Florence Alazard / Frank La Brasca: La papauté à la Renaissance (= Travaux du Centre d'Études Supérieures de la Renaissance de Tours; 12), Paris: Editions Honoré Champion 2007, 756 S., ISBN 978-2-7453-1571-7, CHF 163,84
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Der Sammelband stellt die Ergebnisse einer 2003 unter der Ägide des Centre d'Études Supérieur de la Renaissance veranstalteten Tagung dar. Wie in der Einleitung formuliert, ist es Ziel des Bandes, die Erforschung des Renaissancepapsttums von dem Erzählmuster der moralisierenden "legende noire" zu befreien und die Vielfalt an Fragestellungen und Perspektiven der neueren Forschung ohne moralische Voreingenommenheit oder konfessionelle Tendenz darzustellen. Insbesondere sollten Erkenntnisse der modernen Geschichtsforschung eingearbeitet und Impulse aus aktuellen Forschungen berücksichtigt werden. Einen programmatischen Einstieg hierzu bietet Nicole Lemaitre in seinem einleitenden Beitrag: La papauté de la Renaissance entre mythes et réalité (13-34).
Das breit angelegte polydisziplinäre Programm des Bandes betrachtet das Papsttum in der Renaissance in der longue durée (hier: vom Ende des Avignonpapsttums bis ins 17. Jahrhundert) aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen und ist an ein Fachpublikum gerichtet. Zu bedauern ist, dass die Langzeitperspektive nur ansatzweise verwirklicht wurde: Während der zeitliche Schwerpunkt des Bandes im 16. Jahrhundert liegt, befassen sich nur wenige Studien mit dem Zeitraum vom Großen Schisma bis in die 1470er Jahre, womit die Entstehung und Entfaltung des Renaissancepapsttum zu kurz kommt. Die fachliche und internationale Multiperspektivität spiegelt sich in dem breiten Spektrum der 32 Beiträge. Während die Zusammenstellung eher additiven als synthetischen Charakter hat, bietet sie somit eine Darstellung von verschiedenen Ansätzen und Arbeitsweisen zur Erforschung des weitgefassten Themenkomplexes. Der (deutsche) Historiker wird freilich bemängeln, dass einige Beiträge so gut wie keine Literaturangaben oder Quellenbelege aufweisen.
Obwohl eine konzeptuelle Dreigliederung des Programms in der Einleitung formuliert wird, ist der Tagungsband tatsächlich in acht Themenkomplexe strukturiert, wobei der letzte und der erste als offene Fragen formuliert sind: "Une Renaissance de la Papauté?" und "Une Papauté de la Contre-Réforme?" Umklammert von diesen Fragestellungen behandeln die thematischen Einheiten II-IV (L'exercice du pouvoir, Le pape en sa cour, Papauté et patronage) Aspekte der Innen- und Außengestalt des Renaissancepapsttums, V-VI (La papauté en crise, La papauté face à la Réforme) die Herausforderungen des Papsttums durch Krise und Reform und VII (Le pape et les autres) die Beziehungen des Papsttums nach außen. Der komplexen Gliederung des Bandes gelingt es allerdings nur teilweise, die Vielfalt an behandelten Themen zu strukturieren. Der Band ist mit einem Namenregister erschlossen, das die Namen der erwähnten historischen Personen erfasst. Neben dem bedauerlichen Fehlen eines Sachregisters sind einige Inkonsequenzen des Namensregisters zu bemängeln: So werden etwa einige Päpste sowohl mit ihrem Geburtsnamen als auch mit ihrem Papstnamen geführt, andere hingegen nicht, während die Schreibweisen anscheinend willkürlich zwischen der französischen und der italienischen schwanken.
