen Systemen begangen wurden. Dass sich daraus unterschiedliche Interessenlagen von Stabilisierung und Legitimierung ergaben, damit aber auch längerfristige und professionellere Vorbereitungen verbunden waren, liegt auf der Hand. Die Rechtfertigung der erheblich kürzeren Darstellung der 700-Jahrfeier mit dem relativen Mangel an Quellen ist einsichtig.
Für 1987 hingegen kann Thijs aus dem Vollen schöpfen. Er präsentiert auch hier die Vorgeschichte, die im westlichen Falle von den Diskussionen um die Berliner Preußenausstellung 1981 und der von Bundeskanzler Helmut Kohl angestoßenen Debatte um die Errichtung eines Deutschen Historischen Museums in West-Berlin geprägt waren. Die von konservativer Seite vielfach gescholtene, weil Distanz anstatt Identität vermittelnde Preußenausstellung wurde zum Modell für die 1987 gezeigte Ausstellung "Berlin, Berlin", die zum zentralen und viel beachteten Ereignis der West-Berliner 750-Jahr-Feier geriet. Thijs beschreibt die kontroversen Debatten, an denen neben dem Berliner Senat und dem Geschäftsführer der Berliner Festspiele GmbH eine Vielzahl von Akteuren beteiligt waren, darunter die traditionsreiche Historische Kommission zu Berlin, aber auch linksalternative Initiativen. Das am Ende zum Tragen kommende Konzept des zentralen Ausstellungsaktes wurde von einer Wissenschaftlergruppe unter Leitung des Berliner Historikers Reinhard Rürup und des bereits bei der Preußenausstellung aktiven Gottfried Korff, seines Zeichens Ethnologe und Kulturwissenschaftler, entworfen. Dieses Konzept wollte kein geschlossenes Geschichtsbild vermitteln; die dynamische Stadt des Wandels, der Offenheit und der Vielfalt stand im Zentrum.
Anfängliche Bemühungen des Berliner Senats um eine Zusammenarbeit mit Ost-Berlin zerschlugen sich angesichts der klaren Abgrenzung der "Hauptstadt" der DDR. Dort, dies arbeitet Thijs anschaulich heraus, trog der Anschein der offiziellen, im Unterschied zur westlichen Vielfalt präsentierten Geschlossenheit, hatten sich doch nicht zuletzt im Zusammenhang mit der ab Ende der 1970er Jahre geführten "Erbe und Tradition"-Debatte in der Historikerzunft Irritationen über vermeintlich unumstößliche Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen im politisch-wissenschaftlichen Produktionsbetrieb ergeben. Verzögerungen und gar Einstellungen von Buchprojekten, die zum Jubiläum bereit liegen sollten, waren Ergebnisse dieser Verunsicherungen. Gleichwohl wurde das dortige Stadtjubiläum zur zentralstaatlichen, "nationalen" Angelegenheit stilisiert, Erich Honecker selbst stand dem Vorbereitungskomitee vor, und die in dessen Auftrag formulierten "Thesen" zur 750-Jahrfeier ordneten das Stadtjubiläum in die Fortschrittsgeschichte marxistisch-leninistischer Prägung ein. Stärker als bei den beiden anderen Jubiläumsinszenierungen widmet sich Thijs der Wirkungsgeschichte im Ost-Berliner Fall. Das Bild der "Stadt des Friedens" als moderne sozialistische Metropole fand freilich nur eine ambivalente, schließlich sogar negative Rezeption in der Bevölkerung. Es konnte, gerade was die gute Hauptstadtversorgung anging, nur kurzfristig aufrechterhalten werden und ging zu Lasten des Restes der Republik. Dauerhafte Zustimmung konnte mit derart zweischneidigen Maßnahmen nicht generiert werden.
Thijs kommt zum Ergebnis, dass in allen drei Fällen die Diskurse in dominante Narrative, Leittexte, mündeten, wobei er auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Abläufe in Diktatur und Demokratie verweist. Sind die Ergebnisse im Falle der beiden unter Diktaturbedingungen vorbereiteten Jubiläen durchaus nachvollziehbar, so drängen sich für den West-Berliner Fall Fragen auf. Lassen sich Pluralität und die Ablehnung geschlossener, verordneter Geschichtsbilder als Konstrukt bezeichnen, das als Bild der "pluralistischen Stadt" aufmerksam "gepflegt worden" sei (192)? Zweifelsohne standen die beiden Stadthälften im systemischen Konkurrenzkampf und natürlich war der westlichen Hälfte daran gelegen, gegenüber "dem Osten" die freiheitliche, offene Alternative zu verkörpern. Aber war dies nur konstruiert? War der in kontroverser Debatte schließlich akzeptierte Entwurf von Rürup/Korff ein "Postulat", ein "neues Regulativ der Geschichtserzählung von Berlin" (146)? Oder haben wir es nicht mit einem Produkt kritischer Geschichtsreflexion eben in Auseinandersetzung mit der zurückliegenden 700-Jahrfeier wie auch faktisch als Gegenentwurf zur marxistisch-leninistischen Fortschrittsgeschichte zu tun?
