Gérard Mordillat / Jérôme Prieur: Jésus sans Jésus. La christianisation de l'Empire romain, Paris: Seuil / Arte éditions 2008, 274 S., ISBN 978-2-02-079656-9, EUR 20,00
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Gérard Mordillat / Jérôme Prieur: L'Apocalypse, Strasbourg: ARTE France / Archipel 33 2008, 4 DVD, EUR 49,99
Jean-Marie Salamito: Les chevaliers de l'Apocalypse. Réponse à MM. Prieur et Mordillat, Paris: Lethielleux / Desclée de Brouwer 2009, 158 S., ISBN 978-2-283-61057-2, EUR 12,00
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Apokalyptische Reiter, so Jean-Marie Salamito, Professor auf einem renommierten Lehrstuhl für die Geschichte des antiken Christentums an der Universität Paris IV-Sorbonne, seien die beiden erfolgreichen Schriftsteller und Cineasten Gérard Mordillat und Jérôme Prieur. Die beiden haben eben bei Archipel 33 und Arte France eine von Denis Freyd produzierte zwölfteilige Fernsehserie unter dem Titel "L'Apocalypse" präsentiert, ein weiteres eindrückliches Zeugnis ihres umfangreichen Œuvres. Die Sendung wird von einer Buchpublikation begleitet. Sie trägt den Titel "Jésus sans Jésus. La christianisation de l'Empire romain" (2008).
Mordillat und Prieur haben wie in früheren Produktionen und Werken eine stattliche Zahl von Interviews mit hochkarätigen Fachvertretern geführt. Im Film werden die Aufnahmen der Statement dieser Corona der Wissenschaft dann ausführlich gezeigt: Timothy Barnes, Glen Bowersock, Robin Lane Fox, Ramsay MacMullen, Christoph Markschies, Winrich Löhr, Guy Stroumsa, Paul Veyne ... Letztlich dienen diese Auftritte freilich allein der Untermauerung der Ausführungen von Mordillat und Prieur. Dazu gehören auch gewichtige und vernichtende Gesamturteile über das historische Phänomen des Christentums: Die neue Religion des Christentums sei aus dem Judentum und dem Römischen Reich herausgewachsen und habe durch die Verbindung mit der weltlichen Macht Roms als Kirche bald nur noch wenig Verständnis für das gehabt, was anders, nicht-christlich war und nicht zur Kirche gehörte. Die Lehre der Kirche habe mit Jesus wenig gemeinsam. Alfred Loisy habe bereits 1902 ganz treffend formuliert: "Jesus hat das Reich Gottes verkündet, entstanden ist die Kirche." Die Christen seien sehr rasch antisemitisch und intolerant geworden und hätten die Verbindung mit der Macht rücksichtslos ausgenützt. Zwar habe man die Liebe propagiert, aber die Kirche sei für die Kreuzzüge, die Sklaverei, die Pogrome des Mittelalters, die Inquisition, die Eroberung Südamerikas, den Genozid der Indianer Nordamerikas, alle imperialistischen Kriege und die Kolonisation eingetreten, und sie habe die faschistischen Regimes zugelassen.
Salamito beurteilt solche Thesen als antichristlich und unwissenschaftlich. Er hat sich bereits in der Zeitschrift "Le Monde de la Bible" kritisch zur Sendung geäußert (die deutsche Ausgabe des Heftes "Welt und Umwelt der Bibel" ist für April dieses Jahres angekündigt). Sodann hat er in drei Streitgesprächen, die ebenfalls durch diese Zeitschrift organisiert wurden, mit Mordillat und Prieur die Klingen gekreuzt. Nun legt er seine Argumente und Einwände in einem polemischen Buch vor. Wer, wie Mordillat und Prieur dies getan haben, höhnt, mit Wissenschaft habe dies nichts zu tun, wohl aber mit dem katholischen Glauben, wird darauf aufmerksam gemacht, dass die von Mordillat und Prieur beanspruchte und gegenüber Salamito abgesprochene wissenschaftliche Haltung keineswegs ihr Privileg ist, sondern eine Sache der Methode, der Kenntnisse, der präzisen Arbeit und der Forschung.
