Rezension über:

Reza Aslan: Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart. Aus dem Englischen von Rita Seuß, München: C.H.Beck 2006, 335 S., ISBN 978-3-406-54487-3, EUR 24,90
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Rezension von:
Tilmann Kulke
Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
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Empfohlene Zitierweise:
Tilmann Kulke: Rezension von: Reza Aslan: Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart. Aus dem Englischen von Rita Seuß, München: C.H.Beck 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/15650.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 9 (2009), Nr. 6

Reza Aslan: Kein Gott außer Gott

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Reza Aslan hat sich in den Vereinigten Staaten mittlerweile einen kleinen Kult-Status erarbeitet, wo er an der University of California (Riverside) lehrt und forscht. [1] Einem breiterem Publikum wurde er durch seine Artikel bekannt, die er vorwiegend in der liberalen Washington Post veröffentlichte und die den Irakkrieg und die Nahostpolitik der Regierung George Bush konsequent verurteilten.

Mit der vorliegenden Studie liegt dem Leser die erste größere Publikation des Autors vor - eine angestrebte Gesamtübersicht über den Glauben 'der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart'. Und diese beginnt der Autor auf ungewöhnliche Weise: Sie beginnt in einer nächtlichen Zugfahrt nach Marokko. Hier begegnet er einem jungen amerikanischen Paar, das als Missionare in die Sahara reißt, um dort das Evangelium zu predigen. Bereits nach einigen Seiten glaubt sich der Leser mitten im sogenannten Kampf der Kulturen, der seit dem 11. September eine neue mediale Realität geschaffen zu haben scheint." Der Sohn Billy Grahams und geistliche Ratgeber des (ehemaligen) Präsidenten George W. Bush bezeichnete den Islam öffentlich als bösartige Religion. In ähnlicher Weise argumentierte die extreme, doch ausgesprochen populäre Kolumnistin Ann Coulter, die nach dem 11. September in ihren Artikeln dazu aufrief, die 'muslimischen Länder anzugreifen, ihre Führer zu töten und die Bevölkerung zum Christentum zu bekehren' (15)." [2]

Um das Ziel des Autors, diese wesentlichen, teils Jahrhunderte alten Vorurteile gegenüber dem Islam auszuräumen, sowie die Stärken und Schwächen der Studie aufzeigen zu können, soll auf einen zentralen Abschnitt der Studie näher eingegangen werden.

"Die Geschichte Muhammads und seiner Gemeinde muss man auf der Grundlage muslimischer Quellen schreiben, oder man kann sie nicht schreiben."[3] Dieser Aussage folgend, baut Aslan sein Buch in zehn Kapitel auf, von denen die ersten 5 die Frühgeschichte des Islam und den ersten Anhängern Muḥammads behandelt.

Nachdem Aslan in den ersten beiden Kapiteln die Geschichte des vorislamischen Arabien ('Das Heiligtum in der Wüste', 23-43), sowie der ersten Verkündigungen Muḥammads als Propheten Gottes (rasūlu llāhi) erzählt (43-70), wird im 3. Kapitel ('Die Stadt des Propheten', 70-96) die Darstellung der jungen Gemeinde ('Umma) in Yaṯrib, dem heutigen Medina, beschrieben, nachdem die Situation für die 'Umma in Makka (Mekka) unhaltbar wurde.

Ein Kern-Vorurteil gegenüber dem Islam ist, er sei inhärent anti-christlich und anti-jüdisch, sogar anti-semitisch. Um den letzten Vorwurf rechtfertigen zu können, wird oft das Massaker der jungen muslimischen 'Umma an dem jüdischen Stamm der Banū Quraiẓa in Medina herangezogen.