Von diesen Einwänden abgesehen, gelingt es dem Autor die jeweiligen Debatten und Auseinandersetzungen detailreich zu schildern. Trotz aller Diskursterminologie bleibt er in der Darstellung wie in der Quellenfundierung auf konventionellen Pfaden. Dies ändert sich bei der vergleichenden Textanalyse der von ihm als dominante Narrative ausgemachten Versionen der Stadtgeschichte, die Thijs mit einem aus der Literaturwissenschaft entlehnten Instrumentarium einer "Narratologie" erarbeiten will. Die präsentierten Ergebnisse dieses Textvergleichs sind theoretisch anspruchsvoll eingeführt, in der Substanz aber kaum spektakulär. Die Erkenntnis, dass die verschiedenen Autoren und Autorengruppen 1937, 1987-Ost und 1987-West "ihre" Stadtgeschichten mit unterschiedlichen, jeweils systemkompatiblen Begriffen sowie unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen versahen, kann nicht überraschen. Dies gilt ebenso für Feststellungen wie jener, dass die Geschichte der Berliner Juden in der Fassung des NS-Autors anders dargestellt worden sei als in den Versionen 1987. Natürlich bedienten sich die marxistisch-leninistischer Geschichtsauffassung verpflichteten "Thesen" einer anderen Begrifflichkeit als die West-Berliner Autoren und beide wiederum einer anderen als die "volksgemeinschaflich" orientierte, nationalsozialistische Stadtgeschichte, in der die Stadtgründung als ein Akt im "organischen" Werden von den Anfängen der Menschheit bis zum Nationalsozialismus erschien. All dies hätte vermutlich auch ohne die "Erzählwissenschaft der Narratologie" und die vom Autor erläuterten "narrativen Elemente in der Narratologie" (286ff.) erarbeitet werden können.
Allein bei der Textauswahl kommen Zweifel an Thijs' Methode auf. In allen drei Fällen wurden neben ausführlicheren Stadtgeschichten auch kürzere prägnante Texte veröffentlicht, die laut Thijs "die narrative Grundstruktur der drei Geschichtserzählungen" deutlicher als die Gesamtdarstellungen zum Ausdruck bringen (282). Für das West-Berliner Jubiläum steuerte Reinhard Rürup einen stadtgeschichtlichen Abriss bei. Eine ausführliche Berlingeschichte entstand unter der Herausgeberschaft Wolfgang Ribbes, Mitglied der Historischen Kommission zu Berlin. In seiner "Diskursanalyse" hatte Thijs die stadtgeschichtlichen Projekte der Historischen Kommission nahezu als "Gegennarrativ" zum Leitnarrativ (Rürup/Korff) erkannt. Tatsächlich konnte die ehrwürdige Historikervereinigung gegenüber dem dynamischen "Berlin, Berlin"-Konzept kaum reüssieren - nun sollen beide aber für die "narrative Grundstruktur" der Berliner "Erzählung" stehen, gar zu einem städtischen "master narrative" zusammengebunden werden? Es sind diese Vergröberungen, die insbesondere im West-Berliner Fall außerordentlich irritieren. Wenn selbst "counter narratives" und "Alternativerzählungen" zu Teilen des "master narratives" deklariert werden, was kann dieser Begriff als trennscharfe Analysekategorie zumal in der Komparatistik dann leisten? Wenn "demokratischer Pluralismus" an sich schon zum "master narrative" wird und darunter dann alle möglichen "narratives" eingeordnet werden können, dann wird Beliebigkeit zum Forschungskonzept.
Es bleibt ein zwiespältiger Gesamteindruck. Einem der "neuen" Kulturgeschichte verpflichteter Ansatz, der wenig spektakuläre Ergebnisse präsentiert, steht eine detaillierte Skizzierung stadtgeschichtlicher Diskurse zur Seite. Vom Autor vermutlich anders intendiert, sind diese Abschnitte der Studie die eigentlich substanziellen, die die Erkenntnisse über Stadtrepräsentationen und opportun modellierte Geschichtsversionen erweitern.
Detlev Brunner