Mordillat und Prieur zitieren zwar viele Wissenschaftler, aber nicht selten nur oberflächlich, so auch Alfred Loisy, der das Christentum und die Kirche keineswegs so schwarz darstellte, wie es bei Mordillat und Prieur erscheint. Vergessen gegangen ist auch seine Geschichte. Er wurde zwar Opfer des Unverständnisses der Kirche und 1908 exkommuniziert, war aber Angehöriger des Institut catholique in Paris und gab seinen Glauben nie auf. Dabei vertrat er eine Richtung, die auf eine strikt historische Rekonstruktion der Vergangenheit bedacht war. Auch Salamito steht in der langen von Loisy weiterführenden Tradition einer wissenschaftlichen, historischen Beschäftigung mit dem Christentum, die freilich durchaus mit einem katholischen Glauben - so bei Salamito - Hand in Hand gehen kann. Auch Henri Irénée Marrou, der berühmte Vorgänger Salamitos auf eben diesem Lehrstuhl an der Sorbonne, war katholisch.
Loisy habe mit seinem Buch "L'Évangile et l'Église" gegen Adolf von Harnack gerichtet zeigen wollen, dass man die Evangelien wie auch das Christentum nicht auf einen einheitlichen Kernbestand zurückführen könne. Vielmehr habe man es mit komplexen, lebendigen und vielfältigen Entwicklungen zu tun. Auf sie alle sei einzugehen, unparteilich, historisch. Es gebe keinen wissenschaftlich zu rechtfertigenden Grund, ein späteres Christentum, einfach weil es sich historisch entwickelt habe, zu verurteilen.
Diesem Gedankengang kann man folgen. Gewiss sollte es in der heutigen aufgeklärten und toleranten Zeit möglich sein, die kulturellen Leistungen von Religionen sachlich zu würdigen, doch gerade heute scheint das schwierig zu sein. Die aktuellen Debatten um das Christentum hängen ganz wesentlich auch mit der jüngsten Kirchengeschichte zusammen, dem Einfluss des Gelehrten und Intellektuellen Joseph Ratzinger, des Papstes Benedikt XVI., und der durch ihn erfolgten Stärkung des Rechtskatholizismus. Hierzulande klagt eine Mehrheit darüber. Die Stärkung der Konservativen und die Betonung der fundamentalen Heilsbedeutung der Kirche erwecken den Eindruck, als würden dadurch zu viele ausgeschlossen. Die auffallende Präsenz einer in der modernen Welt fremd werdenden Kirche mit einer auffallenden, ja irritierenden, aber intellektuell eindrücklichen und starken Weltanschauung kann allerdings auch belebend sein.
Streitgespräche werden angeregt, einmal mehr wird deutlich, ein wie großes intellektuelles, integratives und belebendes Potential Christentum und Fragen der Religion generell besitzen. Dies gab es auch schon in früheren Zeiten. Die Diskussionen um das Zweite Vatikanische Konzil, den Modernismus, die Aufklärung, die Reformation oder die Anliegen der Kirchenväter haben immer wieder für Öffnungen und fundamentale neue Einsichten gesorgt. Die Debatte zwischen Salamito und Mordillat/Prieur kann ebenfalls lebendig machen, was zugedeckt ist. Apokalypse meint Aufdeckung, Enthüllung, Offenbarung. Mordillat und Prieur wollten über die Geschichte des Christentums aufklären und das Christentum kritisieren. Der Wissenschaftler und Katholik Salamito klärt uns über Mordillat und Prieur und ihre antichristlichen Vorurteile auf.