Zur Vorgeschichte: Nachdem Muḥammad b. 'Abdallāh, geboren um 570 n. Chr. als angehöriger der Banū (Stamm) Hašīm, in Mekka die ersten Botschaften als Prophet Gottes zu verkünden begann (um 610 n. Chr.), zog er aus mehreren Gründen den Hass der damals herrschenden Eliten auf sich. Diese wurden nicht nur durch Muḥammads sozialrevolutionäre Forderungen wie folgende verschreckt: 'Der Tag des jüngsten Gerichts würde kommen, an dem "[...] der Himmel zerbricht [...] und die Erde ausgebreitet wird" [84,1-3] und diejenigen, die den "Sklaven [nicht] zur Freiheit [...] " verhalfen "[...] oder an einem Tag, an dem alles Hunger hat [...] einem notleidenden Armen [nicht] zu essen [...] " gaben, vom Feuer verschlungen werden [90, 13-20]".' (61)

Von noch größerer Bedeutung waren Muḥammads strikt monotheistische Botschaften, die eine ernste Bedrohung für das gesamte Pilgertum nach Mekka bedeutete, der Ort, an dem zahlreiche Stämme ihre Gottheiten in der Ka'ba aufbewahren ließen und was die Haupteinnahme der herrschenden Quraiš war; und so war das 'Bekenntnis zum Propheten nicht nur die Abkehr vom alten (polytheistischen) Glauben, sondern auch von den Stammesaktivitäten und damit vom eigenen Stamm' (61) - also eine massive Umwertung der alten Werte.

Die Situation wurde für Muḥammad und seine 30-40 Gefährten (an-Nuṣarā'), die größtenteils aus den einflussreichsten Familien Mekkas stammten, und unter denen sich zahlreiche Frauen befanden, im Laufe der Zeit in Mekka immer gefährlicher; und so bot sich ein Streit zwischen zwei arabischen Stämmen im benachbarten Medina für Muḥammad als geeignet an, sich als Schiedsrichter zwischen diesem Parteien anzubieten. Hier fand er eine völlig andere Rahmenbedingung vor, als noch in Mekka. Nicht nur wirtschaftete diese Gemeinde anders (vor allem Landwirtschaft und Handwerk) als diejenige in Mekka, die ja im Wesentlichen vom internationalen Pilgerverkehr abhängig war. Auch waren den Einwohnern Yatribs monotheistische Vorstellungen und Praktiken seit längerem bekannt. Grund hierfür waren die jüdischen Stämme in Medina, die als Klienten in das lokale Stammesgefüge eingebunden waren.

Diese jüdischen Stämme sollten in den nächsten Jahren eine für die junge muslimische Gemeinde entscheidende Rolle spielen. Denn noch ein anderer Unterschied zwischen Medina und Mekka ist von großer Bedeutung: die Form der Konversion änderte sich. War es in Mekka noch ein weitestgehend individuell-spiritueller Schritt sich Muḥammad anzuschließen, so geschah es in Medina im Kollektiv, indem sich hier ganze Clans und Unterclans der immer stärker werden Gemeinde anschlossen.

Während die ab diesem Zeitpunkt einsetzenden 'Razzien' (abgeleitet vom arabischen Ġazwa, pl. Ġazawāt) der islamischen 'Umma gegen die mekkanischen Händlerkarawanen zunahmen, trieben die drei jüdischen Clans der Banū Qainuqā', Banū n-Naḍīr und der Banū Quraiẓa weiter Handel mit Mekka - nacheinander wurden die ersten beiden aus Medina vertrieben und nach der Grabenschlacht 627, die von den Muslimen als Sieg gedeutet wurde, kam es schließlich zum Massaker an den Banū Quraiẓa. [4]

Bei einem so einschneidenden Ereignis sind es gerade die meist unbekannten Einzelheiten, die einen völlig anderen Zugang zu einer uns fremden Kultur und Religion ermöglichen können, jedoch allzu oft übersehen werden (106-120). [5] Aslan nimmt sich für hierfür fast 20 Seiten, wodurch sein notwendiges Ziel, seine Religion von dem Vorwurf des Antisemitismus freizusprechen, deutlich wird:

- Bereits das Vertreiben der ersten beiden Stämme stieß auf erheblichen Widerstand bei Muḥammads Anhängern. Diese forderten, nach altarabischem Gesetz bei Verrat an einem Stammesführer, die Exekution der jüdischen Stämme, was Muḥammad jedoch ablehnte. (111/112)

- Die anschließende Exekution wurde nicht von Muḥammad selbst befohlen, vielmehr übergab er diese Entscheidung einem Richter (Ḥakam), Sa'd Ibn Mu'aḏ, dem Šaiḫ der al-'Aus. Auffallend ist hier, dass die al-'Aus Schutzherren der zu bestrafenden Banū Quraiẓa waren, man also einen milden Urteilsspruch erwartet hätte (112), zu dem es aber nicht kam. Nun folgt eine ausführliche Literaturdiskussion, wie dieses Ereignis in der Forschung bewertet wurde. Von einem Beweis für ur-islamischen Antisemitismus (meist auf westlicher Seite) im Islam bis zu bloßer Leugnung der Exekution (z.B. aus muslimischer Seite).

