Rafis Abazov: Culture and Customs of the Central Asian Republics, Westport, CT / London: Greenwood Press 2007, xxxvi + 286 S., ISBN 978-0-313-33656-0, USD 49,95
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Culture and Customs of the Central Asian Republics gehört in eine Reihe (Culture and Customs of Asia) von Überblickswerken des gleichen Verlages, die sich an Studenten und ein breiteres Publikum richten. Der Herausgeber der Reihe nennt im Vorwort als ihr Ziel, in leicht verständlicher Sprache das unbekannte, stereotypenbehaftete, geheimnisvolle Asien (VII) bekannter zu machen; dies konzentriert auf das Leben der Normalbevölkerung, unter ausdrücklicher Nichtberücksichtigung von Eliten, Ideologien und politischen Auseinandersetzungen.
Der Aufbau war dem Verfasser entsprechend vorgegeben. Am Beginn steht eine Chronologie, die von der Bronzezeit bis 2006 reicht und einen allerersten zeitlichen Überblick vermitteln soll. Es folgt ein kurzer Überblick über die Geographie sowie die Völker Zentralasiens und ihre Sprachen und eine viel ausführlichere Darlegung ihrer Geschichte. Der Schwerpunkt liegt auf der Sowjetzeit, die vorsowjetische Zeit, vor allem aber die Gegenwart werden sehr knapp abgehandelt.
Das erste relativ kurze inhaltliche Kapitel steht unter der Überschrift "Gedankenwelt und Religion", es geht neben vorislamischer und islamischer Zeit auch kurz auf Christentum und Judentum ein - und etwas unverbunden auf die Rolle der Islam nach 9/11. Darauf folgt die Literatur. Abazov stellt nach kurzen einordnenden Worten die traditionelle Epik vor, Alpamys und Manas zum Beispiel, als wichtigste Vertreter der klassischen bis vorkolonialen Literatur Firdowsi, Mahmud Kashgari, Omar Khayyam und Alisher Navai sowie Magtymguly. Rolle und Bedeutung der Literatur der vorrevolutionären und sowjetischen Zeit werden dann sehr viel ausführlicher zusammenhängend beleuchtet und eingeordnet und einzelne Schriftsteller, die auch über Zentralasien hinaus eine gewisse Bekanntheit erreicht haben, nur am Schluss kurz aufgezählt. Unter der Überschrift "Medien und Kino" erhält der Leser eine Einführung in die historische Entwicklung des Pressewesens in Zentralasien und vor allem den aktuellen Stand, ganz kurz geht es auch um Radio, Fernsehen und Internet. Die in der Sowjetzeit auf hohem Niveau stehende Filmkunst wird ausführlich vorgestellt. Unter der Überschrift "Darstellende Künste" behandelt Abazov Volksinstrumente, traditionelle Musik, westliche Musiktraditionen, Tanz, Theater, Pop und Rock; unter "Bildende Künste" Teppiche, Schmuck, Nationaltrachten, Keramik, Kalligraphie und Miniaturen, Skulpturen und Gemälde. Das Kapitel Architektur geht besonders tief in die Geschichte zurück. Es beginnt mit Ausgrabungen griechisch-baktrischer und parthischer Zeit und widmet sich dann ausführlich den bekannten Orten und Bauwerken der islamischen Phase; wobei der Autor den Grundsätzen islamischer Baukunst an sich vergleichsweise viel Raum widmet. Aber auch die Behausungen der sesshaften wie nomadischen Bevölkerung in Geschichte und Gegenwart werden vorgestellt. Gender, Brautwerbung und Hochzeit sind Thema des folgenden Kapitels, in dem der Autor die schlechte Stellung der Frau, die unterschwellige Regeln der zentralasiatischen Gesellschaften und den auch heute noch entscheidenden Einfluss der Eltern schildert. Das Thema "Feste, Spaß und Freizeit" bildet den Abschluss. Beginnend mit dem Satz: "Central Asians take fun very seriously." (233) schildert Abazov z.T. aus eigenem Erleben einen Mix von islamischen Traditionen, nationalen Besonderheiten und Moderne, von Ramadan über Nawruz bis zum Valentinstag. So typische Erscheinungen traditioneller zentralasiatischer Feste wie die Nationalgerichte, das Geschichtenerzählen und sportliche Aktivitäten werden nur extrem kurz abgehandelt. Am Ende findet sich eine kurze Bibliographie zu den einzelnen Themenkreisen, die die allerwichtigsten und gut zugänglichen englisch- und russischsprachigen Überblickswerke nennt. Im ganzen Text verteilt finden sich schwarz-weiße Amateurfotos des Autors von sehr beschränkter Qualität und Aussagekraft.