Die unter Kapitel I: "Une Renaissance de la Papauté?" gebündelten Beiträge bieten eine repräsentative Auswahl der unterschiedlichen Fragestellungen und heterogenen Inhalte des Bandes: Ausgehend von der Frage, ob die Verwaltungsstrukturen des avignonesischen Papsttums eher als modern oder als archaisch zu bewerten sind, untersucht Philippe Genequand die päpstliche Bürokratie unter Clemens VII. (L'administration avignonnaise: archaisme et modernité, 37-65) Weniger das kaum überraschende "Sowohl als auch"-Ergebnis, als die facettenreiche und quellengestützte Darstellung der administrativen Praktiken macht diesen Beitrag besonders instruktiv. Anhand einer Textanalyse der fingierten Rede Papst Silvesters I. in Lorenzo Vallas Schrift gegen die Konstantinische Schenkung untersucht Mariangela Regogliosi (Il papato nel De falso credita di Lorenzo Valla, 67-81) Vallas Bild vom Papsttum und weist auf Bezüge zu seiner Beschäftigung mit dem Neuen Testament hin. Im folgenden Beitrag verfolgt Christian Trottmann (Un conciliariste rallié à la papauté: Nicolas de Cues et sa théorie du pouvoir, 83-107) den Grundgedanken der Einheit in den Werken des Nikolaus von Kues, mit dem er dessen Abkehr vom Konziliarismus und Anerkennung der Autorität des Papstes erklärt. Mit seinem Beitrag "Léon X, le concile et le livre" (109-131) untersucht Alfredo Perifano die Beziehungen zwischen den Reformforderungen in Werken von Paolo Giustiniani und Pietro Quirini und den Reformbullen Papst Leos X. Während die fach- und zeitübergreifende Multiperspektivität des Bandes hier gut zum Ausdruck kommt, bleibt dennoch ungeklärt, wie oder ob die Ausgangsfrage nach der Renaissance des Papsttums beantwortet wurde.
Zu den besonders erwähnenswerten Beiträgen des Tagungsbandes gehören Andreas Rehbergs grundlegende wie auch zur weiteren Forschung anregende Studie zur Ordination nichtrömischer Kleriker in Rom (L'affluenza di ordinandi a Roma alla vigilia della Riforma Luterana, 167-249) und Götz-Rüdiger Tewes' Untersuchung zur Umsetzung der Pragmatischen Sanktion von Bourges (Dekonstruktion eines Mythos. Das Papsttum und Frankreich von Ludwig XI. bis Franz I., 639-661). Neben Tewes' Beitrag bieten einige andere Studien eine zur Diskussion anregende Auseinandersetzung mit (noch) akzeptierten Geschichtsbildern, so etwa die Analyse der Machtverhältnisse zwischen Papst und Konzil während des fünften Laterankonzils durch Nelson H. Minnich (Julius II and Leo X as Presidents of the Fifth Lateran Council, 153-166), Christine Shaws Infragestellung der Rolle der Kurie als "Centre of Diplomacy" (The Papal Court as a Centre of Diplomacy, 621-638) und Stefano Borsis Überprüfung des von Giannozzo Manetti dargestellten programmatischen Charakters der Bautätigkeit Nikolaus V. (Niccolò V [...] 1447-1455: un papa bâtisseur, 401-438) - letztere allerdings leider ohne hinreichende Hinweise auf aktuelle Forschungsliteratur. Während zahlreiche Beiträge sich einer Interpretation von einzelnen Texten oder des Opus eines Autors widmen - unter anderem wäre auf Studie von Elise Boillet (L'Aretin et les papes de son temps, 324-363) und Florence Alazards Arbeit zur Darstellung des Papstes in der italienischen Klageliteratur (L'Italie au pape: entre remontrance et supplication, 441-453) hinzuweisen -, beschäftigen sich andere mit Quellengattungen: So etwa Edouard Bouyés Untersuchung der Tendenzen und Hintergründe zu den erfundenen Papstwappen des 16. Jahrhunderts (Les armoiries imaginaires des papes, 589-618). Zwei Beiträgen zur Geschichte der päpstlichen Kapelle spannen den Bogen vom 15. zum 16. Jahrhundert (Adalbert Roth: Il papato del Rinascimento. Rappresentazione, cerimoniale, musica, 305-324; und Richard Sherr: The Counter Reformation and the Singers of the Papal Chapel, 711-728). Als Gesamteindruck lässt die große Heterogenität der Beiträge schließlich kein einheitlich revidiertes Bild vom Renaissancepapsttum entstehen, sondern vielmehr ein Kaleidoskop von Teilbildern. Diese Diversifizierung des Bildes entspricht zwar Ziel und Zweck des Bandes, macht ihn aber eher zu einer Fundgrube für Fachleser als zur Grundlagenlektüre.
Duane Henderson