- Wichtig ist, dass die Exekution der Banū Quraiẓa keinesfalls zu einem Präzedenzfall der islamisch-jüdischen Geschichte wurde. Die Verfolgung der Ḏimmī (die Schutzbefohlenen Schriftbesitzer, aḥl al-kitāb, also Christen und Juden) war nach islamischem Recht nicht nur verboten, sondern sogar ein Verstoß gegen Muḥammads Anweisung an seine expandierenden Heere. Als der zweite Kalif 'Umar (634-644) anordnete, eine gerade fertig gestellte Mosche in Damaskus niederzureißen, die durch jüdische Zwangsenteignungen errichtet worden war, folgte 'Umar lediglich der Mahnung des Propheten, der damit drohte, dass er jedem, der einem Juden oder Christen Unrecht täte, am Tage des jüngsten Gerichts als Ankläger entgegentreten werde (115).[6]

- Oft wird die Exekution der Banū Quraiẓa so interpretiert, als dass sich in ihr die tiefe Enttäuschung Muḥammads ausdrücke, dass sich die Juden nicht zum Islam bekehren ließen. Aber Muḥammad ging, so Aslan, von einer sofortigen Bekehrung der Juden gar nicht aus. "Er (Muḥammad, Anm. des Rezensenten) wusste mit Sicherheit, dass die Juden Jesus nicht als Propheten anerkannten. Warum also hätte er annehmen sollen, dass sie ihn als solchen anerkennen? " (117)

- Nicht nur wurden an diesem Tag auch arabische Verbündete der Banū Quraiẓa hingerichtet (was dieses Ereignis natürlich nicht mildert, bei der Frage allerdings, ob es sich um einen spezifisch anti-jüdischen Gewaltakt handelte, von entscheidender Bedeutung ist - hier baut Aslan vor allem auf der Studie Michael Leckners auf [7]), auch stellt sich innerhalb der Forschung die Frage, inwieweit man von den drei obig genannten Stämmen, als arabische Konvertiten, überhaupt von Juden sprechen sollte, da ihre Kenntnisse des jüdischen Glaubens äußerst dürftig waren (117f.).

Hinzu kommt, so Aslan, dass in Medina keine archäologischen Überreste von einer jüdischen Stammesaktivität zeugen. (118)

Das Massaker an den Banū Quraiẓa bleibt ein einschneidendes Schattenereignis frühislamischer Geschichte; aber eben, so Aslan, kein religiöses. Vielmehr hatte der muslimisch-jüdische Konflikt mit politischen Allianzen und wirtschaftlichen Bündnissen zu tun als mit theologischen Debatten: "Es ging um Stammesallianzen und zollfreie Märkte, nicht um religiösen Eifer". (119) Und diesen religiösen Eifer verstehen zu können, den man so oft in islamischen Quellen bei Muḥammads Reden gegenüber Juden und Christen zu sehen glaubt, müsse man sie als literarischen Topoi lesen, nicht als historische Fakten, so Aslan - an dieser Stelle sollte noch bemerkt werden, wie sehr sich die Streitgespräche Muḥammads gegenüber den Juden mit denjenigen von Jesus und den Pharisäern gleichen, um ganz bewusst die prophetische Sendung und Botschaft Jesu' mit Muḥammad verbinden zu können.