Ist Zentralasien in seinen heutigen politischen Grenzen überhaupt ein geschlossener Kulturraum? War es das jemals, war die sowjetische nationale Abgrenzung erfolgreich? Dies ist nicht der Ort, um diese Fragen zu beantworten. Der Autor erwähnt die fehlende historische Einheit der heute politisch klar umrissenen Region, problematisiert das aber nicht. Und er versucht auch nicht genauer zu umreißen, was er unter Kultur der zentralasiatischen Republiken versteht. Erst nach der Lektüre weiß der Leser, dass es nicht um zentralasiatische Kultur geht, sondern um die kulturellen Erscheinungen, die man heute auf dem Territorium der zentralasiatischen Republiken beobachten kann, also auch aus der Sowjetzeit Ererbtes und typisch westlich-amerikanische oder globale Erscheinungen wie das Internet, Basketball oder Erfolge bei olympischen Spielen. Unterschwellig geht es Abazov offenbar darum zu zeigen, dass das heutige Zentralasien Anschluss an die globale Welt gefunden hat, kulturell gar nicht so anders ist. Auffällig ist, dass Urteile umso positiver werden, je näher sie der Gegenwart sind. Tamerlans Brutalität wird ausdrücklich kommentiert, die Stalinzeit wird vorsichtiger bewertet, für die Gegenwart werden zwar manche Probleme benannt, aber als nahezu überwunden dargestellt oder heruntergespielt. So fragt man sich, welche "Normalbevölkerung" der Autor zum Beispiel im Auge hat, wenn er schreibt, dass Zentralasiaten auch heute immer und unter Vernachlässigung ihrer Arbeit in Urlaub fahren (233).
Aufbau, Umfang und Inhalt der Kapitel sind nicht wirklich stringent und gleichwertig. Manchmal scheint das an der notwendigen Kürze verbunden mit einem Drang nach Vollständigkeit zu liegen, so wenn nur Namen und Werke unkommentiert aufgezählt werden, in anderen Fällen an Vorwissen und Interessen des Autors. In manchen Kapiteln werden Grundsatzfragen wie Unterschiede zwischen Nomaden und Sesshaften oder soziale Hintergründe kurz angerissen, in anderen fehlt dies. Der zeitliche Rahmen der einzelnen Abschnitte ist sehr unterschiedlich. Die grundsätzlich sehr zu begrüßende Fortführung bis in die allerjüngste Gegenwart wirkt bei vielen Kapiteln unverbunden nachträglich eingefügt.
Wohl niemand kann Kultur und Traditionen eines so riesigen Raumes doch sehr unterschiedlicher Prägung gleich gut kennen, von daher hat Abazov sich ein beeindruckendes Überblickswissen angeeignet. Es hätte dem Inhalt aber vielleicht gut getan, wenn er ein oder zwei Co-Autoren mit anderen nationalem und/oder fachlichem Hintergrund hinzugezogen hätte. So ist ein Werk entstanden, das ein Ausgangspunkt für das allererste Kennenlernen von Kulturerscheinungen in den zentralasiatischen Republiken sein kann, aber mehr nicht.
Beate Eschment