Er macht auch deutlich, dass hinter den beiden die fünfzig von ihnen interviewten bekannten Wissenschaftler eigentlich völlig zurücktreten, wenn nicht gar verschwinden. Sie sind eingefügt in die dominierende Hintergrundfarbe des Films - Schwarz -, als würden sie aus ihren Gräbern sprechen, jeder (meist sind es Männer) und jede für sich. Ihre Aussagen lösen sich auf in das Puzzle eines unverbindlichen Nebeneinanders. Was im Gedächtnis des Zuschauers bleibt, ist das, was die dominante weibliche Stimme der Sprecherin als Zusammenfassung vorlegt, die in der Tat nicht selten problematische Interpretation von Mordillat/Prieur.
Ein am Dokumentarfilm nicht beteiligter Gelehrter entwickelt nun eine umfassende, pointiert polemisch formulierte Antwort, eine ausführliche Kritik und steht so klar vor uns. Dabei sind nicht nur zahlreiche bemerkenswerte Richtigstellungen im Einzelnen von Interesse, so beispielsweise zu den fundamentalen Unterschieden zwischen dem Verständnis des Martyriums im Judentum und Islam oder zur Überzeichnung des christlichen Antisemitismus, sondern vor allem das Plädoyer für eine unvoreingenommene historische Betrachtung des Christentums.
Salamito selbst hat dazu bereits zahlreiche wichtige Beiträge geliefert, beispielsweise in der grundlegenden von J.-M. Mayeur, Charles und Luce Pietri, André Vauchez und Marc Venard herausgegebenen "Geschichte des Christentums". Herausragend sind auch seine Beobachtungen über die große Kontroverse zwischen Pelagius und Augustin zu Beginn des fünften Jahrhunderts in seinem 2005 erschienenen brillanten Buch "Les virtuoses et la multitude. Aspects sociaux de la controverse entre Augustin et les pélagiens" (Grenoble: Édition Jérême Millon 2005, collection NOMINA).
Salamito ist ein an der Sozialgeschichte und der Theorie Max Webers geschulter Kenner der Geschichte des Christentums, der prinzipielle Aspekte geschichtlicher Debatten souverän herauszuarbeiten weiß. So wird bei der Lektüre des eben genannten Buches "Les virtuoses et la multitude" deutlich, wie meisterhafte, virtuose Interpreten und die Zuhörer und Zuschauer aus den verschiedenen Teilen der Gesellschaft miteinander im Austausch stehen.
Wichtige neue Medien waren im ausgehenden Altertum, jener Epoche des Umbruchs und einer frühen Globalisierung, die Predigt in den Kirchen, Reliquien, Heiligenlegenden oder die neu aufkommenden Codices. Heute sind Film und Internet neben traditionelle Medien wie das Buch getreten. Wenn in der Gegenwart über das Christentum debattiert wird und dabei die fundamentale Spannung zwischen den Wirkungen römischen Ordnungsdenkens und der modernen Demokratie so stark in Erscheinung tritt, so sind es indes noch immer virtuose Interpreten, welche ein Publikum in ihren Bann ziehen und mit diesem kommunizieren.
Die Rezipienten ihrer Deutungen waren und sind eingebunden in die Debatten der Meisterdenker und deren Arbeit an einer die gesamte Gesellschaft prägenden Weltanschauung, die ihren Einfluss weit über Theologie und Kirchengeschichte hinaus zeitigt und auch die Themen des Alltags betrifft. So wie Max Weber den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Wirtschaftsweise und protestantischer Ethik aufzeigt, so Salamito zwischen der Ethik eines Augustins, eines Pelagius, Gérôme Prieurs und Gérard Mordillats und den Verhaltensweisen in der antiken und modernen Gesellschaft. Die gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen des Christentums, ja das Christentum als Ganzes zu leugnen, so mag man das neueste Buch Salamitos verstehen, schadet einer nüchternen Betrachtungsweise historischer Realitäten und schafft eine provinzielle Sektierergemeinschaft, die in der globalisierten, modernen Welt die Kommunikation erschwert und im Widerspruch zu den nützlichen und weithin anerkannten Regeln wissenschaftlicher Gespräche steht. Doch die Leser und DVD-Zuschauer mögen sich davon selbst ihr Bild machen.
Beat Näf