Wie wichtig die ausführliche, für ein breites Publikum verständliche Darstellung ist, zeigt sich, wenn das oben genannten Beispiel der Banū Quraiẓa mit aktuellen politischen Ereignissen vermischt und ohne Vorsicht behandelt wird. Dann passiert genau dass, was einem so oft beschworenen Religiösen Dialog im Weg steht: Es verhärtet sich die Annahme, Christen, Juden und Muslime hätten einen unterschiedlichen Gott und Muḥammad wollte eine neue Religion gründen. "Für Muhammad waren Juden und Christen Schriftbesitzer, "Leute des Buches" (ahl al-kitab), spirituelle Verwandte, die im Gegensatz zu den Heiden und Polytheisten Arabiens denselben Gott anbeteten, dieselben heiligen Schriften lasen und dieselben moralischen Werte wie die muslimische Gemeinschaft hatten. Zwar bildete jede dieser Gruppen eine eigene Glaubensgemeinschaft (eine eigene Umma), doch gemeinsam bildeten sie eine große Umma." (120)

Mohammed Bamyeh spricht in seiner Studie vom 'monotheistischen Pluralismus' - genau diese These zu verteidigen, ist letztlich das Ziel Aslans in seiner Studie. [8]

Doch nicht nur in der frühislamischen Geschichte beweist Aslan seine Quellenkenntnis und sein Engagement, den Islam aus der Ecke eines think-tanks des modernen Terrorismus herauszuholen, indem er die chronischen Vorurteile gegen ihn ausräumt.

Es ist äußert schwierig, sich dem Qur'ān ohne Vorkenntnisse anzunähern, man ließt direkte Befehle an den Gläubigen, die an anderer Stelle widerlegt werden. Dies dient oft dazu, den Qur'ān als eine unzusammenhängende, dogmatische Schrift abzustempeln, welche die Normen einer Gesellschaftsordnung des 7/8 Jahrhunderts widerspiegele und einen Weg in die Modernisierung verhindere - doch genau diese Widerlegung der einzelnen Qur'ān-Verse, bzw. die Aufhebung des einen durch den anderen (arab. Nasḫ, Abschaffung, Aufhebung), dient reformorientierten Muslimen seit der Verschriftlichung des Qur'ān als wesentliches Argument, dass sich die heilige Schrift der Muslime der sozialen Lebenswirklichkeit der 'Umma anzupassen habe - so seien z.B. die mekkanischen und medinensischen Suren deshalb so unterschiedlich, weil die 'Umma hier auf verschieden gesellschaftliche Bedingungen traf. Für Muḥammad, so Aslan, war der Qur'ān eine lebendige Schrift und keine statische Offenbarung. Die Ansicht, der aktuell-gesellschaftliche Kontext dürfe bei der Koranauslegung keine Rolle spielen, "[...] und alles, was für Muhammads junge Gemeinde galt, müsse für die muslimischen Gemeinschaften sämtlicher Zeiten gelten, ist in jeder Hinsicht unhaltbar."(190)

Ausgezeichnet erläutert Aslan im 6. Kapitel die Geschichte der Theologie und des Rechts im Islam (161-193), und erklärt verständlich, wie es dazu kommen konnte, dass nach dem Tod Muḥammads (am 8.6.632), ohne dass er einen Nachkommen ernannt hatte, seine nun konvertierten, ehemaligen Gegner immer mehr an Einfluss in der muslimischen Gemeinde gewinnen konnten, und was das wiederum für die Entwicklung des Islam bedeute. Zum Beispiel kam es zu einer Verschriftlichung des Qur'ān erst unter 'Uṯmān b. 'Affān (644-656), der ja den al-Quraiš angehörte, dem Stamm, der die erbittertsten Gegner Muḥammads hervorgebracht hatte. "Daher kann man ohne Übertreibung sagen, dass bald nach dem Tod Muhammads die Männer, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Gottes Willen im Koran und Muhammads Willen den Hadithen auszulegen - zufällig waren sie die mächtigsten und reichsten Mitglieder der Umma -, weniger um die Richtigkeit ihrer Äußerungen und die Objektivität ihrer Interpretationen besorgt waren als vielmehr um die Rückgewinnung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Dominanz, die ihnen durch die Reformen des Propheten genommen worden waren (88/89)." Dies war der Grund dafür, so Aslan, wie es zu teils reaktionären Ḥadīṯen (die Überlieferung der Taten und Aussprüche des Propheten und seiner Genossen, Anm. des Rezensenten) kam, die im Widerspruch zu egalitären und revolutionären Ansätzen des Qur'ān standen, wie z.B. folgendem: "Vorwurf trifft nur die, welche die Menschen unterdrücken auf Erden ohne jede Rechtfertigung Gewalttaten verüben (Sure 42,Vers 42, Übersetzung nach Max Henning, München 2001, 487).

Aber wie bei jeder auch noch so guten Studie gibt es auch bei der vorliegen Kritik.

Problematisch wird es zum Beispiel bei folgender Aussage Aslans (es geht um die wichtige Frage, wie der entscheidende Abschnitt der 4. Sure, Vers 34 übersetzt werden soll - "[...] wa 'idribū-hunna [...]" - in den gängigen Qur'ān-Übersetzungen mit "und schlagt sie (die Frauen)"). Aslan schlägt vor: "Adribuhunna [...] kann auch bedeuten: 'wendet euch ab von Ihnen', fahrt fort von Ihnen' und erstaunlicherweise auch 'habt Verkehr mit Ihnen'."(90)

Aufgrund der Offenheit der arabischen Sprache sind oft mehre Übersetzungen grammatikalisch, syntaktisch und formal korrekt, nicht zuletzt bei unvokalisierten Texten - das ist richtig. Hier handelt es sich aber um den Imperativ des I. Stamm des Verbes ḍaraba - yaḍribu (also 'idrib), das einen direkten Akkusativ nach sich zieht (-hunna) - für die Übersetzungen, die Aslan heranzieht, fehlen die dafür entscheidenden Präpositionen, wie fī, 'an, 'ala. [9] Zwar werden im klassischen Arabisch, also in der Sprache des Qur'ān, weniger Präpositionen als im modernen Arabisch benutzt - der ḍaraba-Vers bleibt aber problematisch, Aslans Bemühung jedoch verständlich. [10]

Leider beruft sich Aslan alleine auf den angelsächsischen Forschungsstand, wichtige französische [11] und deutsche [12] Titel, die seine Thesen nur bekräftigen würden, wurden nicht herangezogen; und allzu oft erkennt man seine schiitische Erziehung, was gerade beim 7. Kapitel (In den Fußstapfen von Märtyren. Vom Schiitentum zum Chomeinismus, 193-216) stark auffällt.

Das zweite Kapitel (Muhammed in Mekka) würde detaillierten Ergebnissen der neuern Forschungen sicherlich nicht in allen Punkten standhalten. Schildert uns Aslan Mekka als ein reines Gommorra, so schlussfolgert etwa Gudrun Krämer nüchtern: "Die mekkanische Gesellschaft wies ohne Zweifel soziale Unterschiede auf, sie kannte bessere und schlechtere Sippen, Arme und Reiche, Freie und Sklaven, doch gibt es keine Hinweise auf besonders ausgeprägte Spannungen oder gar Klassengegensätze." [13]

Auch die Schilderung der 'abbāsidischen Revolution, die 750 n. Chr das Kalifat der Umayāden (ab 661 n.Chr.) ablöste, und die Aslan in klassischer Weise als eine von den 'Abbāsiden unter 'Abū Muslim (gestorben 755) dominierte und gelenkte Bewegung beschreibt, (157f.) entspricht nicht den neusten Erkenntnissen der Forschung, denn: " Letzten Endes kann man die anti-umayyadische Bewegung weder als arabisch noch als 'abbāsidisch bezeichnen. Saleh Said Aghas (s. Anmerkung 9) akribische Abhandlung unterstreicht noch einmal sehr schön die äußerst unsichere Position der 'Abbāsiden während der gesamten Umwälzungsperiode."[14]

Und so hat es hat an manchen Stellen den Anschein, Aslan übergehe mit Absicht die Ergebnisse der neueren (Islam-)Forschung - diese überall akribisch wiederzugeben scheint gar nicht sein Ziel zu sein; vielmehr will er zeigen, wie die Überschrift seiner Studie ja deutlich macht, woran der Großteil der Muslime glaubt: Und das ist ein Prophet, der gegen eine ausbeutende Elite in Mekka vorging - selbst wenn uns keine schriftlichen, zeitgenössischen Quellen vorliegen - der zweimal täglich zu Jesus betete, seine Frau weinend um Rat fragte, wirtschaftliche und soziale Reformen für die weiblichen Mitglieder der 'Umma einführte, und, während die Statuen aus der Ka'ba herausgetragen wurden, auf das Bild Jesu und seiner Mutter Maria die Hand legte und sagte: "Beseitigt alles, bis auf das, was unter meinen Händen ist (127)."

Diese äußerst wichtigen Anekdoten werden in den meisten europäischen Studien nicht erwähnt, sie sind jedoch für den Zugang und das Verständnis einer Weltreligion von zentraler Wichtigkeit. Ob alle von Aslans zugespitzten Aussagen wirklich einer intensiven Überprüfung standhalten, ist hier also gar nicht so wichtig - vielmehr bringt sie eine Lesart des Islams an die Öffentlichkeit, die spätestens seit dem 11. September immer weiter in den Hintergrund gerät.

Man liest Aslans Studie wie eine lange Kolumne, teils wie ausgezeichnete Prosa und legt das Buch am Ende nach 10 Kapiteln mit einem enormen Erkenntnisgewinn aus der Hand - und so ist das Buch unbedingt zu empfehlen.


Anmerkungen:

[1] Ausführliche Informationen zum Autor unter seiner Homepage: http://www.rezaaslan.com/

[2] Für einen Einblick in die kleine Welt der Ann Coulter eignen sich zahlreiche you-tube Mitschnitte.

[3] Gudrun Krämer: Geschichte des Islam, Bonn 2005 (Lizensausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung), 17.

[4] Diese Zusammenfassung basiert im Wesentlichen auf der ausgezeichneten Darstellung Krämers zur Formation der noch jungen Gemeinde, vgl. Krämer (2005)., 21 f.

[5] Auf diesen Seiten findet sich dann auch die ausführliche Literaturdiskussion, sowie auf den Seiten 301-305.

[6] Aslan zitiert hier die von Kramer und Gibbs herausgegebene 'Shorter Encyclopaedia of Islam', Brill 1997 (2.Aufl.), 19.

[7] Michael Lecker: Muslim, Jews, and Pagans: Studies on Early Islamic Medina, Leiden 1995.

[8] Muhammad Bamyeh: The Social Origins of Islam, Minneapolis, 1999.

[9] Vgl. Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart, Wiesbaden 1998 (5. Auflage), 746-748, sowie bei den Standardlexika für das klassische Arabisch, vgl. Jean Baptiste Belot (Dictionnaire français-arabe) und Edward William Lane (Arabic-English Dictionary).

[10] In der heftig geführten innerislamischen Kontroverse ist u.a. Mustafa Mahmud ein prominenter Vertreter einer liberalen Auslegung des Qur'ān - in seinem, vor allem als Kinderbuch beliebtem Buch Ḥiwār ma'a sadīq-ī l-mulḥid (Dialog mit meinem atheistischen Freund) oder in seiner zuletzt auf Englisch veröffentlichten Studie Understanding the Qur'ān: A Contemporary Approach, Beltsville 2004 geht er ausführlich auf das obig benannte Problem ein. Vgl. auch hierzu: Stephan Conermann: Mustafa Mahmud und der modifizierte islamische Diskurs im modernen Ägypten, Berlin 1996.

[11] Zum Beispiel bei der Zweitauflage von 2008 wäre für die Darstellung der iranischen Zeitgeschichte die Darstellung von Thérèse Delpech: L'Iran, la Bombe et la Démission des Nations, Paris 2006 nützlich gewesen; und bei Aslans Kernaussage [...]

[12] [...] dass die Frage nach der Historizität entscheidender Topoi (zum Beispiel über die Kindheit Muḥammads) für den Glauben einer Gesellschaft irrelevant ist (z.B. 41) - hier hätten die Studien Jan Assmans ausgezeichnet zu Aslans Argumenten gepasst. Z.B.: " Man muss sich nur darüber klar werden, dass Erinnerung nichts mit Geschichtswissenschaft zu tun hat", vgl.: Jan Assman: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 77.

[13] Krämer (2005), 18.

[14] Vgl.: Stephan Conermann: Rezension von: Saleh Said Agha: The Revolution which toppled the Umayyads. Neither Arab nor Abbasid, Leiden / Boston / Tokyo: Brill Academic Publishers 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/12/12308.html

Tilmann Kulke